Wolfsburg. Nach dem Abgas-Skandal verbuchte der VW-Konzern die schlimmsten Geschäftszahlen seiner Geschichte. Doch es gibt noch weitere Probleme.

Eigentlich müsste langsam Schluss sein mit der Abgaskrise. VW-Chef Matthias Müller braucht Unsummen, um bisher verschlafene Branchentrends aufzuholen – doch er wird den Bremsklotz noch nicht los. Die Milliardenkosten und der Imageverlust durch „Dieselgate“: Müller muss an allen Fronten gleichzeitig kämpfen. Bei der Präsentation der Bilanz von 2015 am Donnerstag in Wolfsburg trat er die Flucht nach vorne an. Angriff als Verteidigung.

Der 62-Jährige machte deutlich, dass dem Vorstand und den Mitarbeitern des Autobauers bewusst ist, wie viel Vertrauen das Unternehmen durch den Skandal verspielt hat. Müller betonte, dass es das oberste Ziel sei, das Vertrauen der Kunden zurückzugewinnen. „Alles andere ist zweitrangig.“ Und bei dieser Aufgabe will er zuallererst vor der eigenen Haustür kehren.

„Von Beginn an habe ich darauf gepocht, dass dieser Konzern neben effizienteren Strukturen auch eine neue Denkweise und Führungskultur braucht“, sagte er. Diese Aussage sei keinesfalls als „bloßer Reflex“ auf den Skandal zu verstehen. „Wir können die besten Köpfe haben und eine großartige Organisation – ohne die richtige Haltung und Mentalität läuft das ins Leere.“ Noch Mitte des Jahres würden daher neue Konzernwerte festgelegt und ein Kodex der Zusammenarbeit in Kraft treten, kündigte Müller an.

Entschuldigung bei Kunden in Deutschland und den USA

Der Konzernchef entschuldigte sich einmal mehr für die Abgasmanipulationen. „Mit den Software-Manipulationen bei Dieselmotoren wurden bei Volkswagen Regeln gebrochen und ethische Grenzen überschritten. Das schmerzt uns und tut uns aufrichtig leid“, sagte er. Er erzählte auch, dass er sich am vergangenen Wochenende in Hannover persönlich bei US-Präsident Barack Obama entschuldigt habe. „Ich habe darum gebeten, dass Amerika uns eine Brücke baut. Konkreter wurde es nicht.“

Aber Obama habe die Entschuldigung angenommen und ihm zudem Mut gemacht, was die Zukunft von VW in den USA und die Verhandlungen mit den US-Behörden angehe. Zugleich betonte der Vorstandschef, dass der Autobauer trotz des Skandals „ein starkes, quicklebendiges“ Unternehmen sei, das jedoch vor einem grundlegenden Wandel stehe. So müsse sich Volkswagen den technischen Herausforderungen stellen, die durch die Digitalisierung des Autos und alternative Antriebe entstehen. Zudem gelte es, den Abgasskandal aufzuarbeiten. Müller: „Die Rekordjagd der vergangenen Jahre ist zumindest unterbrochen. Das bekümmert uns nicht im Geringsten. Wir verfolgen in diesem Jahr eine andere Agenda.“ Und bei der stehe die Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt. „Vertrauen zurückzugewinnen ist die zentrale Aufgabe der kommenden Monate.“

Abgas-Skandal kostet bislang 16,2 Milliarden Euro

Finanziell trifft der Abgasskandal in erster Linie die Marke Volkswagen. Als Folge des Skandals beträgt das Minus hier 14,3 Milliarden Euro. Dabei wirkt auf den ersten Blick alles gar nicht so dramatisch. In der Bilanz wird für die Kernmarke ein operativer Gewinn – also der Überschuss aus Produktion und Verkauf – von 2,1 Milliarden Euro ausgewiesen. Das wäre gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang von 374 Millionen Euro. Nicht berücksichtigt sind allerdings die sogenannten Sondereinflüsse von 16,9 Milliarden Euro. Davon entfallen nach VW-Angaben 16,2 Milliarden Euro allein auf die Folgen der Abgasmanipulationen. Miteinander verrechnet ergibt sich das dramatische Minus.

Diese Entwicklung trifft den gesamten Konzern, der schon vergangene Woche einen operativen Verlust von 4,1 Milliarden Euro ausgewiesen hatte. Ohne die Rückstellungen für den Skandal hat der Konzern im vergangenen Jahr 12,8 Milliarden Euro verdient – 127 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Unterm Strich, nach Verrechnung aller Steuern, bleibt noch ein Konzernverlust von 1,36 Milliarden Euro.

Müller: Werden um jeden Kunden und jedes Auto kämpfen

Doch am Donnerstag ging es in Wolfsburg längst nicht nur um die Geschäftszahlen für 2015 und um die Aufarbeitung der Abgasmanipulationen. Mit Blick in die Zukunft abseits des Skandals signalisierte VW-Chef Müller Kampfbereitschaft. „Wir werden es dem Wettbewerb gewiss nicht leicht machen. Wir werden kämpfen, um jeden Kunden und um jedes Auto.“

Allein in diesem Jahr würden 60 Neuheiten vorgestellt. Darunter sind vor allem Geländelimousinen (SUV) und Autos mit Plug-in-Hybrid- oder reinem Elektroantrieb. Dass der Autobauer auf seinem Heimatmärkten Europa und Deutschland sowie auf seinem größten und wichtigsten Einzelmarkt China Gas geben will, ist quasi selbsterklärend. Eine Kampfansage gab es aber zugleich für Brasilien und die USA.

Denn unter einer bislang verfehlten Modellpolitik leidet die Marke VW besonders in den USA, wo hauptsächlich Geländelimousinen fehlen. Der Abgasskandal hat den Abwärtstrend noch verstärkt. Doch Herbert Diess, Vorstandschef der Marke VW gab sich ebenso zuversichtlich wie selbstbewusst. Vor allem mit neuen SUV-Modellen und mit einer neuen Positionierung der Marke will er Marktanteile zurückerobern.

Rückrufprogramm soll trotz Problemen glücken

Diess gab sich auch mit Blick auf die stockenden Rückrufe der von den Abgasmanipulationen in Deutschland betroffenen Dieselmodelle zuversichtlich. Weil der Rückruf des Modells Passat bereits seit Wochen stockt, soll nun zunächst der Golf in die Werkstätten gerufen und nachgebessert werden. „Wir sind sicher, dass wir alle Fahrzeuge ins Ziel bringen“, sagte er. Ein Rückkauf von Autos wie in den USA sei daher nicht erforderlich.

Trotz aller Sparzwänge: Die Stammbelegschaft stehe nicht zur Disposition, betonte Müller. „Wir stehen auch in harten Zeiten zu unserer sozialen Verantwortung für die Mitarbeiter. Das unterscheidet Volkswagen von mach anderem Unternehmen. Und das wird auch in Zukunft so bleiben“, bekräftigte er und richtete seinen Dank an die Belegschaft: „Für ihren unermüdlichen Einsatz – gerade jetzt. Für die Hingabe und Leidenschaft, mit der sie jeden Tag ihr Bestes für das Unternehmen und seine Kunden geben.“