Berlin/Wolfsburg. Die Abgas-Affäre weitet sich aus. 17 Automarken haben EU-Regeln freizügig ausgelegt. Was Hunderttausende Autohalter nun wissen sollten.

Ohne die Manipulationen bei VW hätte es diese Untersuchung nie gegeben. Eine Expertenkommission hat die Abgase beliebter Automarken mit Dieselmotoren untersucht. Die Ergebnisse veranlassen alle deutschen Autobauer mit Ausnahme von BMW zu einem freiwilligen Rückruf. Die Motorsoftware, heißt es, solle optimiert werden.

Worum geht es bei dem Rückruf?

Bei den 630.000 Fahrzeugen mit Dieselmotor, die jetzt in die Werkstätten sollen, regelt die Motorsoftware bei bestimmten Temperaturen die Abgasreinigung herunter. Es wird deshalb mehr Stickoxid in die Luft geblasen, als die Grenzwerte zulassen. Die Autohersteller begründen das mit dem Schutz von Motorteilen besonders bei kalten Temperaturen.

Wie viele Fahrzeuge sind betroffen? Und welche Marken?

Betroffen sind Autos der deutschen Hersteller Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW. Bei BMW gab es keine Auffälligkeiten. Auch Modelle von Alfa Romeo, Chevrolet, Dacia, Fiat, Ford, Hyundai, Jaguar, Jeep, Land Rover, Nissan, Renault und Suzuki zeigten problematische Werte. Diese Fahrzeuge wiesen laut Bericht des Kraftfahrtbundesamtes Auffälligkeiten auf:

  • Alfa Romeo Giuletta 2.0
  • Audi A6 V6 3.0
  • Chevrolet Cruze 2.0
  • Dacia Sandero 1.5
  • Fiat Ducato 3.0
  • Ford C-Max 1.5
  • Ford C-Max 2.0
  • Hyundai ix35 2.0
  • Hyundai i20 1.1
  • Jaguar XE 2.0
  • Jeep Cherokee 2.0
  • Land Rover Range Rover 3.0
  • Mercedes-Benz V250 Bluetec 2.0
  • Mercedes-Benz Sprinter 2.1 l Euro 5
  • Nissan Navarra 2.5
  • Opel Insignia 2.0
  • Opel Zafira 1.6
  • Porsche Macan 3.0 V6
  • Renault Kadjar 1.5
  • Renault Kadjar 1.6
  • Suzuki Vitara 1.6
  • Volkswagen Amarok 2.0
  • Volkswagen Crafter 2.0

Welche Fahrzeuge werden zurückgerufen?

VW ruft Crafter und Amarok zurück, Porsche Macan. Bei Mercedes sind A-, B-, CLA-, GLA-Klasse und V-Modelle betroffen, die Mercedes zum Teil freiwillig zurückruft. Bei Opel trifft es Insignia, Zafira und Cascada, bei Audi Q5, A6 und A8 mit manuellem Schaltgetriebe, die nach EU-5- und EU-6-Abgasnorm zugelassen wurden – also auch die neuesten Wagen der Modellreihen. Auch Renault hat angekündigt, Fahrzeuge zurückzurufen.

Wie erfahren Autobesitzer vom Rückruf?

Die Autobesitzer werden angeschrieben oder bei ihrem nächsten Werkstattbesuch auf die Reparatur hingewiesen.

Wieso fallen die Abweichungen jetzt auf?

Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen bei VW-Dieselmotoren eine Kommission eingesetzt. Sie ließ die Abgaswerte von 53 gängigen Dieselmodellen untersuchen – im Labor und unter realen Bedingungen auf der Straße. Die Autos wurden gekauft oder angemietet, stammen nicht direkt vom Hersteller. Bei diesen Messungen waren auch Fahrzeuge ausländischer Marken auffällig.

Haben die jetzt genannten Hersteller wie VW manipuliert?

Nein, aber sie haben den rechtlichen Rahmen offenbar in Teilen sehr frei ausgelegt, deshalb jetzt der Rückruf. Der Motorschutz ist in der EU-Richtlinie mit den Abgasgrenzwerten ausdrücklich vorgesehen, aber nur in Ausnahmefällen. Grundsätzlich sind Abschaltautomatiken verboten. Die EU-Richtlinie ist aus Sicht des Bundesverkehrsministers beim Motorschutz sehr schwammig, er fordert Nachbesserungen. Unter anderem soll der technische Fortschritt mit erfasst werden. Derzeit ist es möglich, mit dem Argument des Motorschutzes auch alte Motoren der EU-Richtlinie konform zu betreiben. Volkswagen ging da ganz anders vor. Der Konzern hatte im großen Stil eine Software eingesetzt, die Testsituationen erkennt und die Stickoxidwerte so regelt, dass sie den entsprechenden Grenzwerten entsprechen. Im Straßenbetrieb lagen die ausgestoßenen Mengen dann bis zu 40 Mal höher. Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen, 2,4 Millionen allein in Deutschland.

In den USA hat sich VW mit den Behörden auf eine Sonderzahlung geeinigt, die Besitzer von Autos mit manipuliertem Motor bekommen. Wie sieht es in Deutschland aus?

Bisher ist das unklar. VW hat mit den Behörden nur Grundzüge einer Lösung vereinbart. Der Konzern kann auf der Basis mit Behörden und Sammelklägern Vergleiche aushandeln. Im Gespräch sind offenbar bis zu 5000 Dollar pro Auto. Auch der Rückkauf betroffener Fahrzeuge ist vorgesehen. Verschiedene deutsche Politiker forderten vergleichbare Regelungen für Deutschland.

In den USA sind Sammelklagen von betroffenen Autofahrern möglich. Wie stehen die Chancen dafür in Deutschland?

Sammelklagen wie in den USA sind in Deutschland bisher nicht möglich. Jeder Betroffene muss einzeln klagen. Die Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern wollen das allerdings ändern. Sie forderten die Bundesregierung auf, Musterklagen rechtlich möglich zu machen. Dann könnten zum Beispiel Verbraucherschutzverbände stellvertretend für die Verbraucher Schadenersatz einklagen.

Sind noch andere deutsche Autobauer vom Skandal betroffen?

Die US-Regierung hat Daimler aufgefordert, intern die Abgaswerte und die Tests zu überprüfen. Autobesitzer aus 13 US-Bundesstaaten Daimler wegen angeblichen Abgas-Betrugs verklagt. Daimler weist die Anschuldigungen zurück. Bislang fordert das US-Justizministerium auch nur Aufklärung und wirft dem Konzern kein Fehlverhalten vor.

Welche Folgen hat der Abgas-Skandal für den VW-Konzern?

Bis die US-Umweltbehörde Epa und die kalifornische Behörde Carb die Affäre am 18. September öffentlich machten, lief das Geschäft recht gut für VW. Im Gesamtjahr legte der Umsatz um 5,4 Prozent auf 213,3 Milliarden Euro zu, das operative Ergebnis bewegte sich mit 12,8 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Vor allem wegen der Abgas-Affäre stellt VW allerdings 16,9 Milliarden Euro zurück – das bedeutet für 2015 einen Rekordverlust von 4,1 Milliarden Euro.

Und die Anleger?

Wer in VW-Aktien investiert hat, wird sich am Freitag erneut geärgert haben. Der Kurs der Papiere brach nach den schlechten Zahlen ein. Immerhin will VW noch eine Dividende von elf Cent je Stamm- und 17 Cent je Vorzugsaktie zahlen. Auch die Daimler-Aktien verloren angesichts der US-Untersuchungen kräftig an Wert. Die schlechten Nachrichten belasteten den Deutschen Aktienindex Dax insgesamt.

Wie reagiert das VW-Management?

Nur mit Mühe konnten die Vorstandsmitglieder davon überzeugt werden, auf Boni zu verzichten. Ihr Argument: Bis auf die Affäre sei 2015 sehr gut gelaufen. Jetzt soll die variable Vergütung um gut 30 Prozent gekürzt werden. Allerdings wird der Bonus nicht gestrichen, sondern nur geparkt – in Aktien. Die Boni sind an den Kurs 2019 gekoppelt und dann ausgezahlt werden. Zumindest Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch spürt die Abgas-Krise direkt auf seinem Konto: Er verzichtet für 2015 auf 2,3 Millionen Euro. Allerdings hatte sich Pötsch nach einem Bericht des Magazins „Spiegel“ knapp 20 Millionen Euro zusichern lassen, als er im Oktober seinen Posten als Finanzvorstand aufgab und an die deutlich schlechter bezahlte Spitze des Aufsichtsrats wechselte.

War das jetzt alles an Kosten?

Frank Schwope, Auto-Analyst der Nord-LB, sagte dieser Zeitung: „Der Verlust ist für VW verkraftbar.“ Allerdings könnten weitere Belastungen auf VW zukommen. „Ich gehe aber davon aus, dass die Gesamtkosten des Skandals 20 bis 30 Milliarden Euro betragen werden.“ Schwope erwartet, dass VW nun den Spardruck erhöht.

Kommt da noch mehr?

VW hat die US-Kanzlei Jones Day beauftragt, das Unternehmen zu durchleuchten und herauszufinden, wer wann was wusste und Schuld ist am Manipulationsskandal. Ende April wollte der Konzern einen Zwischenbericht vorlegen. Den Termin verschob VW jetzt auf unbestimmte Zeit. Jones Day rechne damit, im vierten Quartal dieses Jahres mit der Untersuchung fertig zu sein.