San Francisco/Wolfsburg. Nach dem Skandal um manipulierte Dieselmotoren kann VW in den USA dem Gerichtsprozess entgehen. Es wird den Konzern Milliarden kosten.

Der Abgas-Skandal in Amerika wird für Volkswagen voraussichtlich erheblich teurer als bisher angenommen. Kurz vor Ablauf einer richterlichen Frist einigte sich der Wolfsburger Autokonzern am Donnerstag mit den US-Behörden im Grundsatz auf ein umfangreiches Paket, das ein drohendes Strafverfahren überflüssig machen soll. Mindestens 480.000 manipulierte Dieselautos sollen nachgerüstet oder durch Rückkauf von der Straße geholt werden. Dafür würde nach ersten Kalkulationen ein zweistelliger Milliardenbetrag fällig. Der zuständige Richter Charles Breyer gab der Rahmenvereinbarung in San Francisco grünes Licht. „Ich bin extrem zufrieden“, sagte er in der 20-minütigen Anhörung.

Der Skandal wirft den Konzern finanziell aus der Bahn: Europas größter Autobauer muss nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in seiner Bilanz für das vergangene Jahr etwa 16,4 Milliarden Euro zurückstellen. Es droht der mit Abstand größte Jahresverlust in der Unternehmensgeschichte.

Die VW-Aktie stieg nach der Einigung am Donnerstag zwischenzeitlich um sechs Prozent. Wie aus US-Kreisen verlautet, wird die VW-„Dieselgate“-Affäre auch beim Besuch des US-Präsidenten auf der Hannover Messe nächste Woche am Rande eine Rolle spielen. VW-Chef Matthias Müller trifft bereits am Sonntag mit Barack Obama zusammen.

Was steht im Zentrum des Skandals?

Volkswagen hatte im Herbst 2015 eingestanden, den Abgasausstoß bei Dieselmotoren mit einer „Schummel-Software“ manipuliert zu haben. Dadurch wurden über Jahre gesundheitsgefährdende Stickstoffe ausgestoßen, die 40-Mal höher waren als gesetzlich erlaubt. Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen.

Warum der Deal in Amerika?

VW will dort einen Prozess unbedingt vermeiden. Er würde sich unter negativer medialer Begleitmusik über Jahre hinziehen. Außergerichtliche Vergleiche sind in den USA ein gängiges Instrument in solchen Streitfällen, auch wenn es teuer wird.

Was ist der Kern der Vereinbarung?

VW bietet laut Richter Breyer „mehrere Optionen“. Die Besitzer von rund 480.000 Autos mit 2-Liter-Motoren können sich demnächst entscheiden zwischen a) Rückkauf ihrer Wagen durch VW oder b) kostenloser Nachrüstung durch den deutschen Autobauer. Zusätzlich sollen die Eigentümer eine „substanzielle Entschädigung“ bekommen. Konkrete Summen nannte Breyer nicht. Aus Verhandlungskreisen, die seit gestern zu „absoluter Verschwiegenheit“ verpflichtet sind, war zuvor ein Betrag von jeweils bis zu 5000 Dollar genannt worden.

„Die Summe ist aber noch nicht in Stein gemeißelt“, sagte ein mit den Verhandlungen vertrauter Experte. Nach Berechnung der US-Analysten von Kelley Blue Book würden diese Maßnahmen fast zehn Milliarden Dollar kosten. Deutlich mehr als die etwa 7,1 Milliarden Dollar, die Volkswagen bisher wegen des Skandals zurückgelegt hatte.

Was bedeutet das Ergebnis für deutsche VW-Besitzer?

Völlig offen. Klägeranwälte wie die in Washington und Berlin tätige Kanzlei Hausfeld verlangen, dass VW-Eigentümer in Deutschland nicht schlechter gestellt und als Kunden zweiter Klasse behandelt werden dürfen. So sieht das auch der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), Klaus Müller. „Wenn Volkswagen geschädigten Kunden in den USA 5000 Dollar zahlt, steigt die Ungerechtigkeit gegenüber deutschen Kunden.“

Ist das Verhandlungspaket in den USA bereits in trockenen Tüchern?

Bei weitem nicht. Sämtliche Details blieben gestern offen. Gemeinsam mit der kalifornischen Umweltbehörde Carb und der Umweltbehörde EPA in Washington soll in den nächsten Monaten ein unterschriftsreifes Konzept erarbeitet werden. Breyer setzte dazu eine Frist bis 21. Juni. Bis dahin soll auch geklärt werden, was aus den knapp 500 Sammelklagen wird, die Tausende US-VW-Besitzer angestrengt haben. Laut Breyer ist auch dort eine Einigung ohne Prozess möglich. Wie hoch Reparaturkosten und Entschädigungszahlungen genau ausfallen, wird der breiten Öffentlichkeit nicht vor dem 26. Juli mitgeteilt. Breyer verhängte an alle Verfahrensbeteiligten einen „Maulkorb“, um die Verhandlungen nicht zu stören. Erst wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, sagte der mit Verbraucherschutzklagen vertraute Jurist, seien „Bewertungen und Kommentare erwünscht“.

Sind damit alle juristischen Fronten befriedet?

Nein, das Justizministerium verfolgt weiter mögliche strafrechtliche Aspekte. Die Wettbewerbshüter der FTC werfen VW zudem irreführendes Marketing vor. Allein zivilrechtlich könnte VW für den Betrugsskandal mit Forderungen von über 45 Milliarden Dollar belegt werden. Ob die genannten Instanzen im Rahmen der Fristen ihre Ansprüche fallen lassen werden, bleibt abzuwarten. Zumal die Frage, wie mit 90.000 VW-Autos mit manipulierten 3-Liter-Dieselmotoren umgegangen wird, gestern ausgeklammert blieb.

Wie werden die Umweltschäden kompensiert, die VW in Amerika verursacht hat?

Die Behörden wünschen sich einen Entschädigungsfonds und substanzielle Investitionen in Elektromobilität. Breyer erklärte, dass dies Teil des Gesamtpakets sei. Konkrete Zahlen und Zeiträume sind auch hier noch offen.

Wer hat den größten Anteil an dem erarbeiteten Kompromiss?

Der von Richter Breyer als Mediator eingesetzte Ex-Chef der Bundespolizei FBI, Robert Mueller, hat aus seinem Washingtoner Büro heraus die Kärrnerarbeit geleistet. Teilweise auch an „Samstagen bis drei Uhr morgens“, wie VW-Anwalt Robert Giuffra sagte.