Amberg/Berlin . Die vernetzte Fabrik ist das Zukunftsthema der Hannover Messe. Ein Besuch in einem Werk, an dem die Vision schon Einzug gehalten hat.

Wenn US-Präsident Barack Obama am Sonntag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hannover Messe eröffnet, wird es um die vernetzte Industrie gehen, um Maschinen, die automatisch miteinander kommunizieren und die Produktion steuern können. Was sich für viele noch wie Zukunftsmusik anhört, ist in manchen Unternehmen schon Realität.

Wer den Stolz des Weltkonzerns Siemens besichtigen will, muss etwa in die bayerische Provinz fahren. „Wer nicht hier war, der hat umsonst gelebt“, sagt Siemens-Manager Karl-Heinz Büttner und führt mit großer Begeisterung durch seine Fabrik in Amberg in der Oberpfalz.

Der Manager steckt sich antistatische Streifen in die Schuhe, um elektrische Aufladung zu vermeiden, zieht einen weißen Kittel über und eilt in die Halle der tanzenden Maschinen: Roboterarme bewegen sich blitzschnell über grün schimmernden Leiterplatten, stecken Transistoren, Widerstände und Kondensatoren hinein.

Es zischt, summt und klackert nur wenig in der Halle. Kleine Schlitten transportieren Teile auf kilometerlangen Wegen durch die Fabrik. In langen Öfen werden die Bauteile verlötet, von Sensoren auf Fehler untersucht, schließlich von Robotern in Gehäuse gesteckt und verpackt.

Hundertprozentige Genauigkeit ist Ziel

Die Fabrik produziert Simatic-Steuerungen, die zu den erfolgreichsten Siemens-Produkten zählen. Ob Autowaschstraßen, Wasserkraftwerke, Abfüllanlagen oder Skilifte – meist steuert Simatic die Maschinen. In Amberg stellt Siemens 85 Prozent seiner Weltproduktion her. 16 Fertigungslinien arbeiten Tag und Nacht. „Jede Sekunde verlässt ein fertiges Produkt die Halle“, sagt Büttner. Drei Milliarden Bauteile werden zu 1000 Produkten zusammen gefügt. Das funktioniert nur, weil es die Fabrik eigentlich zweimal gibt: Als physische Einrichtung mit Maschinen zum Anfassen und als digitales Programm, als Fabrik aus Daten.

Alle Messwerte fließen in dieses virtuelle Abbild. Alle Daten werden erfasst: Die Temperatur von Millionen Lötpunkten. Der Drehmoment und der Drehwinkel von Millionen Schrauben. Der Bearbeitungszeitpunkt und die Vergangenheit jedes einzelnen Bauteils – all das lässt sich im Computer nachvollziehen. „Dieses Gebilde nennen wir die digitale Fabrik“, sagt Büttner. „Wir wissen von jedem Bauteil, wie alt es ist und wo es herkam.“

Die Vision von der „Industrie 4.0“ ist in Amberg längst Wirklichkeit. Hier kommunizieren Bauteile mit Maschinen, können Schrauben ihre Vergangenheit preisgeben. Noch mehr: Maschinen reproduzieren sich selbst, Simatic-Steuerungen regeln die Herstellung von Simatic. Man produziere mit 99,9988-prozentiger Genauigkeit, sagt Siemens. Manager Büttner reicht das nicht. Nie dürften die Steuerungen versagen. „Null Fehler, hundert Prozent genau“, das ist sein Ziel.

Schnelles Internet ein Muss

Es gibt noch mehr solche Zukunftsorte. Digitalisiertes, vernetztes Produzieren ist in Deutschland schon weitverbreitet. Ein Beispiel ist auch die ifm electronic GmbH aus Essen. Sensoren des Unternehmens überwachen die Wasserversorgung einer brasilianischen Großstadt. Gab es Störungen, waren früher ganze Stadtteile von der Wasserversorgung abgeschnitten.

Nun wurden an allen Motoren und Pumpen Sensoren und Auswertesysteme montiert, an den Messpunkten die Software Smart Observer installiert. Werden nun Grenzwerte über- oder unterschritten, wird frühzeitig ein Alarm ausgelöst, um Wartungsarbeiten planen und Defekte in den Anlagen verhindern zu können.

Auch auf der Schwäbischen Alb oder im Bergischen Land sitzen einige „Hidden Champions“ – unbekannte Marktführer mit bahnbrechender Technologie. Oft brauchen sie leistungsfähige Datennetze: „Da ist es ganz gut, wenn die Datenautobahn da auch mal vorbeikommt und nicht nur die Kriechspur“ sagt der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes (VDMA), Thilo Brodtmann. Die Maschinenbauer fordern von der Bundesregierung, endlich für eine ordentliche Infrastruktur in Deutschland zu sorgen, damit die digitalisierte Wirtschaft mit der globalen Konkurrenz mithalten kann.

Deutscher und US-Standard vereint

An Selbstbewusstsein mangelt es der Branche vor der Industrieschau in Hannover nicht. Zumal die Marktführer sich zusammentun: Bislang hatten das amerikanische Industrial Internet Consortium (IIC) und die deutsche Plattform Industrie 4.0 den Chips und Maschinen unterschiedliche technische Sprachen eingepflanzt. Im März haben sie sich auf gemeinsame Architekturen geeinigt. Die Mindestanforderungen an Software und Maschinen sollen nun kompatibel sein. „Das ist ein echter Fortschritt“, lobte Bosch-Geschäftsführer Werner Struth.

Deutsche Maschinenkonstrukteure schwärmen schon davon, nicht nur Maschinen zu bauen, deren programmierte Teile im Fertigungsfluss die nächsten Teile abrufen und sich so quasi selbst zusammenbauen. Sondern diese Maschinen dann auch von daheim aus beobachten und warten zu können: Zeigt sich am Kontrollmonitor auf der Schwäbischen Alb, dass in einer nach Kanada exportierten Maschine ein Bauteil auszuleiern droht, wird flugs ein Ersatzteil verschickt. Das ist ertragreicher, als bloß Maschinen zu verkaufen.