Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft klagt Ex-Drogeriekönig Schlecker wegen vorsätzlichen Bankrotts an. Opfer der Pleite hoffen auf Gerechtigkeit.

Die 27.000 Beschäftigten der einstigen Drogeriekette Schlecker hatten ihren Chef nicht unbedingt als großzügigen Menschen kennengelernt. Immer wieder musste Firmenpatriarch Anton Schlecker Kritik der Gewerkschaften einstecken. Mal weil es in den Filialen keine Telefone gab, mit denen die Verkäuferinnen notfalls Hilfe rufen konnten. Mal weil ein Teil der Belegschaft an eine Verleihfirma übertragen wurde, um weitere Lohnkosten zu sparen. Innerhalb seiner Familie erwies sich Schlecker allerdings als überaus spendabel – besonders kurz vor dem Zusammenbruch seines Handelsimperiums im Januar 2012. Da wurde untereinander viel Geld herumgereicht. Dabei sollen Tausenden von Gläubigern viele Millionen Euro entzogen worden sein. Das kann dem mittlerweile 71-Jährigen nun zum Verhängnis werden.

800.000-Euro-Geschenk für die Enkelkinder?

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ist nach mehrjährigen Ermittlungen davon überzeugt, dass Schlecker vorsätzlichen Bankrott betrieben hat. Seinen Kindern werfen die Ermittler Insolvenzverschleppung vor. Die Anklage der Staatsanwaltschaft liegt beim Stuttgarter Landgericht, dass über die Eröffnung eines Strafverfahrens entscheidet. Die Prüfung der rund 700 Seiten starken Klageschrift kann sich Monate hinziehen. Bei einer Verurteilung drohen dem einstigen Milliardär bis zu zehn Jahre Haft.

In 36 Fällen soll Schlecker Geld aus dem Unternehmen gezogen und anderswo untergebracht haben, obwohl die finanziell prekäre Lage bereits erkennbar war. Er äußert sich zu den Vorwürfen derzeit nicht. Einem Bericht des Manager Magazins zufolge gab es unter anderem ein 800.000 Euro teures Geschenk für die Enkelkinder. Auch mutmaßen die Ermittler, dass der Filialist Schlecker bei einem Logistikunternehmen seiner Kinder Leistungen überteuert eingekauft und so Geld verschoben hat, um es vor dem Insolvenzverwalter in Sicherheit zu bringen. Auch die beiden Kinder Meike und Lars sind im Visier der Staatsanwaltschaft.

Sie sollen aus dem Logistikunternehmen Millionenbeträge aus vorgeblichen Gewinnen an sich ausgeschüttet haben. Auch dieses Unternehmen wurde zahlungsunfähig. Das führte zum Vorwurf der Insolvenzverschleppung. Fast kleinlich wirken dagegen angebliche Überweisungen an Mutter Schlecker – mal 50.000 Euro für Beraterleistungen, mal 19.000 Euro auf das Privatkonto. Angeklagt werden sollen auch zwei Wirtschaftsprüfer, die Schleckers Bilanz trotz erkennbarer Manipulationen testiert haben sollen.

Wenig Aussicht auf Geld für die Schlecker-Frauen

Vorsicht gegenüber der Anklage ist allerdings angebracht. „Voreilige Festlegungen verbieten sich angesichts des Stands und des Inhalts des Verfahrens“, warnt der Anwalt Anton Schleckers, Norbert Scharf. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat spektakuläre Wirtschaftsprozesse auch schon verloren. Erst kürzlich sprachen Richter den ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und seinen Finanzchef vom Vorwurf der Marktmanipulation im Zusammenhang mit der von ihnen geplanten VW-Übernahme frei.

Die Schlecker-Pleite traf Betroffene ins Mark. Rund 27.000 Menschen verloren ihren Job. Vor allem Frauen arbeiteten für die Drogeriekette, die meisten in Teilzeit und das seit vielen Jahren. Die Schlecker-Filialen waren in vielen ländlichen Regionen nicht nur der Einkaufsladen für Putzmittel, Mülltüten und Babynahrung, sondern ein Treffpunkt in der Nachbarschaft. Mit der Insolvenz gerieten die Schicksale der Schlecker-Frauen ins öffentliche Bewusstsein.

Hinweise auf schlechte Arbeitsbedingungen bei Schlecker gab es häufig. Von einer rigorosen Überwachung der Mitarbeiter war die Rede, von wenig Respekt der Geschäftsleitung gegenüber den Angestellten. Berichten zufolge musste das Unternehmen zwei Millionen Euro Strafe bezahlen, da Arbeitsverträge nicht eingehalten wurden.

Die Liste der Gläubiger ist sehr lang

Die Pleite trieb die Frauen nicht nur in die Arbeitslosigkeit. Viele fühlten sich getäuscht und hintergangen von der Firmenleitung. Vom Schlecker-Aus erfuhren viele erst aus den Medien. Die Frauen organisierten sich, protestierten gegen ihre Kündigung. Doch eine Transfergesellschaft gab es nicht. Vor allem die FDP blockierte die Möglichkeit, die Angestellten für sechs weitere Monate zu bezahlen. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) wurde für seinen Begriff der „Anschlussverwendung“ für die Schlecker-Frauen scharf kritisiert. Auch der Vorschlag der ehemaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Frauen auf Jobs in der Altenpflege oder im Kindergarten umzuschulen, sorgte für viel Kopfschütteln.

Wie viele Ex-Schlecker-Beschäftigte wieder Arbeit fanden, ist unklar. Positive Schätzungen vermuten rund die Hälfte in neuen Jobs – vorzugsweise in anderen Drogerien, Supermärkten oder Callcentern. „Etliche ehemalige Mitarbeiterinnen stehen heute deutlich schlechter da als noch zu Schlecker-Zeiten“, sagt Eva Völpel von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Bezahlung im Einzelhandel ist bei nicht tarifgebundenen Unternehmen meist schlecht, miserable Arbeitszeiten kommen hinzu. „Das ist keine Branche, in der man viel Geld verdient.“ Einige Frauen hätten selbst Insolvenz anmelden müssen.

Hoffnung auf Geld nach einem möglichen Gerichtsverfahren haben die Ex-Beschäftigten kaum. Die Liste der Gläubiger ist lang. Die Bundesagentur für Arbeit gehört auch dazu. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens übernahm sie die Lohnkosten – Schätzungen zufolge weit über 100 Millionen Euro. Was für die Beschäftigten im Falle eines Schlecker-Prozesses übrig bliebe, wäre allenfalls ein bisschen Genugtuung.