Frankfurt/Main. Die letzte Erhöhung der Krankenkassenbeiträge ist gerade durch, da deutet sich die nächste an. Es könnte 2017 Wahlkampfthema werden.

Die Krankenversicherung wird bald wieder zum politischen Thema, und sehr wahrscheinlich werden führende Gesundheitspolitiker wieder die sehr grundsätzliche Systemfrage stellen: private und gesetzliche Versicherung oder Einheitsversicherung? Zuletzt hatten private Krankenversicherer mit teils deftigen Beitragserhöhungen für Aufregung gesorgt, die genossenschaftliche R+V etwa mit Aufschlägen von bis 16,4 Prozent, die DKV aus dem Ergo-Konzern, der zur Münchener Rück gehört, mit bis zu 9,3 Prozent Plus.

Auch die gesetzlichen Krankenkassen melden sich. Martin Litsch, Chef des AOK-Bundesverbandes, bereitet Versicherte, Öffentlichkeit und letztlich auch die Parteien auf schlimme Folgen schlechter Zustände vor. Die Kassen „rutschen absehbar wieder ins Minus, obwohl die Wirtschaft brummt, der Arbeitsmarkt sehr robust ist und die Löhne steigen“, sagt er. Höhere Leistungen, die die große Koalition beschlossen habe, etwa eine bessere Pflege in Krankenhäusern oder ein Rechtsanspruch auf ärztliche Zweitmeinung bei bestimmten planbaren Operationen, gingen ins Geld, fürchtet der AOK-Bundesverband und rechnet mit Mehrkosten bis zum Ende der Legislaturperiode um 40 Milliarden Euro. Dabei haben die Kassen schon genug Schwierigkeiten. Seit Jahren, sagt Litsch, stiegen die Ausgaben schneller als die Einnahmen, und zwar um eineinhalb bis zwei Prozentpunkte.

Arbeitgeber trifft Beitragserhöhung nicht

Wo das hinführen kann, war am Jahresanfang zu sehen: Da erregte vor allem die DAK Gesundheit, drittgrößte gesetzliche Kasse, Aufmerksamkeit. Sie verlangte von ihren 6,1 Millionen Versicherten von Januar an 16,1 Prozent vom Bruttoeinkommen – 0,6 Prozentpunkte mehr als 2015. Das waren bei einem Verdienst von 2500 Euro brutto rund 15 Euro monatlich zusätzlich.

Das erweiterte Problem dabei ist, dass der Gesetzgeber für 2016 und auch für 2017 einen festen Beitrag von 14,6 Prozent festgelegt hat. Den teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Kassen dürfen, wenn sie mit dem Geld nicht auskommen, einen Zusatzbeitrag erheben. Diesen zahlt allein der Arbeitnehmer. Im Schnitt verlangen die gesetzlichen Krankenkassen weitere 1,1 Prozentpunkte. 2015 waren es durchschnittlich 0,9 Prozentpunkte. 2017 dürfte der Aufschlag weiter wachsen. Für den Versicherten wird es teurer, für den Arbeitgeber nicht – zumindest nach der geltenden Rechtslage.

Kommt Fusion von privater und gesetzlicher Kasse?

Aber 2017 ist Bundestagswahl, möglicherweise sind da höhere Kassenbeiträge aus Sicht einiger Politiker nicht so gewünscht. Wird also wieder mehr Solidarität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern kommen, der Arbeitgeberanteil also steigen? Und vor allem: Würde das genügen? Experten rechnen gar damit, dass im Wahlkampf die „Einheitsversicherung“ zum Thema wird. Mit dem beliebten Argument der „Zwei-Klassen-Medizin“, die dem Kassenpatienten nur schwer, dem Privatversicherten aber flott einen Termin beim Facharzt oder zum MRT ermöglicht, ließe sich der Wahlkampf sicher schön saftig anreichern.

Doch eine Fusion von privater und gesetzlicher Krankenversicherung dürften die knapp neun Millionen Privatversicherten, darunter etwas mehr als vier Millionen Staatsbedienstete, kaum dulden. Ob es dem System bekäme, ist auch umstritten. Schließlich stellen die Privatversicherten nur elf Prozent aller Versicherten, finanzieren das System aber zu 25 Prozent, während die 89 Prozent Pflichtversicherten 75 Prozent der Gesundheitskosten tragen. Viele Ärzte behaupten, ohne die Quasisubvention durch die privaten Kassen, also ohne die oft deutlich über Kassensatz liegenden Rechnungen an die Privatversicherten, könnten sie ihre Praxen nicht mehr wirtschaftlich betreiben.

Bizarre Vorgänge bei der Praxisvergabe

Freilich treiben die Verdienstchancen in gut gehenden Praxen mit hohem Anteil von Privatpatienten auch Blüten: Ärzte bewerben sich um die gesetzlich streng geregelte Praxisnachfolge eines altershalber ausscheidenden Kollegen, haben aber kein echtes Interesse, sondern lassen ihre Bewerbung später gegen einen fünfstelligen Eurobetrag fallen.

Um den Wunschnachfolger bei der kassenärztlichen Vereinigung durchsetzen zu können, zahlt der verkaufende Arzt widerwillig an den erpresserischen Bewerber und versucht, die Summe an den wahren Käufer weiterzureichen. Der wird seine Einstandskosten auch reinholen wollen: gern über Rechnungen an die Privatpatienten. Oder über möglicherweise unnötige Dienstleistungen auch an gesetzlich Versicherten.

Rücklagen der Privatversicherer wecken Begehrlichkeiten

Solche Schmuddeligkeiten im System könnten die Argumentation für eine Einheitsversicherung befördern, zumal drei von derzeit vier Bundestagsfraktionen im Grunde ihres Denkens gegen die Privatversicherung eingestellt sind. Die wird aber das Bundesverfassungsgericht womöglich auf ihre Seite ziehen können. Denn die privaten Krankenversicherungen haben rund 200 Milliarden Euro Altersrückstellungen aufgebaut. Deren Ertrag und Substanz soll helfen, die Beitragssteigerungen der Kunden im Alter zu dämpfen. Diese 200 Milliarden Euro könnten ein Einheitssystem entlasten, aber sie gehören nicht allen Krankenversicherten, sondern nur den privaten.