Stuttgart/Berlin. In der Prozesswelle um gekündigte Bausparverträge urteilte ein Gericht erstmals zugunsten der Kundin. Was bedeutet das für Verbraucher?

Überraschend hat das Oberlandesgericht Stuttgart ein erstes verbraucherfreundliches Urteil im Streit um die Kündigung von Bausparverträgen durch eine Bausparkasse gefällt. Es könnte für rund 200.000 betroffene Kunden in Deutschland wegweisend sein. Doch das letzte Wort wird wohl der Bundesgerichtshof haben. Bis dahin rollt die Klagewelle der Kunden wohl weiter. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:

• Worum ging es im Stuttgarter Fall?

Die Bausparkasse Wüstenrot hatte einer Kundin den Vertrag gekündigt, nachdem sie ihr angespartes Geld 22 Jahre lang auf dem Konto ließ und dafür jährlich drei Prozent Zinsen gutgeschrieben bekam. Der zuständige Richter stellte nun fest, dass die Kündigung unrechtmäßig war, weil die Kundin die Möglichkeit haben muss, ihr Bauspardarlehen in Anspruch zu nehmen. Fünf andere Oberlandesgerichte hatten zuvor gegen die Verbraucher entschieden. Nun prüft Wüstenrot eine Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

• Worum streiten sich Bausparer und ihre Bausparkassen?

Seit einigen Jahren kündigen einige Bausparkassen ihren Kunden Verträge, die eine vergleichsweise hohe Verzinsung vorsehen. Denn es gelingt den Instituten nicht mehr, diese Zusagen auch selbst durch die Vergabe von Darlehen oder Anlagen auf den Kapitalmärkten zu erwirtschaften. Umgekehrt lohnt es sich für Bausparer, die Verträge weiterlaufen zu lassen, weil sie gut verzinst sind. Darlehen für den Kauf oder Bau des Eigenheims gibt es mittlerweile anderswo genauso günstig oder billiger als auf die bereits lange laufenden Bausparverträge. Vor Gericht fechten nun viele von einer Kündigung betroffene Kunden die Rechtmäßigkeit der Vertragsauflösung an.

• Gibt es viele Betroffene?

Allein im vergangenen Jahr gab es rund 200.000 Kündigungen. Das ist angesichts von mehr als 29 Millionen Bausparverträgen nur eine Minderheit. Etwa 1000 Verbraucher sind gegen das Vorgehen ihre Bausparkasse bisher vor Gericht gezogen. Die bisher rund 200 Urteile zeigen noch kein einheitliches Rechtsverständnis der Gerichte. Zwar haben die Bausparkassen die meisten Streitfälle gewonnen, doch gab es auch Entscheidungen zugunsten der Kläger. Deshalb erwarten Fachleute, dass am Ende der Bundesgerichtshof (BGH) eine Grundsatzentscheidung treffen muss.

• Wie funktionieren Bausparverträge?

Bausparen ist ein Instrument zu einer preisgünstigen Finanzierung eines Hauses oder einer Wohnung. Die Kunden schließen einen Vertrag über eine Bausparsumme ihrer Wahl ab, zum Beispiel 40.000 Euro. Danach sparen sie einen Teil dieser Summe an. Hat der Sparer 40 Prozent der Bausparsumme aufgebracht, wird das Darlehen zuteilungsreif. Der Kunde kann die Differenz zwischen seinem eigenem Geld und der gesamten Bausparsumme als Darlehen abrufen.

• Was hat die Kündigungswelle ausgelöst?

Lange Zeit waren Bausparverträge insbesondere für Bauherren ohne große Vermögen interessant, weil sie Baudarlehen zu vergleichsweise niedrigen Zinsen vergaben. Das Geld dafür kam von den anderen Kunden, die noch in der Ansparphase steckten. Die Kredite konnten so günstig vergeben werden, weil die Institute auf die Guthaben der Verträge auch nur vergleichsweise wenige Zinsen bezahlten. In gewisser Weise entspricht das Geschäftsmodell einer Solidargemeinschaft für die günstige Finanzierung von Eigenheimen. Durch die Niedrigzinspolitik der Zentralbank geht die alte Rechnung aber nicht mehr auf. Hypothekendarlehen sind heute überall extrem preiswert. Und die den Bestandskunden vor Jahren oder Jahrzehnten zugesicherte Verzinsung ist mit oft drei Prozent oder mehr viel attraktiver als Tages- oder Festgeld. Deshalb lassen viele Kunden ihr Guthaben bei der Bausparkasse und nehmen ein benötigtes Darlehen bei einer billigen Bank auf. Das bringt die Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, weil sie hohe Zinszusagen einhalten müssen. Sie wollen diese Verträge lieber auflösen.

• Wie begründen die Bausparkassen die Kündigungen?

Es gibt zwei verschiedene Musterfälle. Im ersten Modell sind die Kündigungen wirksam. Hier hat der Kunde bereits so viel selbst eingezahlt, dass die volle Bausparsumme bereits erreicht wurde. Da der gesamte Betrag ausgeschöpft ist, kann er auch kein Darlehen mehr erhalten. In diesem Fall belässt er sein Vermögen also nur deshalb bei seinem Institut, weil es dort mehr Zinsen bringt als anderswo. Das halten die Bausparkassen für eine Zweckentfremdung des Bausparvertrages als reine Kapitalanlage. „Solche Kündigungen sind rechtens“, stellt das Verbraucherportal „Finanztip.de“ fest. Mehrere Gericht folgten den Argumenten der Institute bereits.

Weniger klar ist die zweite Fallkonstellation, wie in folgendem Beispiel: Kundin Meier hat von ihrer Bausparsumme über 40.000 Euro bereits 25.000 Euro angespart. Sie könnte also nun ein Darlehen über 15.000 Euro erhalten. Nun zahlt Meier jahrelang weder weiter etwas ein noch ruft sie den Kredit ab. Die Institute berufen sich in diesem Fall auf ein gesetzliches Kündigungsrecht, dass Darlehensnehmern zehn Jahre nach dem Empfang der Leistung eine Vertragsauslösung erlaubt. Sie sehen sich dabei selbst als Darlehensnehmer, weil sie für die Kundeneinlage ja Zinsen bezahlen. Hier haben Richter bisher unterschiedliche Sichtweisen. Verschiedene Landgerichte bestätigten die Auffassung der Unternehmen, andere entschieden zugunsten der Verbraucher.

• Was können Verbraucher tun?

„Finanztip.de“ rät zu einem Widerspruch gegen eine Vertragsauflösung. Auch sollten Kunden sich entweder an eine Verbraucherzentrale oder einen Rechtsanwalt wenden, um sich dort eingehend beraten zu lassen.