Washington/Berlin. Die Rückrufe haben sich in jüngster Zeit gehäuft beim Volkswagen-Konzern. Wieso ein Zeitgewinn in der Dieselaffäre da kein Trost ist.

Möglicherweise fragt sich VW-Chef Matthias Müller in einer stillen Minute, warum die schlechten Nachrichten gerade jetzt nicht abreißen. Wo es doch in den USA langsam Bewegung gibt in der Bewältigung des Abgasskandals, der den Konzern seit September 2015 erschüttert. Allein in dieser Woche musste VW zwei Rückrufe für insgesamt rund eine Million Autos wegen technischer Mängel starten. Betroffen sind die Modelle VW Passat, VW Tuareg und Porsche Cayenne. Eine Verbindung zum Dieselskandal gibt es nicht – doch es leidet das Bild des Konzerns, der sich etwas auf seine Ingenieurleistungen einbildet.

Beim Passat gibt es Probleme mit der Zentralelektrik, der Motor kann ausfallen, weil eine Steckverbindung möglicherweise nicht richtig sitzt. Insgesamt 177.000 Passat der Baujahre 2014 und 2015 müssen in die Werkstätten, 63.000 davon in Deutschland. Dann kam der Rückruf bei zwei Prestigemodellen: 390.000 VW Tuareg und 410.000 Porsche Cayenne, es geht um einen Sicherungsring am Lagerblock der Pedale.

Bei Abgas-Rückruf nicht im Plan

Auch an anderer Stelle hakt es. Der erste große Rückruf im Zusammenhang mit der Dieselaffäre ist vier Wochen hinter dem Zeitplan. VW wartet auf die Freigabe durch das Kraftfahrt-Bundesamt. Offenbar wird noch getestet. Und vor allem gesprochen. Wobei klar ist: Die Abgaswerte müssen die Grenzwerte einhalten, gleichzeitig darf der Spritverbrauch nach der Reparatur nicht steigen. Es geht bei diesem Rückruf um rund 160.000 Passat und knapp 90.000 Fahrzeuge von Audi und Skoda mit Dieselmotoren.

VW hatte jahrelang eine Software in Dieselmotoren eingebaut, die eine Testsituation erkannte und den Motor so regelte, dass er die jeweiligen Grenzwerte für Stickoxide einhielt. Im Straßenbetrieb lagen sie dann deutlich höher – etwa 40-mal mehr als die strengen kalifornischen Grenzwerte zulassen. Die US-Umweltbehörde Epa und die kalifornische Aufsichtsbehörde Carb machten die Manipulationen am 18 September 2015 öffentlich, nachdem sich VW zuvor nicht kooperativ gezeigt hatte. VW gab sie inzwischen zu. Weltweit sind elf Millionen Fahrzeuge betroffen. Vor allem in den USA drohen Milliardenstrafen, zudem sind zahlreiche Sammelklagen anhängig.

US-Richter gibt mehr Zeit

Immerhin hat der Konzern dort etwas Zeit gewonnen. In Kalifornien setzte Richter Charles Breyer bei einer Anhörung eine Frist bis 21. April, um ein „spezifisches und detailliertes“ Reparaturkonzept für rund 600.000 manipulierte Dieselfahrzeuge vorzulegen. Breyer ist mit rund 500 Zivilklagen im potenziellen Gegenwert von mehreren Milliarden Dollar befasst.

Es ist das letzte Ultimatum vor dem Showdown. Sollte der Wolfsburger Autobauer nicht liefern, wird Breyer dem Unternehmen die Bedingungen diktieren. Er könnte – ohne eine Jury hinzuzuziehen – hohe Geldstrafen verhängen, die Stilllegung von Autos anordnen oder VW dazu zwingen, manipulierte Wagen zurückzukaufen.

Ursprünglich sollte der Konzern gut sechs Monate nach Bekanntwerden des Skandals in dieser Woche einen von EPA und Carb genehmigten Plan für die technische Nachrüstung der betroffenen Autos vorstellen, deren Motoren gegen die geltenden Emissionsschutzgesetze in den USA verstoßen. Für VW machte Anwalt Robert Giuffra geltend, dass der Konzern „Tag und Nacht“ an einer Lösung arbeite. Es gebe „nennenswerte Fortschritte“. Man sei aber noch nicht fertig.

Nachrüstung teuer und vergebens?

Dahinter steckt nach Angaben von Insidern aus der Automobilbranche eine „schwierige technische Gemengelage“. Kurzfassung: Für einen erheblichen Teil der 600.000 in den USA betroffenen Fahrzeuge wird die technische Nachrüstung sehr teuer, ohne dabei trotz eines neuen Katalysators und anderer Nachbesserungen die strikten Umweltvorgaben einzuhalten. Zudem verbrauchen die Wagen mehr Sprit als bisher.

Unter anderem darum verhandelt VW in Kalifornien darüber, rund 80.000 der besagten Stickstoffschleudern auf der Straße zu lassen und dafür einen individuellen Ausgleich an den Bundesstaat zu zahlen. Ein Rückkauf dieser Autos und die Finanzierung eines Umweltfonds, aus dem Kalifornien Luftreinhaltemaßnahmen bezahlen würde, käme „vielleicht billiger“, sagte ein mit den Verhandlungen vertrauter Sachverständiger der Carb-Behörde bereits vor Wochen unserer Redaktion.

Einstiger GM-Manager sieht keine technische Lösung

Wie auch immer die Gesamtlösung aussehen wird, über die sich Richter Breyer fortan im Wochentakt unterrichten lassen will: Der Jurist will seine Geduld nicht länger strapazieren lassen. „Es ist eine ununterbrochene Schädigung die Umwelt. Die Autos verpesten die Luft, wir müssen das lösen“, sagte Breyer. In der US-Auto-Branche wird erwartet, dass VW seine manipulierten Wagen in großem Maßstab zurückkaufen muss. „Es gibt keine Möglichkeit, diese nicht konformen Autos zu reparieren“, sagte der ehemalige Vizechef des Autoriesen General Motors, Bob Lutz, in einem Interview.