Berlin. Bundeswirtschaftsminister Gabriel legt eine Digitalisierungsstrategie vor. 100 Milliarden Euro sollen in ein Glasfasernetz fließen.

Besser hätte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) seinen Vorstoß für ein schnelles Internet nicht platzieren können. Erst am Montagmorgen schlug Industriepräsident Ulrich Grillo Alarm und warnte vor einem wirtschaftlichen Rückschlag für Deutschland, weil der Ausbau digitaler Netze „dramatisch“ stocke. „Es ist Gefahr im Verzug“, sagte Grillo zur Eröffnung der Computermesse Cebit in Hannover.

Wenige Stunden später präsentierte Gabriel sein Konzept zur Abhilfe: Mit Investitionen von 100 Milliarden Euro soll in den nächsten zehn Jahren ein hochleistungsfähiges und flächendeckendes Glasfasernetz in Deutschland geschaffen werden. Ohne die richtigen Datenautobahnen werde Deutschland die Digitalisierung nicht bewältigen können, heißt es in Gabriels „Digitaler Strategie 2025“, die er Montagabend auf der Cebit vorlegen wollte. Mit seinem 50-Seiten-Programm kommt der Minister auch Forderungen aus der Wirtschaft nach. Gabriel nimmt dafür in Kauf, dass er vor allem den für Netzausbau zuständigen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) düpiert.

„Deutschland hat kein schnelles Internet“

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Eröffnung der CeBIT in Hannover.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei der Eröffnung der CeBIT in Hannover. © dpa | Peter Steffen

Denn Dobrindt hat sich im Regierungsauftrag das wenig ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2018 flächendeckend Internet mit Übertragungsraten von mindestens 50 Megabit pro Sekunde zu sichern. Noch ist unklar, ob dieses Ziel des Breitbandausbaus überhaupt erreicht wird. Mit den optischen Signalen des Glasfaserinternets sind dagegen schon heute Übertragungsraten von 300 Megabit möglich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) klagt: „Wir haben eine der schlechtesten digitalen Infrastrukturen Europas.“ Industriepräsident Grillo warnt, wenn Deutschland jetzt nicht zum Sprung in die Gigabitgesellschaft ansetze, werde der Industriestandort auf Jahre abgehängt.

Auch in Gabriels Programm wird offen zugegeben: „Deutschland hat kein schnelles Internet.“ Nur etwa 15 Prozent der Internetzugänge erreichen Übertragungsraten von mehr als 15 Megabit pro Sekunde – in Südkorea sind es über 50 Prozent. Noch immer gibt es in Deutschland sogar weiße Flecken bei der Internetversorgung. Gabriel ist sich mit der Wirtschaft einig: Die bisherige Breitbandstrategie der Regierung müsse schon jetzt um einen Glasfaseransatz über 2018 hinaus ergänzt werden.

Es gibt noch weiße Flecken bei der Internetversorgung

Gabriels Plan: Für die Ballungsgebiete will er vor allem private Investitionen erleichtern. Förderprogramme und Planungsverfahren sollen einfacher werden. Auch könnten Kabel oberirdisch verlegt oder andere Netztrassen mitgenutzt werden. Für den Ausbau in den ländlichen Regionen schlägt der Minister einen Zukunftsinvestitionsfonds von rund zehn Milliarden Euro vor – gespeist auch durch Erlöse aus den nächsten UMTS-Frequenzen-Versteigerungen.

Gabriels Fachleute drängen: „Ohne schnelle Internetverbindungen ist alles nur Schall und Rauch“, sagt Staatssekretär Matthias Machnig (SPD). Die Echtzeitkommunikation im Gigabitbereich werde etwa für neue Vertriebswege, autonomes Fahren oder die Digitalisierung der Industrieproduktion gebraucht. Das Tempo des Wandels nehme zu, heißt es warnend in dem Konzept. Heute seien etwa 20 Milliarden Geräte und Maschinen über das Internet vernetzt, bis 2030 sollen es schon eine halbe Billion sein.

Bisher herrscht Abstimmungswirrwarr

Wie schnell Gabriels Netzplan umgesetzt wird, ist unklar. Er bräuchte die Zustimmung seiner Kabinettskollegen. Bislang ist die Zuständigkeit für die Digitalisierung auf die Ministerien für Wirtschaft, Verkehr und Inneres aufgeteilt, auch das Kanzleramt spielt mit. Experten kritisieren die Zersplitterung schon länger. In Gabriels Ressort wird über die „heilige Vierfaltigkeit“ gespottet – und über mühsame Abstimmungsprozesse geklagt.

Nun zieht der Minister im Alleingang Konsequenzen. Sein Zehn-Punkte-Konzept sieht etwa eine bessere Förderung von Gründern vor: Junge Unternehmen sollen bereits in diesem Jahr leichter an Wachstumskapital kommen. Kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bei der Digitalisierung gefährlich im Rückstand sind, will das Ministerium mit einer Milliarde Euro bis 2018 bei der Aufholjagd helfen. In Berlin ist dafür ein „Haus der Digitalisierung“ geplant. Für die Förderung der Mikroelektronik ist eine weitere Milliarde vorgesehen. Das Konzept sieht auch einen neuen Bildungsschwerpunkt Digitalisierung an Schulen vor, zielt auf höhere Datensicherheit und ein „Digitalgesetzbuch“.

Gabriel übernimmt Führungsrolle in Sachen Digitalisierung

So wagt sich der Minister weit in andere Ressorts hinein. Geht es nach ihm, gäbe es für die Koordinierung bald eine Digitalagentur des Bundes als Kompetenzzentrum. Zum Einstieg will er dafür die ihm unterstellte Bundesnetzagentur ausbauen. In der Praxis übernimmt der Wirtschaftsminister damit in der Regierung forsch eine Führungsrolle bei der Digitalisierung. Deutschland müsse sich an die Spitze der Bewegung setzen, heißt es in dem Konzept. Das nimmt Gabriel offenbar auch als persönlichen Auftrag.