Washington. Volkswagens Amerika-Chef Michael Horn ist zurückgetreten. Die VW-Autohändler in den USA kritisieren deshalb jetzt die Konzern-Führung.

Der überraschende Rücktritt von Volkswagens Amerika-Chef Michael Horn am Mittwochabend hat dem in der Diesel-Betrugs-Affäre von diversen Klagen und möglichen Schadensersatzforderungen in Milliarden-Höhe betroffenen Auto-Konzern eine zusätzliche Großbaustelle beschert.

In einem Brandbrief, der unserer Redaktion vorliegt, wirft das Führungsgremium der 650 VW-Händler in den Vereinigten Staaten der Konzern-Führung in Wolfsburg in der Causa Horn schweres „Missmanagement“ vor. Horns Abgang, dessen Hintergründe bis zur Stunde unbekannt sind, sei „kontraproduktiv“ und werde das Unternehmen in den Verhandlungen mit den US-Behörden „nur noch weiter in Gefahr bringen“, heißt es in dem Schreiben von Alan Brown.

Der aus Texas stammende Chef des Rates der VW-Händler formuliert damit nach Ansicht von Branchen-Experten nicht weniger als eine Misstrauenserklärung gegen Hinrich Woebcken. Der ehemalige BMW-Mann sollte am 1. April die Gesamtleitung für die VW-Region USA, Mexiko, Kanada übernehmen. Horns Rücktritt zwingt ihn von der Aufseher-Rolle ad hoc in das von starken Umsatzeinbußen geprägte operative Geschäft in den USA.

Horns Schuldeingeständnis kam bei VW-Händlern gut an

Händler-Vertreter Brown sah in Horn in Amerika den einzigen relevanten VW-Aktivposten auf der Vertriebsebene. Horn sei es gewesen, der die mangelhafte Produktpalette des deutschen Autobauers auf dem umkämpften US-Markt früh identifiziert und für den Bau eines neuen SUV geworben habe, der ab Ende 2016 im Werk Chattanooga vom Band laufen soll. Nur Horn sei es zu verdanken, dass der Händlerverbund nach Jahrzehnten „falscher Versprechungen“ wieder „Vertrauen“ in die Marke VW gefasst habe.

Hintergrund: Als Chef der „Volkswagen Group of America“ war Horn die Profitabilität der Händler ein besonderes Anliegen. Durch verschiedene Finanztöpfe sorgte er dafür, dass die „Dealer“ die Umsatzeinbußen bei Diesel-Fahrzeugen besser kompensieren konnte.

„Wir haben totalen Mist gebaut“

Brown, der am kommenden Wochenende nach Wolfsburg fliegen will, um die Personalie an höchster Stelle zu erörtern, lobte ausdrücklich Horns öffentliches Schuldeingeständnis in der Diesel-Affäre. „Wir waren unehrlich zur Umweltbehörde EPA, wir waren unehrlich zu den Behörden in Kalifornien und, am schlimmsten von allem, wir waren unehrlich zu unseren Kunden. Um es auf gut Deutsch zu sagen: Wir haben totalen Mist gebaut.“

Abgas-Skandal: VWs juristische Probleme

Eine der größten Herausforderungen im Abgas-Skandal rollt erst noch auf Volkswagen und Konzern-Chef Matthias Müller zu. Das Unternehmen dürfte zahlreiche Schlachten vor Gericht ausfechten müssen. Die wichtigsten juristischen Baustellen des Konzerns im Überblick:
Eine der größten Herausforderungen im Abgas-Skandal rollt erst noch auf Volkswagen und Konzern-Chef Matthias Müller zu. Das Unternehmen dürfte zahlreiche Schlachten vor Gericht ausfechten müssen. Die wichtigsten juristischen Baustellen des Konzerns im Überblick: © Getty Images | Harold Cunningham
Aktionäre fordern Entschädigung: Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch der Abgas-Affäre ab, viele Anleger wollen sich ihre Verluste vom Unternehmen erstatten lassen. Ihr Argument: VW hätte deutlich früher über die Probleme informieren müssen, weil Kursabschläge drohten. Mittlerweile haben auch institutionelle Großanleger entsprechende Klagen lanciert, darunter der größte US-Pensionsfonds Calpers und die Sparkassen-Fondstochter Deka. Der Vermögensverwalter AGI – eine Allianz-Tochter – erwägt die Teilnahme an einer Sammelklage. Volkswagen bekräftige mehrfach seine Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben.
Aktionäre fordern Entschädigung: Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch der Abgas-Affäre ab, viele Anleger wollen sich ihre Verluste vom Unternehmen erstatten lassen. Ihr Argument: VW hätte deutlich früher über die Probleme informieren müssen, weil Kursabschläge drohten. Mittlerweile haben auch institutionelle Großanleger entsprechende Klagen lanciert, darunter der größte US-Pensionsfonds Calpers und die Sparkassen-Fondstochter Deka. Der Vermögensverwalter AGI – eine Allianz-Tochter – erwägt die Teilnahme an einer Sammelklage. Volkswagen bekräftige mehrfach seine Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben. © dpa | Frank Rumpenhorst
Klagen einzelner VW-Besitzer: Weltweit wollen VW-Fahrer Schadenersatz einklagen. Meist wird dabei ein Wertverlust der Autos geltend gemacht. Wenn sich etwa die Leistungs- und Verbrauchsdaten durch notwendige Umrüstungen erheblich verschlechtern, könnte so eine Klage erfolgreich sein. VW weist aber darauf hin, dass alle betroffenen Fahrzeuge „technisch sicher und fahrbereit“ seien. Es werde keine Folgen für die Restwerte geben.
Klagen einzelner VW-Besitzer: Weltweit wollen VW-Fahrer Schadenersatz einklagen. Meist wird dabei ein Wertverlust der Autos geltend gemacht. Wenn sich etwa die Leistungs- und Verbrauchsdaten durch notwendige Umrüstungen erheblich verschlechtern, könnte so eine Klage erfolgreich sein. VW weist aber darauf hin, dass alle betroffenen Fahrzeuge „technisch sicher und fahrbereit“ seien. Es werde keine Folgen für die Restwerte geben. © dpa | Julian Stratenschulte
Aktionäre fordern Entschädigung: Auch viele Anleger fühlen sich geprellt. Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals ab, einige Aktionäre wollen sich ihre Verluste vom Konzern ersetzen lassen. Die Argumentation: VW hätte deutlich früher über den aufkommenden Skandal informieren müssen, weil Kursverluste drohten. VW ist der Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben.
Aktionäre fordern Entschädigung: Auch viele Anleger fühlen sich geprellt. Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals ab, einige Aktionäre wollen sich ihre Verluste vom Konzern ersetzen lassen. Die Argumentation: VW hätte deutlich früher über den aufkommenden Skandal informieren müssen, weil Kursverluste drohten. VW ist der Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben. © dpa | Julian Stratenschulte
Sammelklagen: Viele Anwälte buhlen derzeit darum, sowohl Aktionäre als auch VW-Kunden vor Gericht vertreten zu dürfen. In den USA sind Sammelklagen ganz normal, in Deutschland können zumindest Aktionäre ein sogenanntes Musterklageverfahren beantragen. Dabei wird eine Klage gegen VW verhandelt, an deren Ausgang sich dann andere Klagen orientieren. VW-Chef Matthias Müller sieht in Massenklagen ein Geschäftsmodell von Juristen: „Wir sehen dem ganz gelassen entgegen.“
Sammelklagen: Viele Anwälte buhlen derzeit darum, sowohl Aktionäre als auch VW-Kunden vor Gericht vertreten zu dürfen. In den USA sind Sammelklagen ganz normal, in Deutschland können zumindest Aktionäre ein sogenanntes Musterklageverfahren beantragen. Dabei wird eine Klage gegen VW verhandelt, an deren Ausgang sich dann andere Klagen orientieren. VW-Chef Matthias Müller sieht in Massenklagen ein Geschäftsmodell von Juristen: „Wir sehen dem ganz gelassen entgegen.“ © dpa | Julian Stratenschulte
Klagen der US-Behörden: Zum Jahresbeginn hat das US-Justizministerium eine Klage gegen VW vorgelegt. Dabei geht es um die Manipulationen an Dieselautos, das Ministerium wirft dem Konzern aber auch in der Aufarbeitung der Abgas-Affäre Tricksereien und Täuschung vor. Theoretisch droht eine Strafe von rund 45 Milliarden Dollar (40,7 Milliarden Euro) plus eine weitere, möglicherweise milliardenschwere Zahlung im Ermessen des Gerichts, wie aus der Klageschrift hervorgeht. VW will sich mit Verweis auf die laufenden Verfahren nicht dazu äußern.
Klagen der US-Behörden: Zum Jahresbeginn hat das US-Justizministerium eine Klage gegen VW vorgelegt. Dabei geht es um die Manipulationen an Dieselautos, das Ministerium wirft dem Konzern aber auch in der Aufarbeitung der Abgas-Affäre Tricksereien und Täuschung vor. Theoretisch droht eine Strafe von rund 45 Milliarden Dollar (40,7 Milliarden Euro) plus eine weitere, möglicherweise milliardenschwere Zahlung im Ermessen des Gerichts, wie aus der Klageschrift hervorgeht. VW will sich mit Verweis auf die laufenden Verfahren nicht dazu äußern. © dpa | Patrick Pleul
Betrugsanzeigen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nach den Manipulationen von Stickoxidwerten gegen sechs Beschuldigte aus dem VW-Konzern wegen Verdachts auf Betrug und unlauteren Wettbewerb. Gegen fünf weitere wird wegen möglicher Falschangaben bei CO2-Werten ermittelt. Der Vorwurf lautet hier vor allem auf Steuerhinterziehung, weil sich die deutsche Kfz-Steuer stark am CO2-Ausstoß orientiert. Die Staatsanwaltschaft rechnet damit, dass es noch Monate dauert, bis Ergebnisse vorliegen. VW will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
Betrugsanzeigen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nach den Manipulationen von Stickoxidwerten gegen sechs Beschuldigte aus dem VW-Konzern wegen Verdachts auf Betrug und unlauteren Wettbewerb. Gegen fünf weitere wird wegen möglicher Falschangaben bei CO2-Werten ermittelt. Der Vorwurf lautet hier vor allem auf Steuerhinterziehung, weil sich die deutsche Kfz-Steuer stark am CO2-Ausstoß orientiert. Die Staatsanwaltschaft rechnet damit, dass es noch Monate dauert, bis Ergebnisse vorliegen. VW will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. © dpa | Kay Nietfeld
1/7

Mit diesen Worten hatte Horn im September 2015 in den USA den Ton vorgegeben, als die ganze Dimension des Abgas-Betrugsskandals erstmals öffentlich wurde. Anfang Oktober steckte der seit fast einem Vierteljahrhundert für VW tätig gewesene Vertriebsfachmann bei einer Anhörung im Kongress in Washington stundenlang geduldig die rhetorischen Prügel vieler Abgeordneter ein. Selbst scharfe VW-Kritiker lobten Horns Auftritt später als „aufrichtig“.

VW kann manipulierte Autos wohl nicht ausreichend reparieren

In Fachkreisen der Automobilwirtschaft wird der Rücktritt Horns mit der unverändert schleppenden Aufarbeitung der Betrugsaffäre erklärt. Horn wiederholte seit Monaten, dass an einer zügigen Lösung für die rund 600.000 in den USA betroffenen Fahrzeuge gearbeitet werde. Allein, bis heute liegen keine von den zuständigen Umweltbehörden in Washington (EPA) und Kalifornien (Carb) genehmigten Nachrüstungskonzepte vor.

Ob dies bis zur Frist am 24. März gelingt, die der mit rund 600 Sammelklagen gegen VW befasste Richter Charles Breyer in San Francisco festgesetzt hat, erscheint fraglich. Wie unsere Redaktion aus Kreisen der kalifornischen Umweltbehörde Carb erfuhr, sieht sich VW offensichtlich nicht in der Lage, alle manipulierten Autos exakt so zu reparieren, dass sie künftig den strengen Umweltbestimmungen im Westküsten-Staat Genüge tun.

„Michael Horn wollte für das Versagen der Führung in Wolfsburg wohl nicht länger den Kopf hinhalten“, vermutete ein Auto-Insider aus Detroit im Gespräch mit unserer Redaktion, „darum hat er auch Angebote ausgeschlagen, in anderen Ländern für VW tätig zu werden.“ Horn selber sowie die VW-Amerika-Zentrale in Herndon bei Washington waren für Stellungnahmen nicht zu erreichen.