Volkswagen-Chef Matthias Müller über die Bürde der Abgas-Affäre, die Sorgen der Mitarbeiter und sein Verhältnis zu Ferdinand Piëch.

Vorstandschef Matthias Müller soll VW aus der Krise führen. In seinem kleinen Büro auf dem Autosalon in Genf sprach Müller über Feigheit, Risikobereitschaft und Zuversicht.

Frage: Herr Müller, VW steckt in der Krise – was macht Sie so zuversichtlich?

Matthias Müller: Die professionelle Art und Weise, wie wir allen Unkenrufen zum Trotz die Dieselkrise bearbeiten und meistern. Und auch die Arbeit an der neuen Struktur, an einer erneuerten Führungskultur, an unserer Strategie für die nächste Dekade läuft planmäßig. Die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat und den Arbeitnehmervertretern ist sehr fruchtbar und kooperativ. Daraus schöpfe ich Zuversicht.

Frage: Im April will Volkswagen seine Untersuchungsergebnisse zum Dieselskandal vorlegen. Werden dann alle Fragen beantwortet sein?

Matthias Müller: Herr Dr. Winterkorn hat ja bereits die politische Verantwortung für den Sachverhalt übernommen. Inwieweit der Bericht eine Antwort auf jede sich stellende Frage gibt, kann ich derzeit nicht sagen. Klar ist, dass die Untersuchung sehr umfänglich, sehr neutral und sehr sorgfältig durchgeführt wird. Daher gehe ich davon aus, dass wir zumindest diesen Vorgang damit abschließen können.

Abgas-Skandal: VWs juristische Probleme

Eine der größten Herausforderungen im Abgas-Skandal rollt erst noch auf Volkswagen und Konzern-Chef Matthias Müller zu. Das Unternehmen dürfte zahlreiche Schlachten vor Gericht ausfechten müssen. Die wichtigsten juristischen Baustellen des Konzerns im Überblick:
Eine der größten Herausforderungen im Abgas-Skandal rollt erst noch auf Volkswagen und Konzern-Chef Matthias Müller zu. Das Unternehmen dürfte zahlreiche Schlachten vor Gericht ausfechten müssen. Die wichtigsten juristischen Baustellen des Konzerns im Überblick: © Getty Images | Harold Cunningham
Aktionäre fordern Entschädigung: Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch der Abgas-Affäre ab, viele Anleger wollen sich ihre Verluste vom Unternehmen erstatten lassen. Ihr Argument: VW hätte deutlich früher über die Probleme informieren müssen, weil Kursabschläge drohten. Mittlerweile haben auch institutionelle Großanleger entsprechende Klagen lanciert, darunter der größte US-Pensionsfonds Calpers und die Sparkassen-Fondstochter Deka. Der Vermögensverwalter AGI – eine Allianz-Tochter – erwägt die Teilnahme an einer Sammelklage. Volkswagen bekräftige mehrfach seine Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben.
Aktionäre fordern Entschädigung: Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch der Abgas-Affäre ab, viele Anleger wollen sich ihre Verluste vom Unternehmen erstatten lassen. Ihr Argument: VW hätte deutlich früher über die Probleme informieren müssen, weil Kursabschläge drohten. Mittlerweile haben auch institutionelle Großanleger entsprechende Klagen lanciert, darunter der größte US-Pensionsfonds Calpers und die Sparkassen-Fondstochter Deka. Der Vermögensverwalter AGI – eine Allianz-Tochter – erwägt die Teilnahme an einer Sammelklage. Volkswagen bekräftige mehrfach seine Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben. © dpa | Frank Rumpenhorst
Klagen einzelner VW-Besitzer: Weltweit wollen VW-Fahrer Schadenersatz einklagen. Meist wird dabei ein Wertverlust der Autos geltend gemacht. Wenn sich etwa die Leistungs- und Verbrauchsdaten durch notwendige Umrüstungen erheblich verschlechtern, könnte so eine Klage erfolgreich sein. VW weist aber darauf hin, dass alle betroffenen Fahrzeuge „technisch sicher und fahrbereit“ seien. Es werde keine Folgen für die Restwerte geben.
Klagen einzelner VW-Besitzer: Weltweit wollen VW-Fahrer Schadenersatz einklagen. Meist wird dabei ein Wertverlust der Autos geltend gemacht. Wenn sich etwa die Leistungs- und Verbrauchsdaten durch notwendige Umrüstungen erheblich verschlechtern, könnte so eine Klage erfolgreich sein. VW weist aber darauf hin, dass alle betroffenen Fahrzeuge „technisch sicher und fahrbereit“ seien. Es werde keine Folgen für die Restwerte geben. © dpa | Julian Stratenschulte
Aktionäre fordern Entschädigung: Auch viele Anleger fühlen sich geprellt. Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals ab, einige Aktionäre wollen sich ihre Verluste vom Konzern ersetzen lassen. Die Argumentation: VW hätte deutlich früher über den aufkommenden Skandal informieren müssen, weil Kursverluste drohten. VW ist der Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben.
Aktionäre fordern Entschädigung: Auch viele Anleger fühlen sich geprellt. Die VW-Aktie stürzte nach dem Ausbruch des Abgas-Skandals ab, einige Aktionäre wollen sich ihre Verluste vom Konzern ersetzen lassen. Die Argumentation: VW hätte deutlich früher über den aufkommenden Skandal informieren müssen, weil Kursverluste drohten. VW ist der Auffassung, alle Informationspflichten befolgt zu haben. © dpa | Julian Stratenschulte
Sammelklagen: Viele Anwälte buhlen derzeit darum, sowohl Aktionäre als auch VW-Kunden vor Gericht vertreten zu dürfen. In den USA sind Sammelklagen ganz normal, in Deutschland können zumindest Aktionäre ein sogenanntes Musterklageverfahren beantragen. Dabei wird eine Klage gegen VW verhandelt, an deren Ausgang sich dann andere Klagen orientieren. VW-Chef Matthias Müller sieht in Massenklagen ein Geschäftsmodell von Juristen: „Wir sehen dem ganz gelassen entgegen.“
Sammelklagen: Viele Anwälte buhlen derzeit darum, sowohl Aktionäre als auch VW-Kunden vor Gericht vertreten zu dürfen. In den USA sind Sammelklagen ganz normal, in Deutschland können zumindest Aktionäre ein sogenanntes Musterklageverfahren beantragen. Dabei wird eine Klage gegen VW verhandelt, an deren Ausgang sich dann andere Klagen orientieren. VW-Chef Matthias Müller sieht in Massenklagen ein Geschäftsmodell von Juristen: „Wir sehen dem ganz gelassen entgegen.“ © dpa | Julian Stratenschulte
Klagen der US-Behörden: Zum Jahresbeginn hat das US-Justizministerium eine Klage gegen VW vorgelegt. Dabei geht es um die Manipulationen an Dieselautos, das Ministerium wirft dem Konzern aber auch in der Aufarbeitung der Abgas-Affäre Tricksereien und Täuschung vor. Theoretisch droht eine Strafe von rund 45 Milliarden Dollar (40,7 Milliarden Euro) plus eine weitere, möglicherweise milliardenschwere Zahlung im Ermessen des Gerichts, wie aus der Klageschrift hervorgeht. VW will sich mit Verweis auf die laufenden Verfahren nicht dazu äußern.
Klagen der US-Behörden: Zum Jahresbeginn hat das US-Justizministerium eine Klage gegen VW vorgelegt. Dabei geht es um die Manipulationen an Dieselautos, das Ministerium wirft dem Konzern aber auch in der Aufarbeitung der Abgas-Affäre Tricksereien und Täuschung vor. Theoretisch droht eine Strafe von rund 45 Milliarden Dollar (40,7 Milliarden Euro) plus eine weitere, möglicherweise milliardenschwere Zahlung im Ermessen des Gerichts, wie aus der Klageschrift hervorgeht. VW will sich mit Verweis auf die laufenden Verfahren nicht dazu äußern. © dpa | Patrick Pleul
Betrugsanzeigen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nach den Manipulationen von Stickoxidwerten gegen sechs Beschuldigte aus dem VW-Konzern wegen Verdachts auf Betrug und unlauteren Wettbewerb. Gegen fünf weitere wird wegen möglicher Falschangaben bei CO2-Werten ermittelt. Der Vorwurf lautet hier vor allem auf Steuerhinterziehung, weil sich die deutsche Kfz-Steuer stark am CO2-Ausstoß orientiert. Die Staatsanwaltschaft rechnet damit, dass es noch Monate dauert, bis Ergebnisse vorliegen. VW will sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
Betrugsanzeigen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt nach den Manipulationen von Stickoxidwerten gegen sechs Beschuldigte aus dem VW-Konzern wegen Verdachts auf Betrug und unlauteren Wettbewerb. Gegen fünf weitere wird wegen möglicher Falschangaben bei CO2-Werten ermittelt. Der Vorwurf lautet hier vor allem auf Steuerhinterziehung, weil sich die deutsche Kfz-Steuer stark am CO2-Ausstoß orientiert. Die Staatsanwaltschaft rechnet damit, dass es noch Monate dauert, bis Ergebnisse vorliegen. VW will sich zu den Vorwürfen nicht äußern. © dpa | Kay Nietfeld
1/7

Frage: Das heißt, der Untersuchungsbericht schafft die Basis für einen Neuanfang von Volkswagen?

Matthias Müller: Davon gehe ich aus, ja. Es wurden Hunderte Interviews geführt und mehr als 100 Terabyte Daten gesichtet – das entspricht etwa 50 Millionen Büchern. Mit diesem gewaltigen Aufwand sollte das Thema erschöpfend genug behandelt worden sein. Was aber entscheidend ist: Wir werden aus den Untersuchungsergebnissen die notwendigen Konsequenzen ziehen. Sollten dazu auch personelle Konsequenzen gehören, werden wir das selbstverständlich tun. In den Arbeitsabläufen und in der Organisation haben wir schon Veränderungen vorgenommen. So wollen wir sicherstellen, dass sich so ein Fall nicht wiederholen kann. Allerdings lässt sich menschliches Fehlverhalten auch mit den besten Prozessen nie vollständig ausschalten. Auch das gehört zur Wahrheit.

Frage: Wird im April auch feststehen, wie es mit der Nachrüstung der Dieselmodelle in den USA weitergeht?

Matthias Müller: In den USA sind wir mit den Behörden in einem sehr konstruktiven Dialog. In Europa sind wir längst einen Schritt weiter. Der Rückruf läuft und wird zügig abgearbeitet.

Frage: Warum gibt es derzeit in den USA kein Weiterkommen?

Matthias Müller: Wie gesagt, wir sind mit allen zuständigen Behörden in intensiven Gesprächen über eine tragfähige Gesamtlösung. Wir haben vereinbart, zu den Inhalten Stillschweigen zu bewahren, bis es Entscheidungen gibt. Ich bitte da um Ihr Verständnis.

Frage: Bei all den geschilderten Herausforderungen ist das Unternehmen auf die Belegschaft angewiesen. Wie wollen Sie die Mitarbeiter motivieren?

Matthias Müller: Mein Credo bleibt: Es wird nur gemeinsam gehen. Deshalb ist mir die Kommunikation mit der Mannschaft extrem wichtig. Wir müssen die Mitarbeiter mitnehmen und immer wieder informieren über den Veränderungsprozess: Wohin wollen wir Volkswagen führen, warum ist der Wandel Chance, nicht Bedrohung? Da ist in erster Linie das mittlere Management gefragt. Die Kommunikationstugend ist in den vergangenen Jahren vielleicht etwas verkümmert. Ich habe aber die feste Absicht, der Kommunikation mehr Bedeutung beizumessen.

Frage: Es gibt Ängste der VW-Mitarbeiter vor Veränderungen und um ihren Arbeitsplatz. Sind diese Ängste berechtigt?

Matthias Müller: Ich kann die Sorgen nachvollziehen. Sie resultieren in der Regel aus einem nicht ausreichenden Kenntnisstand. Dem kann man nur begegnen, indem man auf die Menschen zugeht und ihnen die Hintergründe erklärt.

Frage: Was ist mit der Sorge um den Arbeitsplatz?

Matthias Müller: Das ist für unsere Mitarbeiter, aber auch für uns, ein sehr wichtiges Thema. Wir stehen fest zu unserem Stammpersonal. In der Vergangenheit ist es uns immer gelungen, uns zu restrukturieren und, zum Beispiel durch neue Aufgaben, für sichere Beschäftigung zu sorgen.

Frage: Was ist mit den Leiharbeitern?

Matthias Müller: Volkswagen ist stets sehr verantwortungsvoll mit seinen Leiharbeitern umgegangen. Wo immer es wirtschaftlich möglich war, haben wir diese Menschen an Bord geholt. Aber letztlich ist die Leiharbeit ein für unsere Industrie unverzichtbares Flexibilitätsinstrument. Derzeit haben wir eine Situation, in der es auf Flexibilität ankommt. Deshalb können wir nicht ausschließen, dass Leiharbeitsverträge teils nur um Monate oder gar nicht verlängert werden können.

Frage: Wie läuft die Zusammenarbeit mit den VW-Eignerfamilien Porsche und Piëch. Haben Sie Kontakt zum ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch?

Matthias Müller: Die Zusammenarbeit mit den Familien ist ebenfalls sehr kooperativ. Herr Piëch ist Mitglied im Aufsichtsrat der Porsche SE, dort treffe ich ihn in den Sitzungen. Es ist immer wieder faszinierend, sich mit ihm über Mobilität auszutauschen. Herr Dr. Piëch ist jemand, der immer sehr innovativ denkt.

Frage: Könnte Herr Piëch Volkswagen helfen, zum Beispiel im Aufsichtsrat?

Matthias Müller: Der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch kennt das Unternehmen bestens und hat sehr viel Erfahrung, sowohl was unsere Industrie als auch die Finanzwelt angeht. Die Zusammenarbeit mit ihm ist sehr kons­truktiv. Volkswagen kann sich keinen besseren Aufsichtsratschef wünschen.