Stuttgart/Frankfurt. Daimler hat im Jahr 2015 fast zwei Millionen Autos verkauft. Damit verbucht der Konzern einen Rekordgewinn – und überholt sogar Audi.

Bei Terminen an Weiberfastnacht lassen Manager ihre teuren Krawatten gerne zu Hause, um sie vor der Schere zu retten. In Stuttgart auf der Jahrespressekonferenz von Daimler geht die Gefahr von närrischen Attacken gegen null, und Konzernchef Dieter Zetsche kommt aus ganz anderen Gründen ohne Schlips aufs Podium: Der offene Hemdkragen soll den Kulturwandel bei dem Autopionier symbolisieren.

Seit der Konzernchef mit seinen Vorstandskollegen bei einem Besuch im Silicon Valley die flauschig-coole Atmosphäre der amerikanischen Internet- und Technologiefirmen erlebt hat, will er die Führungskultur bei Daimler umkrempeln. Statt Hierarchien und Tunnelblick sollen Beteiligung und Mitdenken regieren. Daimler soll sich fit machen für das digitale Zeitalter, in dem die IT-Konzerne Google und vielleicht auch Apple mit autonom fahrenden Autos den traditionellen Autobauern Konkurrenz machen wollen.

Kulturwandel in Stuttgart

„Wir sehen das als ganz große Chance, die die Kräfteverhältnisse in der Industrie neu aufmischen wird“, sagte Zetsche am Donnerstag. Da sich die Welt der digitalen Dienste in den USA entwickelt habe, müsse sich der deutsche Autobauer von dieser Dynamik etwas abschauen. „Deswegen halten wir es für unsere Aufgabe, diese kulturellen Elemente auch in unserem Unternehmen zu entwickeln“, ergänzte er. Der Vorstand wolle nicht mehr von oben definieren, wie die Führungskultur von morgen aussehen solle. Lieber trommelt Zetsche eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von 140 Führungskräften zusammen, die ihren Ideen freien Lauf lassen sollen. „Ich kann nicht sagen, was rauskommen wird“, sagt Zetsche, „wir sind nicht im ‚driver’s seat‘.“

Ein neues Herangehen an die Start-up-Szene erprobt der Konzern in Berlin. In einem Gemeinschaftsbüro in Kreuzberg tüfteln Daimler-Mitarbeiter zusammen mit externen Beratern an neuen Lösungen für Logistikdienstleister. Sie sollen nicht von schwerfälligen Konzernstrukturen erdrückt werden, sondern frei gestalten und schnell entscheiden können. Der legere Auftritt mit offenem Hemdkragen und oft auch in Jeans und Pullover unterstreicht die neue Gelassenheit beim Premiumhersteller.

2016 will Mercedes erstmals mehr als zwei Millionen Autos ausliefern

Dafür zeigen die Zahlen, dass Daimler sein Geschäft im Griff hat: 2015 war wieder ein Jahr mit Rekordgewinn für den Stuttgarter Autokonzern. Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) stieg 2015 gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent auf 13,8 Milliarden Euro, wie der Autobauer am Donnerstag mitteilte. Der Konzernumsatz stieg um 15 Prozent auf 149,5 Milliarden Euro.

Mercedes konnte gegenüber seinen Wettbewerbern Boden gutmachen: mit 1,87 Millionen verkauften Autos liegt die Marke zwar noch hinter BMW, aber inzwischen wieder vor Audi. Im laufenden Jahr könnte Mercedes sogar erstmals mehr als zwei Millionen Autos ausliefern und damit die Münchner überholen – ein Ziel Zetzsches, der Mercedes zum größten Premiumhersteller machen will. Alles deute darauf hin, dass 2016 ein gutes Jahr für den Stuttgarter Autobauer werde, sagte er. Der Absatz werde deutlich steigen, aber nicht so stark wie 2015, als man mit 2,9 Millionen insgesamt zwölf Prozent mehr Fahrzeuge verkaufte und mit knapp 150 Milliarden Euro 15 Prozent mehr im Konzern umsetzte. Wegen dieser vorsichtigen Prognose rutschte die Aktie von 62,97 Euro auf zwischenzeitlich 59,16 Euro. „Diese Reaktion ist stark überzeichnet“, meint Jürgen Pieper, Analyst des Bankhauses Metzler. Am Markt habe man mit einer Gewinnsteigerung um fünf Prozent im laufenden Jahr gerechnet – und das teile Daimler mit.

Daimler-Mitarbeiter bekommen Erfolgsbeteiligung von 5650 Euro

Die Aktionäre und die Belegschaft lässt der Konzern aber an seinem Erfolg des vergangenen Jahres teilhaben: 3,25 Euro pro Aktie sollen es werden nach 2,45 Euro im Vorjahr – ein Rekord, sofern die Hauptversammlung dem zustimmt. Und die Mitarbeiter können sich auf eine Erfolgsbeteiligung von 5650 Euro freuen, die höchste Prämie in der Unternehmensgeschichte.

Bisher spüre man keine Auswirkungen des Dieselabgasskandals bei VW, sagte der Daimler-Chef. Aber auch die Stuttgarter bekommen Nachfragen wegen manipulierter Abgaswerte: So hatte am Mittwoch die Deutsche Umwelthilfe diesen Vorwurf bei einem Modell der C-Klasse erhoben. Er hoffe auf eine Beruhigung der Diskussion nach Einführung des neuen Messverfahrens für Stickoxide, sagte Zetsche.