Moskau. Der russische Energiekonzern Gazprom agiert träge und ineffektiv, der Börsenwert sinkt. Und die größte Krise steht ihm noch bevor.

Vordergründig tritt der russische Energiekonzern Gazprom als Kraftprotz auf. Aktuell zieht er gerade gegen die Ukraine vor Gericht. Die Gesamtforderungen von Gazprom gegenüber der Ukraine belaufen sich inzwischen auf 29,2 Milliarden Dollar.

Aber hinter den Schlagzeilen vom mächtigen Konzern verbergen sich Zahlen, die eher Niedergang demonstrieren. Wie die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ berichtet, machte Russlands größter Betrieb im dritten Quartal 2015 umgerechnet etwa 24 Millionen Euro Verlust. Der Preis für das Exportgas des Konzerns sank in den ersten neun Monaten 2015 von 352,7 auf 252,1 Dollar für 1000 Kubikmeter. Und die Fachwelt rechnet mit einem weiteren Absturz des Gaspreises, der dem Ölpreis in der Regel nach sechs bis neun Monaten folgt.

Angesichts der Rohstoffpreisflaute, aber auch der westlichen Finanz- und Technologiesanktionen ist der Börsenwert von Gazprom auf inzwischen 36 Milliarden Dollar gefallen, im Mai 2008 waren es noch 367 Milliarden Dollar.

Das Ziel: Europa von russischen Lieferungen abhängig machen

Gazprom gilt in Russland als Chefsache. Der Konzern wird von Alexei Miller, einem Vertrauten Putins aus Petersburger Zeiten, kommandiert. Und der Kreml nutzt Gazprom seit 15 Jahren als Hauptvehikel zur Durchsetzung des strategischen Ziels, das Putin gern mit den Worten umschreibt: „Europas Energiesicherheit garantieren“. Anders formuliert: Europa von russischen Energielieferungen abhängig machen.

Gazprom hat 430.000 Angestellte, sein 160.000 Kilometer langes Röhrennetz reicht rechnerisch viermal um die Erde. Der Gigant kontrolliert 17 Prozent der globalen Gasreserven, besitzt außer Förder- und Transportfirmen auch einen eigenen Ölkonzern, Röhrenfabriken, Tankstellenketten, Banken, Fernsehsender, Zeitungen und den Fußballklub Zenit Sankt Petersburg.

Gazprom, das Flaggschiff der russischen Wirtschaft ist eine Art Dinosaurier geworden. Auf dem Markt bewegt sich der Konzern träge und wenig effektiv. Der Monopolist versucht seit Jahrzehnten seine Kunden mit Vertragsklauseln nach dem Prinzip „Nimm oder bezahl“, zur Abnahme fester Mengen zu zwingen. Auch 26 Milliarden der 29 Milliarden Dollar-Forderungen gegenüber der Ukraine beruhen auf diesem Prinzip. Die Ukraine klagt dagegen vor einem Schiedsgericht und könnte wie schon Tschechien Recht bekommen.

Die von Putin gewollte Ausrichtung nach Osten droht zu scheitern

Auch die Strategie, Pipelines zu bauen, um Kunden an sich zu binden, kommt nicht voran. Gegen die neue Nord-Stream-Rohrleitung laufen Polen und andere osteuropäische Staaten Sturm, sie befürchten zu viel Abhängigkeit von Gazprom. Zuvor scheiterte schon der russische Plan einer „South-Stream“-Pipeline durchs Mittelmeer an Monopolbedenken der Europäer. Das Alternativprojekt einer russisch-türkischen Rohrleitung erledigte sich mit dem Abschuss des russischen Kampfbombers durch einen türkischen Düsenjäger vergangenen November.

Die von Putin 2014 ausgerufene „Wende nach Osten“ droht für Gazprom zum Reinfall zu werden. Ab 2019 will Gazprom durch die im Bau befindliche Pipeline „Sibiriens Stärke“ Gas nach China liefern. Aber die Preisvereinbarungen darüber wurden nie veröffentlicht. Und Experten sagen ein Verlustgeschäft für die Russen voraus. Der Ölpreis, zu Zeit unter 30 Dollar, müsse mindestens bei 80 Dollar liegen, damit der Gasexport nach China kein Verlustgeschäft werde. „Gazprom hat einen Fehler gemacht“, zitiert Reuters einen Insider. Schon prophezeien auch russische Skeptiker das Ende der Öl- und Gasära. „Die Steinzeit ist auch zu Ende gegangen, obwohl noch Steine da waren“, verkündete Ex-Wirtschaftsminister Herman Gref kürzlich. Fast scheint es, als ginge auch die Zeit des Dinosauriers Gazprom zu Ende.

Was machen 300.000 Mitarbeiter in der Zukunft?

Dabei trifft die Ölkrise Gazprom noch gar nicht voll. „Bei Preisen über 27 Dollar gehen die Gewinne der Exportfirmen zum Großteil als Steuer an den Staat. Deshalb halten sich auch die Verluste bei Gazprom in Grenzen“, sagt der Moskauer Rohstoffexperte Leonid Grigorjew dieser Zeitung. Unabhängig davon sei eine Reform des Gasmonopolisten schon viel früher sinnvoll gewesen. „Sicher gibt es bei Gazprom viel zu rationalisieren“, bestätigt der Energieexperte Oleg Anaschkin. „Vielleicht reichen ja 100.000 Gazprom-Mitarbeiter. Aber wohin dann mit ihren 300.000 arbeitslosen Kollegen?“

Anfang Januar wurde einer Putzfrau des Rohstoffkonzerns auf einem Parkplatz der Hauptstadt aus ihrem Mitsubishi Outlander-Jeep eine Krokodilledertasche entwendet. Es entbrannte eine öffentliche Diskussion darüber, ob die Tasche der Marke Dior umgerechnet 3700 oder gar 25.000 Euro wert sei. Und ob die Raumpflegerin selbst gut genug verdiene, um sich solchen Luxus zu leiste, oder ob sie das Täschchen bei Gazprom in einem Mühleimer entdeckt habe. Offenbar ist die Krise im Betrieb noch nicht wirklich angekommen.