Berlin. Supermärkte und Elektronikketten können ihre Preise dank digitaler Anzeigen blitzschnell ändern. Kostet das Feierabend-Bier bald mehr?

Große Handelsketten ersetzen nach und nach das klassische Preisschild auf Papier oder Pappe durch digitale Preisanzeiger. Der Elek­tronikmarkt Saturn will beispielsweise alle Märkte damit ausstatten. Damit schaffen sie die technischen Voraussetzungen für schnelle Preisänderungen. Je nachdem, wie diese Technik eingesetzt wird, könnte der Konsum teurer oder günstiger werden. Denkbar ist beispielsweise, dass Bier und Knabberzeug in den Stunden vor einem großen Fußballspiel mehr kosten als üblich, weil es dafür nur eines Knopfdrucks in der Firmenzentrale bedarf.

Umgekehrt ist ebenso vorstellbar, dass vielleicht ein bestimmtes TV-Gerät im Elektronikmarkt plötzlich viel günstiger angeboten wird, weil das Modell im Internet zum gleichen niedrigen Preis erhältlich ist.

Kostet das Bier am Abend mehr als am Vormittag?

Verbraucherschützern bereitet die Aussicht auf flexible Preise Sorge. „Theoretisch kann dies zu einer hohen Fluktuation der Preise führen“, sagt Handelsexperte Miika Blinn vom Bundesverband der Verbraucherzen­tralen. Manche Kritiker warnen schon vor einer ähnlichen Entwicklung wie bei den Tankstellen, die ständig am Spritpreis drehen. Im schlimmsten Fall könnten Blinn zufolge ganze Kundengruppen systematisch benachteiligt werden. Das wäre der Fall, wenn zum Feierabendgeschäft, wenn Arbeitnehmer Lebensmittel kaufen, Milch oder Bier plötzlich zehn Cent mehr kosten würden.

Der Handel will die Bedenken zerstreuen. „Sie können nicht einem Kunden ein Produkt für 2,90 Euro verkaufen und dem nächsten dasselbe für 4,90 Euro“, sagt ein Sprecher des Einzelhandelsverbands. „Das ist alltagsfern.“ Die Unternehmen seien auf Stammkunden angewiesen, die durch so eine Praxis schnell vergrault würden.

Der Kunde geht – und bleibt weg

Auch bei der Lebensmittelkette Rewe hält man die Angst vor Tankstellenverhältnissen für abwegig. Die Kunden würden solchen Supermärkten sofort und dauerhaft den Rücken zukehren. Zudem sieht Rewe rechtliche Probleme, weil ein Supermarkt keine Preissicherheit mehr gewährleisten könnte. Ein Kunde packt sich etwa einen Becher Sahne, der mit 69 Cent ausgezeichnet ist, in den Einkaufskorb. Während er auf dem Weg zur Kasse ist, erhöht die Zentrale des Supermarkts den Preis um zehn Cent. „Das ist nicht rechtens“, stellt Rewe klar.

Die Furcht vor laufenden Preisänderungen erscheint zumindest im Lebensmittelhandel unbegründet. Die Branche hat dennoch einen wichtigen Grund für die Einführung der digitalen Preisschilder. Allein bei Lebensmitteln gibt es 120.000 verschiedene Produkte. Der Zeitaufwand, per Hand auf Papierschildern alle Preise anzubringen, ist enorm und damit teuer. Künftig kann dies am PC per Mausklick für alle Filialen gleichzeitig erledigt werden.

Flexible Preise können Preiskampf entfachen

Auch Forscher und Preisexperten sehen derzeit keinen Grund zur Sorge. „Der Wettbewerb im Einzelhandel ist mit dem der Tankstellen nicht vergleichbar“, sagt Sebastian Deppe von der BBE Handelsberatung. Den großen Unterschied mache die Vergleichbarkeit von Qualität und Preisen im Handel aus. Mit seinem Smartphone etwa kann jeder Konsument schnell feststellen, ob eine Waschmaschine oder ein Markenhemd in einem Onlineshop billiger zu haben ist. So erwarten manche Fachleute tendenziell eher einen Vorteil für die Kunden. Denn die Preistransparenz beflügelt den Wettbewerb.

So sieht es auch Tobias Maria Günter, der für die Preisberatungsfirma Simon-Kucher & Partners die Entwicklung der Branche verfolgt. Wechselpreise seien unwahrscheinlich, weil „der Händler ein klares Preisimage verliert“, glaubt Günter. Das koste Kunden und Umsatz. Zudem würden Konkurrenten eine erfolgreiche Strategie kopieren. „In der Konsequenz bedeutet es, dass die flexible Preisanpassung kein Wettbewerbsvorteil ist, sondern einen Preiskampf auslösen kann“, erläutert der Experte. Und den will keiner der Händler.

Internet-Preisvergleiche stützen die Macht der Verbraucher

Die Verbraucher haben ein großes Gegengewicht zur Marktmacht der Handelskonzerne. Der überall mögliche Zugang zum Internet lässt aktuelle Preisvergleiche zu. Mit der Kenntnis der günstigsten Angebote kann der Kunde den Händler vor Ort unter einen gewissen Druck zum Preisnachlass setzen. Und Amazon verändere die Preise für manche Artikel mehrmals am Tag, weiß Verbraucherschützer Blinn. Einseitige Preisstrategien zulasten der Kunden haben deshalb keine Erfolgschance.