Berlin. Die Lohnkosten in Deutschland liegen drei Prozent über dem EU-Durchschnitt. Die Qualität beim Verkauf ist wichtiger als der Preis.

Die großen Exporterfolge der deutschen Wirtschaft sind keineswegs ein Ergebnis von zu niedrigen Lohnerhöhungen. Auch schadet die Stärke der hiesigen Industrie Europa nicht. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Die Ökonomen kommen mit Blick auf die Kosten in konkurrierenden Industrieländern vielmehr zu einem anderen Ergebnis: „Durchschnittlich produzierten diese Länder 2014 um ein Neuntel günstiger als Deutschland“, sagt IW-Chef Michael Hüther. In den USA liege der Kostenvorteil gegenüber Deutschland bei 25 Prozent, in Litauen sogar bei 39 Prozent. Andererseits liegen die Lohnstückkosten in Italien, Norwegen, Großbritannien, Frankreich und Belgien über jenen hierzulande. Die Euroländer produzieren im Durchschnitt drei Prozent günstiger.

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder Kritik an der deutschen Lohnpolitik geäußert - auch in der EU. Über zu geringe Einkommensteigerungen und Kosten könnten die hiesigen Unternehmen ihre Produkte besonders preisgünstig anbieten. Deshalb fordern manche Ökonomen immer wieder kräftige Lohnzuwächse in Deutschland. Auf diesem Weg sollte der Preisvorteil schrumpfen und das Gleichgewicht in der EU wieder hergestellt werden.

EU-Länder profitieren auch von der starken deutschen Industrie

Am Preisvorteil liegt der Erfolg der deutschen Industrie im Export laut IW jedoch nicht. Vielmehr machen die Ökonomen unter anderem die Struktur der Industrie und ihr Angebot für die gute Wettbewerbsposition verantwortlich. „In den letzten Jahren hat sich die Industrie vom reinen Produzenten zum Komplettanbieter gewandelt“, heißt es beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) dazu. Die Unternehmen liefern heute nicht mehr nur Maschinen, sondern halten sie auch instand oder erbringen Dienstleistungen rund um die gelieferten Anlagen. Entscheidend sei die hohe Qualität der Anlagen. Dafür nehmen die Kunden weltweit auch höhere Preise in Kauf. „Hinter den Bestellungen steht weniger das Preiskalkül als das Qualitätsversprechen“, betont der BDI.

Doch diese Vorteile könnten bald der Vergangenheit angehören. Als Beispiel für einen aufsteigenden Rivalen nennt der Industrieverband China. Dort beginne der Aufbau von Branchen, in denen Deutschland derzeit besonders stark ist. Es werde zwar noch dauern, bis Firmen aus China harte Konkurrenten werden. Doch muss die hiesige Wirtschaft sich dafür frühzeitig wappnen. Insbesondere durch zu geringe Investitionen in die Infrastruktur, vor allem die digitale, sieht der Verband die Entwicklung skeptisch.

Die IW-Forscher weisen auch den Vorwurf zurück, dass die Stärke der deutschen Industrie Europa schade. Das Gegenteil sei der Fall. Da Deutschland weltweit erfolgreich Produkte verkaufe, würden die anderen europäischen Länder davon sogar profitieren. Denn viele Vorleistungen der Produktion kaufen die Unternehmen in den Nachbarländern ein. Diese Importe legen fast in gleichem Umfang zu wie der deutsche Export, so Hüther: „Von der deutschen Stärke können also auch unsere EU-Partnerländer profitieren.“

Gewerkschaften sehen mehr Spielraum für Tariferhöhungen

Ganz von der Hand weisen die Forscher den kritischen Blick auf das Exportwunder jedoch nicht. Eine Fehlentwicklung erkennt das IW für den Zeitraum zwischen 1999 und 2007 an. In dieser Zeit hat die Industrie durch geringe Lohnzuwächse ihre Position zu Lasten der anderen europäischen Länder erheblich verbessert. Die in den letzten Jahren kräftig gestiegenen Löhne hätten diesen Vorteil aber wieder aufgezehrt, versichert Hüther.

Angesichts steigender Lohnstückkosten warnt die Wirtschaft vor deutlichen Lohnsteigerungen in diesem Jahr. „Die meisten Unternehmen können weniger vertragen als in der jüngeren Vergangenheit“, warnt der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer. Von einer Nullrunde ist dennoch nicht die Rede. Kramer will die Tariferhöhungen am Zuwachs der Produktivität orientieren. Dieser Wert liegt laut IW bei etwa einem Prozent. „Man darf nicht vergessen, dass die Inflation gegen Null tendiert“, erläutert Kramer. Da die Verbraucherpreise weniger zulegen, käme auch dies schon einer steigenden Kaufkraft gleich.

Die Gewerkschaften sehen die Spielräume. Die IG Metall will am 2. Februar ihre Forderung für die Lohnrunde für rund fünf Millionen Beschäftigte der Metallindustrie präsentieren. Noch wurde keine Zahl genannt, doch gehen Beobachter davon aus, dass die mächtige Gewerkschaft aufgrund der guten Wirtschaftslage um die fünf Prozent mehr Lohn verlangen dürfte.