Los Gatos/Essen. Netflix-Chef Hastings’ Streaming ist so erfolgreich, dass TV-Sender vor Neid erblassen. Er sieht das Fernsehzeitalter zu Ende gehen.

Freundlich sieht Reed Hastings aus. Und wenn er antwortet auf eine der vielen Fragen, die ihm gestellt werden, dann lächelt er meistens. Er hat allerdings auch viel Grund dazu. Denn Hastings ist Gründer und Chef von Netflix und mit seiner Firma gerade dabei, das Fernsehen zu revolutionieren. In der Nacht zum Mittwoch erst hat er neue Zahlen vorgelegt. Gute Zahlen. 43 Millionen Dollar (40 Millionen Euro) Gewinn allein im letzten Quartal 2015, die Zahl der Nutzer ist um 5,59 Millionen gestiegen. Der Aktienkurs stieg zeitweise um mehr als neun Prozent. Bei den klassischen TV-Sendern aber dürften sie einmal mehr aufgestöhnt haben.

Netflix ist ein sogenannter Video-on-Demand-Dienst. Er bietet Serien und Filme auf Abruf. Wann man will, wo man will, auf allen möglichen Endgeräten – solange man eine Internetverbindung hat. „Streaming“ nennt sich das Verfahren, bei dem die Daten dann über das Internet wie ein Strom auf den Fernseher, das Tablet, Handy oder den PC fließen.

Die Technik ist nicht neu. Aber noch niemand hat sie so erfolgreich vermarktet wie Netflix. Die US-Firma, die Ende der 90er-Jahre mit dem Postversand von DVDs anfing, ist auf dem Weg, zu einer Art Weltvideothek zu werden. Sie hat inzwischen mehr als 75 Millionen Mitglieder in mehr als 130 Ländern. „Im vergangenen Jahr haben die Leute auf Netflix 42,5 Milliarden Stunden ferngesehen“, freut sich Hastings.

Hastings prophezeit Ende des Fernsehzeitalters in zehn Jahren

Bereits seit Herbst 2014 ist der Dienst auch in Deutschland verfügbar. Der Plan sei, hieß es zum Start, innerhalb von sieben Jahren jeden dritten Deutschen zu erreichen. „Wir liegen gut in der Zeit“, hat Hastings in dieser Woche gesagt, ohne allerdings genaue Zahlen zu nennen. Das muss er auch nicht, um die klassischen TV-Sender in große Sorge zu versetzen. Seit Jahren schon sind Zuschauerzahlen rückläufig – nicht nur, aber auch wegen Angeboten wie Netflix. Lockten selbst herkömmliche Krimireihen in den 80er- und 90er-Jahren noch problemlos 16 bis 18 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm, gilt mittlerweile schon die Hälfte als sensationeller Erfolg.

Hastings prophezeit oft das Ende des klassischen Fernsehzeitalters, „in zehn bis 15 Jahren“. ARD oder ZDF brauche kein Mensch, sagt er gerne. Und mit festen Sendezeiten kann der 55-jährige Milliardär gar nichts anfangen. „Davon habe ich gehört, kurios.“ Nichts für junge Menschen jedenfalls. „Da schaut jeder, wann er Lust und Zeit hat.“

Für die USA, wo die mehr als 40 Millionen Netflix-Kunden aus mehr als 60.000 Programminhalten wählen können, ist das richtig. Die Deutschen allerdings hinken hinterher. Zwar steht angeblich in knapp jedem vierten deutschen Haushalt ein internetfähiger Fernseher, eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid hat jedoch ergeben, dass jeder vierte Fernsehzuschauer mit seinem Gerät nicht zurechtkommt. Und in vielen ländlichen Gebieten tröpfelt das Internet mehr, als dass es fließt.

Fünf Milliarden Dollar Investition in neues Programm

Das alles wird den Erfolg des Onlinefernsehens allerdings nur verzögern. In der Zeit könnte aus dem Jäger Netflix längst ein Gejagter geworden sein. In Deutschland haben nicht nur die großen Sender ihre Mediatheken ausgebaut, hier gibt es auch Dienste wie Maxdome oder Videoload. Viel gefährlicher aber dürften für Hastings die Großen des Internets sein. Amazon koppelt bei seinem Prime-Angebot Versandvorteile mit einem eigenen Video-Streaming-Dienst. Auch der zu Google gehörende Videodienst YouTube hat ein gebührenpflichtiges und werbefreies Angebot. Und es gibt noch den Technologiekonzern Apple.

Am Ende werden die Inhalte zählen. Deshalb lässt Hastings eigene Serien produzieren. Dafür hat Netflix seine Kunden nach ihren Wünschen befragt und Daten über ihre Sehgewohnheiten gespeichert. So sind Serien wie „House Of Cards“ mit Kevin Spacey oder „Orange Is The New Black“ entstanden, die dem Dienst nicht nur jede Menge Preise, sondern angeblich auch Millionen neuer Abos einbrachten. Beide Serien werden demnächst fortgesetzt, mehr als ein Dutzend weitere sollen allein in diesem Jahr folgen.

Dennoch müssen die Anbieter zukaufen – bei Filmstudios, TV-Sendern und Produktionsfirmen. Amazon hat kürzlich die bei der BBC entlassenen Moderatoren der Autoshow „Top Gear“ verpflichtet, angeblich bekommen sie für 36 Folgen 250 Millionen Euro. Und um das Netflix-Programm zu füllen, hat Hastings in diesem Jahr rund fünf Milliarden Dollar vorgesehen. Das ZDF geht für 2016 derzeit von insgesamt 2,255 Milliarden Euro Aufwendungen aus.