Davos. Die Flüchtlingskrise ist das herausragende Thema des Weltwirtschaftsforums in Davos. Gauck sieht in einer Begrenzung auch Vorteile.

Mit drastischen Worten hat Bundespräsident Joachim Gauck vor einem Zerbrechen Europas in der Flüchtlingskrise gewarnt. Zugleich verlangte er eine offene Debatte über die Begrenzung des Zuzugs. „Wollen wir wirklich, dass das große historische Werk, das Europa Frieden und Wohlstand gebracht hat, an der Flüchtlingsfrage zerbricht?“, sagte Gauck am Mittwoch als Eröffnungsredner der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. „Niemand, wirklich niemand, kann das wollen.“ Die EU sehe sich mit der „wohl größten Belastungsprobe ihrer Geschichte“ konfrontiert. Scharfe Kritik übte er an der mangelnden Solidarität innerhalb Europas in der Flüchtlingskrise.

Vor dem internationalen Publikum machte er klar, dass Deutschland die Hauptlast der Flüchtlingskrise nicht weiter alleine schultern könne. Er wünsche sich Solidarität der übrigen europäischen Staaten mit einem durch die Krise „belasteten Deutschland“.

Eine Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen könne moralisch gerechtfertigt sein und helfen, die Akzeptanz zu erhalten, betonte Gauck. Für die Aufnahmefähigkeit von Gesellschaften gebe es keine mathematische Formel. Begrenzungsstrategien zu entwickeln sei Element verantwortlichen Regierungshandelns. „Wenn nicht Demokraten über Begrenzungen reden wollen, wird Populisten und Fremdenfeinden das Feld überlassen“, sagte Gauck weiter.

„Außengrenzen definieren Raum der Freiheit“

„Wer von Begrenzung spricht, darf von Grenzen nicht schweigen“, betonte der Bundespräsident. In der Europäischen Union (EU) würden die Außengrenzen „den Raum unserer Freiheit“ definieren. „Sicherung der Außengrenzen muss keineswegs Abschottung heißen, wohl aber Kontrolle und Steuerung.“ Gauck sprach sich zugleich gegen die Einführung von Grenzkontrollen innerhalb Europas aus. Der Verlust der Freizügigkeit wäre keine gute Lösung. „Sollte uns wirklich nichts Besseres gelingen?“

Es sei zwar verständlich, dass in den Ländern Mittelosteuropas die Angst vor Veränderung und die Sorge um die nationale Identität besonders groß sei. „Ich kann aber nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte eins selbst Solidarität erfahren haben“, so Gauck.

Gauck rät zu mehr Sachlichkeit

Auf eine Frage des WEF-Gründers Klaus Schwab nach den nun zu erwartenden Maßnahmen Deutschlands zur Begrenzung der Aufnahme von Flüchtlingen sagte Gauck, er rechne damit, dass „verschiedene Formen von Steuerung und Begrenzung in diesem Jahr greifen“. Die Sorge, dass 2016 erneut eine Million Flüchtlinge oder mehr aufgenommen werden wollten, sei überall angekommen. „Wir sehen in der Regierungskoalition eine sehr lebhafte Debatte, und deshalb darf man davon ausgehen, dass Elemente von Steuerung greifen werden.“

Gauck riet beim Umgang mit der Flüchtlingskrise zu mehr Realitätssinn und Sachlichkeit. Eine Begrenzungsstrategie könne die Unterstützung für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge sichern, betonte Gauck. Begrenzung sei nicht per se unethisch: Begrenzung helfe, Akzeptanz zu erhalten. (dpa/epd/les)