Washington. Das US-Justizministerium und die Umweltbehörde EPA überziehen VW mit einer Zivilklage: Es sind damit Strafen in Milliardenhöhe möglich.

Das neue Jahr beginnt für den Auto-Riesen Volkswagen in Amerika mit einem Totalschaden: Das US-Justizministerium und die Umweltbehörde EPA haben den Wolfsburger Konzern am Montag wegen der massenhaften Manipulation bei den Abgaswerten von rund 600.000 Diesel-Fahrzeugen vor einem Gericht in Detroit mit einer Zivilklage überzogen. Strafzahlungen von über 90 Milliarden Dollar sind laut Gesetz theoretisch möglich. Experten halten diese Summe aber für unwahrscheinlich.

In der Klageschrift werden dem Autobauer fortgesetzte Verstöße gegen das zentrale Gesetz zur Luftreinhaltung („Clean Air Act“) vorgeworfen. „Durch die mutmaßlichen Falschangaben konnten fast 600.000 Dieselwagen im ganzen Land übermäßig die Luft verschmutzen und so unsere Gesundheit gefährden und die Verbraucher betrügen“, gab gestern die zuständige Bundesanwältin Barbara McQuade zu Protokoll.

Kinder und ältere Menschen gefährdert

Betroffen von dem Schritt sind auch die VW-Marken Audi und Porsche. Hier wurde laut EPA ebenfalls in bestimmten Diesel-Motoren eine Betrugs-Software („Defeat Device“) installiert, die bei Abgastests zu einem deutlich niedrigeren Ausstoß von gesundheitsschädlichen Treibhausgasen führt als im Real-Betrieb auf der Straße. Besagte Stickstoffoxide können laut US-Regierung zu Asthma und anderen schweren Atemwegserkrankungen führen. Vor allem für Kinder und ältere Menschen sei das gefährlich.

VW hatte den Betrug im Sommer vergangenen Jahres gegenüber US-Behörden nach monatelangen Verschleierungsmanövern eingeräumt. Am 18. September wurde der Skandal öffentlich.

„Letzte Wink mit dem Zaunpfahl“

Anders als in Deutschland und anderen Absatzmärkten weltweit, wo insgesamt elf Millionen VW-Modelle betroffen sind, ist in den USA aber bis heute keine genehmigungsfähige Rückrufaktion in Gang gekommen. EPA-Direktorin Cynthia Giles sagte gestern, was bislang vorliege, sei nicht „akzeptabel“. Die kalifornische Umweltbehörde Carb, die federführend bei der Aufdeckung des Skandals ist, hatte ihre Entscheidung über das von VW im

November vorgelegte Reparatur-Programm vor Weihnachten auf Mitte Januar verschoben. Intern heißt es dort auf Nachfragen erkennbar verstimmt: „VW kommt immer wieder mit neuen Informationen, die uns gelinde gesagt stutzig machen.“ Die jetzt eingereichte Zivilklage der Regierung, sagen Branchen-Insider, ist der „letzte Wink mit dem Zaunpfahl, endlich ein tragfähiges Konzept vorzulegen“.

Regierung fordert Wiedergutmachung

Dabei wird der Ton immer schärfer. „Autohersteller, die ihre Fahrzeuge nicht ordnungsgemäß zertifizieren und die Systeme zur Emissionskontrolle aushebeln, verletzen das Vertrauen der Öffentlichkeit, gefährden die öffentliche Gesundheit und benachteiligen Wettbewerber“, erklärte der stellvertretende US-Justizminister John Cruden in einer Stellungnahme, „die Vereinigten Staaten werden alle angemessenen Mittel gegen VW einsetzen, um Wiedergutmachung für die Verletzung der Gesetze unserer Nation zur Luftreinhaltung zu erhalten.“ Cruden schloss ausdrücklich nicht aus, dass der zivilrechtlichen Klage strafrechtliche Schritte folgen könnten.

Für VW hat sich mit der Klage der amerikanischen Regierung eine zweite gefährliche und potenziell kostspielige juristische Front aufgetan. Schon in wenigen Monaten wird ein Bundesgericht in San Francisco rund 500 zivile Sammelklagen von VW-Besitzern verhandeln, die hohe Entschädigungszahlungen oder die Rücknahme ihrer Fahrzeuge verlangen, weil sie sich hintergangen fühlen. VW will dieser Klagewelle durch den Promi-Anwalt Kenneth Feinberg die Spitze nehmen. Er wird in Kürze ein von VW gesteuertes Entschädigungsprogramm auflegen, das viele Sammelkläger vorab zufriedenstellen soll.

Diverse Modelle sind betroffen

Betroffen sind rund 500.000 VW-Fahrzeuge der Zwei-Liter-Modelle Jetta, Beetle, Golf und Passat sowie Audis des Typs A3. Außerdem stimmt bei rund 100.000 Drei-Liter-Fahrzeugen der Typen VW Touareg, Porsche Cayenne und Audis der Typen A6, A7, A8 Q5 und Q7 ebenfalls die Abgasbilanz nicht.

Für den seit knapp 100 Tagen amtierenden neuen VW-Chef Matthias Müller ist die juristische Kampfansage der Obama-Regierung ein herber Rückschlag. Müller, der nach dem Abgang von Konzernchef Martin Winterkorn von Porsche aus nach Wolfsburg wechselte, verspricht seit Wochen Aufklärung, maximale Offenheit und verlässliche technische Lösungen für die manipulierten Fahrzeuge.

Anfang nächster Woche will er bei der internationalen Auto-Messe in Detroit zum ersten Mal auf amerikanischen Boden um neues Vertrauen werben und den Blick nach vorn richten. So soll unter anderem ein neues Tiguan-Modell präsentiert werden. Für einen großen Medien-Empfang hat VW ein prominentes Restaurant in Detroit anmieten lassen.

Absatz in USA sinkt

VW hat positive Botschaften im Autoland Amerika bitter nötig. Die Absatzzahlen sind im Sinkflug. Im großen VW-Werk Chattanooga im US-Bundesstaat Tennessee, wo in spätestens zwei Jahren 800.000 Autos vom Band rollen sollen, wird zurzeit allenfalls die Hälfte produziert. Neue Modelle wie der überarbeitete Passat dürfen in ihrer Diesel-Version bis auf weiteres in den USA gar nicht verkauft werden.

In Wolfsburg wurde man von der Klage der US-Regierung offenbar kalt erwischt. „Wir kennen die Klageschrift noch nicht in allen Details, werden sie nun zunächst prüfen und mit den US-Stellen eng zusammenarbeiten“, erklärte gestern Abend ein Sprecher.