Berlin/Frankfurt/Stuttgart. Die deutsche Wirtschaft startet ein Programm zur Integration von Migranten – und fordert von der Politik Erleichterungen.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) startet ein bundesweites Programm zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt – und fordert von der Politik Erleichterungen. „Wir wollen ein flächendeckendes Beratungs- und Unterstützungsangebot aufbauen“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer am Dienstag. 2016 investiere der DIHK dafür 20 Millionen Euro.

Zugleich dämpfte Schweitzer die Erwartungen. Vom Asylantrag bis zur Integration auf dem Arbeitsmarkt dauere es zwischen sieben und zehn Jahren. Von der Politik erhofft sich Schweitzer, dass sie die berufliche Integration der Flüchtlinge mit dem Abbau rechtlicher Beschränkungen flankiert. So plädierte Schweitzer für eine Abschaffung der Vorrangprüfung – dabei prüft die Arbeitsagentur, ob für Stellen ein EU-Bürger infrage kommt. Zudem forderte Schweitzer, Flüchtlingen in Ausbildung ein längeres Bleiberecht einzuräumen.

Kleineren Handwerksbetrieben fehlen Arbeitskräfte

Etwa eine Million Flüchtlinge wird in diesem Jahr in Deutschland erwartet, 2016 erneut Hunderttausende. Wie gut sie integriert werden, hängt vor allem davon ab, ob sie einen Job finden. „Flüchtling ist kein Beruf“, lautet deshalb das Motto der Ausbildungsinitiative Arrivo Berlin. „Wir haben ein Netzwerk von derzeit 160 kleineren und mittleren Betrieben, die sich für Flüchtlinge engagieren“, sagt Jona Krieg von Arrivo Berlin. Die meisten seien Handwerksbetriebe – Dachdecker, Maler, Konditoren und Friseure.

Dass sich gerade das Handwerk für Flüchtlinge öffnet, hat einen Grund: „Wir haben einen spürbaren Fachkräftemangel“, sagt der Flüchtlingsbeauftragte des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Jan Dannenbring. „40 Prozent der Unternehmen haben Probleme, offene Stellen zu besetzen.“ 17.000 Ausbildungsplätze blieben in diesem Jahr unbesetzt. Besonders kleinere Betriebe finden oft keinen Nachwuchs. Deshalb machen bei Arrivo Berlin neben Großunternehmen wie Bosch und der Mercedes-Benz Bank auch so viele kleinere Betriebe mit.

Integration beginnt im Betrieb und bei konkreten Aufgaben

Aber wie verläuft die Integration in den Arbeitsmarkt konkret – was führt zum Erfolg, was zum Scheitern? Fragen, die täglich in den Betrieben entschieden werden. Etwa in der Firma Mader: Regallager, Abschnitt E, Reihe 8. Hier steht Hossein Safari, stellt seinen Sortierwagen ab und zieht einen Pappkarton aus dem Regal. Mit den glänzenden Messingteilen, die darin liegen, lassen sich Rohrleitungen verbinden. Reduzierstücke nennt man sie. Es ist nur eines von vielen deutschen Wörtern, die der junge Afghane noch nicht beherrscht. Sorgfältig zählt er 100 Stück ab und füllt sie in eine Plastiktüte, die er mit Heftzwecken zutackert. Weiter geht es zum nächsten Regal.

Wenn Safari in der Lagerhalle der Firma Mader seinem Dienst nachgeht, treibt ihm die Konzentration eine steile Stirnfalte in das runde Gesicht. Auf eine Chance wie diese hat er fast fünf Jahre gewartet. So lange dauerte es, bis sein Asylantrag bewilligt war. In diesem Oktober vermittelte ihn die Industrie- und Handelskammer aus dem Asylbewerberheim an den Hersteller von Drucklufttechnikanlagen im Raum Stuttgart. Wenn er seine einjährige „Einstiegsqualifizierung“ erfolgreich abschließt, darf er dort im nächsten Herbst eine reguläre Ausbildung beginnen.

Der junge Migrant zählt zu den Glücklichen, die einen Weg in den deutschen Arbeitsmarkt gefunden haben. Seine Geschichte zeigt, dass deutsche Unternehmen durchaus bereit sind, motivierten Einwanderern eine Chance zu geben. Aber sie zeigt auch, dass viele Hürden überwunden werden müssen, bis beide Seiten zueinander finden.

Für Hossein Safari war klar: Im Iran, wohin seine Familie aus Afghanistan geflüchtet war, gab es für ihn kein Vorankommen. Afghanen haben im islamischen Nachbarland nur wenig Rechte. Eine weiterführende Ausbildung war ihm versagt. Er schlug sich mit der Reparatur von Schuhen am Straßenrand durch, bis er sich auf den Weg machte, nach Deutschland.

Fünf Monate Flucht per Auto, Boot und Flugzeug

Seine Reise habe fünf Monate gedauert, berichtet er, sie führte mit dem Auto in die Türkei, zu Fuß über die Berge, mit dem Boot nach Griechenland und von dort mit dem Flugzeug nach Frankfurt am Main. Die Eltern und vier Geschwister blieben in Teheran zurück. Als Safari im Dezember 2010 in einem Aufnahmelager in Gießen ankam, war er 19 Jahre alt. Heute trägt der 24-Jährige von montags bis freitags einen grau-schwarzen Overall mit einem Brustaufnäher, auf dem sein Name über dem Logo seines Arbeitgebers prangt.

Auf seinem Konto gehen jeden Monat 800 Euro Gehalt ein, und er teilt sich eine Mietwohnung mit einem anderen afghanischen Migranten, der bei Daimler in die Lehre geht. „Ich bin jetzt sehr zufrieden“, sagt er mit einem schüchternen Lächeln. Er spricht jedes Wort langsam aus, denn die deutsche Sprache bereitet ihm noch Mühe.

Mehr als 70 Prozent der aktuellen Flüchtlinge sind nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg unter 30 Jahre alt, 55 Prozent sind unter 25 und 28 Prozent sogar jünger als 16. Ohne Zuwanderung würde die erwerbstätige Bevölkerung in Deutschland bis 2050 um 40 Prozent sinken, rechnet IAB-Forscher Herbert Brücker vor. „Wir bräuchten dauerhaft eine Nettozuwanderung von mehr als 500.000 Personen im Jahr, um die Erwerbsbevölkerung konstant zu halten.“

Das IAB hat hochgerechnet, was es für die Größe der Erwerbsbevölkerung in Deutschland heißen könnte, wenn 2016 noch einmal so viele kommen. Davon ausgehend, dass nicht alle bleiben werden, rechnet das IAB, dass der Pool der potenziell Erwerbstätigen 2016 um 380.000 und bis zum Jahr 2018 um rund 640.000 Personen steigen werde.

Das Institut erwartet, dass die Flüchtlingsmigration die Zahl der Arbeitslosen um etwa 130.000 Personen im kommenden Jahr erhöhen werde. Der Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbspersonen werde aber konstant bleiben oder sogar zurückgehen. „Trotz kurzfristiger Wachstumsimpulse zahlt der Staat erst einmal drauf, weil die Flüchtlinge überwiegend Transferleistungen erhalten“, gibt Brücker zu bedenken. „Erst später werden viele von ihnen zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen.“ Erfahrungsgemäß träten im ersten Jahr nur 10 Prozent der Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt ein, erklärt Brücker. Binnen fünf Jahren steige diese Zahl aber auf über 50 Prozent, und nach 15 Jahren sogar auf 70 Prozent. „Integration braucht Zeit.“

Ein mühsamer Weg, der sich am Ende für alle lohnen kann

Mit seinen geringen Deutschkenntnissen und Grundschulabschluss hätte Hossein Safari seine Lehre weder im kaufmännischen Bereich noch in der Metalltechnik antreten können. Und selbst in der Lagerlogistik tut er sich schwer. „Wir wollen jungen Menschen wie ihm die Chance geben, sich eine Existenz aufzubauen“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Werner Landhäußer. „Aber wir müssen viel tun, damit er eine Chance hat.“

Das Engagement der Unternehmen kommt nicht von ungefähr. „Schaffen wir es, die Menschen, die zu uns kommen, schnell auszubilden, weiterzubilden und in Arbeit zu bringen, dann lösen wir eines unserer größten Probleme“, sagt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit Blick auf den Fachkräftemangel. Schon heute sind in Deutschland offiziell knapp 600.000 offene Stellen gemeldet. „Das Beschäftigungswachstum hat sich in den vergangenen Monaten verlangsamt, das Wirtschaftswachstum aber nicht“, sagt der Europa-Chefvolkswirt der Nordea Bank, Holger Sandte. „Das deutet auf ein wachsendes Missverhältnis auf dem Arbeitsmarkt hin: Unter den offiziell 2,6 Millionen Arbeitslosen haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, die Qualifikationen zu finden, die sie benötigen.“

Langfristig dürften die vielen jungen Zuwanderer die Sozialsysteme entlasten, erwarten die Forscher des Essener RWI-Instituts. Allerdings: Nicht einmal jeder zehnte Flüchtling bringt die Voraussetzungen mit, um direkt in eine Arbeit vermittelt zu werden. „Viele Unternehmen fangen mit einer Einstiegsqualifizierung an, um diese Menschen an die betriebliche Realität zu gewöhnen“, sagt BA-Vorstand Raimund Becker. „Das sind Erfolg versprechende Modelle.“ Dabei sind Hürden aus dem Weg zu räumen. „Es ist ein mühsamer Weg“, sagt ZDH-Experte Dannenbring. Ein Weg, „der sich aber am Ende lohnen kann“.