Berlin/Wolfsburg. Wie VW mitten in der Abgas-Affäre mit heikler Anwaltspost umgeht und warum Schadenersatzansprüche von Kunden an der Pforte abprallen.

Als Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Geschäftsführer der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Ralf Stoll des Öfteren mit großen Konzernen zu tun, vor allem mit Großbanken. Dabei hat Stoll schon einige Winkelzüge erlebt. Doch was der Volkswagen-Konzern derzeit mit Stolls Kanzlei veranstaltet, die mehrere Tausend VW-Geschädigte vertritt und berät, schlägt nach Meinung des Anwalts dem Fass den Boden aus.

Zweimal versuchte die Kanzlei, dem Volkswagen-Konzern einen Schriftsatz zuzustellen. Darin ging es um die Schadensersatzansprüche von rund 800 Mandanten im Abgas-Skandal. Auch die Vollmachten dieser Mandanten wollte die Kanzlei übermitteln und schickte deshalb ein ansehnliches Poststück an die Wolfsburger Zentrale. Empfänger: Volkswagen AG.

Einige Tage später kam das Paket zurück: Der Empfänger sei unbekannt, vermerkte die Post, obwohl die richtige Adresse der Volkswagen AG gewählt wurde. Noch einmal schickte die Kanzlei das Paket nach Wolfsburg, diesmal war Konzernchef Matthias Müller neben der Volkswagen AG namentlich auf dem Paket als Adressat angegeben. Wieder kam das Päckchen zurück, vom häufigen Transport überdies etwas zerfleddert. Volkswagen, so zeigen es die DHL-Frachtpapiere, hatte die Annahme verweigert.

„Wie windige Schuldner“

„Ich bin seit fast zehn Jahren als Anwalt im Unternehmensbereich tätig, aber so etwas habe ich noch nie erlebt“, wundert sich Stoll. Dass ein Großkonzern seine Post nicht annehme, sei höchst ungewöhnlich und für ihn undenkbar gewesen. „So etwas erlebe ich sonst nur bei windigen Schuldnern, die ihren Zahlungsverpflichtungen entgehen wollen“, sagt der Anwalt. „Jetzt werden wir die Post per Gerichtsvollzieher zustellen lassen.“

Seitens VW hieß es zu Fragen nach dem Schreiben bislang, es könne „aktuell keine Stellungnahme erfolgen, da uns das Schreiben bisher nicht im Original vorliegt“. Man könne „nicht in unserer Rechtsabteilung nach einem Schreiben forschen“, welches man nicht kenne, teilte ein Sprecher mit. Fragen nach der verweigerten Post-Annahme beantwortete VW am Mittwoch bis Redaktionsschluss nicht.

Zulieferer Bosch in den USA wegen „Verschwörung“ angeklagt

Während heikle Post offenbar an den Konzerntoren abprallt, bangen Beschäftigte wegen der Abgas-Affäre zunehmend um ihre Arbeitsplätze. Betriebsrat und Eigentümer appellierten bei einer Betriebsversammlung in Wolfsburg an die Belegschaft, nicht den Mut zu verlieren.

„Niemand darf glauben, dass der Abgas-Skandal wie ein Gewitter vorbeizieht und danach wie aus heiterem Himmel wieder schönes Wetter kommt“, sagte VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche bei der Veranstaltung, an der nach Betriebsratsangaben bis zu 20.000 Mitarbeiter sowie auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und der komplette Vorstand um VW-Chef Matthias Müller teilnahmen. Vor allem Leiharbeiter mit Zeitverträgen fürchten um ihre Zukunft. Laut der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ sollen die Verträge von rund 300 Beschäftigten im Nutzfahrzeugwerk Hannover Ende Januar auslaufen. Die Verträge von weiteren 500 Leiharbeitern wurden nur um drei Monate verlängert.

Ratingagenturen stufen Bonität von VW herab

Der VW-Konzern hat sich Insidern zufolge mit mehreren Banken auf einen Überbrückungskredit von 20 Milliarden Euro geeinigt, um die Kosten des Abgas-Skandals abzufedern. Insgesamt hätten 13 Banken Kreditangebote gemacht, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. VW wählt diesen Weg, weil der Konzern sich auf den Anleihemärkten derzeit nur zu ungünstigen Konditionen refinanzieren könnte. Volkswagens Bonität ist wegen des Abgas-Skandals von Ratingagenturen herabgestuft worden.

In der VW-Affäre gerät nun auch der Zulieferer Bosch unter Druck: In den USA ist beim Bezirksgericht in Detroit eine Sammelklage eingereicht worden, die Bosch neben dem VW-Konzern als Beklagte aufführt. Bosch wird beschuldigt, im Abgas-Skandal Teil einer „Verschwörung“ gewesen zu sein. Der Betrug sei durch den Stuttgarter Zulieferer, von dem die Software stamme, gefördert und begünstigt worden, so die Anklageschrift. Ein Bosch-Sprecher wollte zu den Vorwürfen keinen Kommentar abgeben und verwies auf ein früheres Statement. Darin weist Bosch eine Verantwortung von sich.