Berlin . Eine Kanzlei attackiert den VW-Konzern wegen Betrugs und sittenwidriger Täuschung. Sie verlangt Schadenersatz für die Kunden.

Erstmals wird der Volkswagen-Konzern in Deutschland mit massenhaften juristischen Forderungen seiner vom Abgasskandal betroffenen Kunden konfrontiert: Die Kanzlei Stoll/Sauer aus Lahr verlangt von VW in einer ersten Tranche jetzt Schadenersatz für mehr als 800 Kunden und hat dem Konzern eine Frist bis zum 18. Dezember für außergerichtliche Verhandlungen gesetzt.

Insgesamt hätten sich bereits rund 6000 Fahrzeugbesitzer bei der Kanzlei registriert, teilen die Anwälte mit. „Täglich kommen mindestens 200 neue Geschädigte hinzu, deren Ansprüche wir ebenfalls nachträglich anmelden werden“, heißt es in einem Schreiben der Kanzlei an VW, das dieser Zeitung vorliegt. „Wir vertreten und beraten eine vierstellige Zahl von Mandanten, deren Schadenersatzansprüche sich auf mehrere Millionen Euro summieren“, sagte Rechtsanwalt Ralph Sauer. Die Kanzlei hat VW schon eine Liste und die Vollmachten der geschädigten Kunden zugestellt und gleichzeitig damit begonnen, Ansprüche auch gegenüber den jeweiligen Händlern anzumelden.

Gutachten stützt Käufer-Rechte

Der juristische Angriff der Anwälte gegen VW fußt auf den einschlägigen Paragrafen des Strafgesetzes (Betrug), dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (strafbare Werbung) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (sittenwidrige vorsätzliche Schädigung).

„Durch das Vorspielen falscher Tatsachen hat VW bei den Käufern der PKW falsche Vorstellungen geweckt“, heißt es in dem Schriftsatz an den Konzern. „Damit ist der Straftatbestand des Betrugs erfüllt.“

Zudem habe VW mit unwahren Tatsachenbehauptungen über seine Fahrzeuge irreführende Werbung verbreitet und Schadstoffklassen beworben, „die nicht einmal im Ansatz eingehalten werden“. Die arglistige Täuschung der Kunden und die vorsätzliche Manipulation der Abgaswerte sei sittenwidrig. „Dabei spielt es keine Rolle, welche Ebene der Mitarbeiterhierarchie getäuscht hat“, betonen die Anwälte und machen weitreichende Schadenersatzansprüche ihrer Mandanten geltend.

Darüber hinaus seien Fahrzeugbesitzer so zu stellen, als wenn sie im Verkaufsgespräch über die Manipulationen aufgeklärt worden wären und das Fahrzeug deshalb nicht erworben hätten, heißt es in dem Schreiben. „Die Volkswagen AG hat deshalb die Fahrzeuge gegen Zahlung des Kaufpreises zurückzunehmen“.

Gestützt wird der juristische Vorstoß auch durch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu möglichen zivil- und strafrechtlichen Implikationen der Manipulationen bei VW. Sollte VW die Täuschung der Behörden und Kunden im klaren Wissen um die Rechtswidrigkeit der Manipulation vorgenommen haben, „dürften gewichtige Gründe dafür sprechen, in der Gesamtschau einen vorsätzlichen Verstoß gegen die guten Sitten“ anzunehmen, heißt es in dem Gutachten, das dieser Zeitung vorliegt. Eine Haftung des Unternehmens für solche Verstöße bestehe laut Gesetz selbst dann, wenn kein einziger Mitarbeiter persönlich haftbar zu machen ist. Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz sei „darauf hinzuweisen, dass ein besonders enger Zusammenhang zwischen dem inkriminierten Verhalten und dem Schaden nicht vorausgesetzt wird, sondern auch ein mittelbarer, über verschiedene Zwischenglieder verursachter Nachteil ausreicht“. Schlechte Karten also für Volkswagen, die Ansprüche abzuweisen.

Bank prüft Förder-Kredite an VW

Unbehagen droht VW derweil noch an anderer Stelle: Die Europäische Investitionsbank hat nach den neuesten Eingeständnissen des Konzerns zu falsch deklarierten CO2-Werten alle Darlehen an VW einer neuen Prüfung unterzogen. Aufgrund der neuen Erkenntnisse habe die Bank ihre Überprüfung ausweiten müssen, heißt es aus Finanzkreisen. Dies verlängere den Prüfprozess. Die Bank sei zudem sehr besorgt über die neuen Vorwürfe gegen VW, hieß es. Insgesamt hat der Konzern seit 1990 rund 4,6 Milliarden Euro Darlehen von der Bank bekommen. Rund 1,8 Milliarden davon hat VW noch nicht zurück gezahlt. Geknüpft waren viele Darlehen an die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien.

„Wir überprüfen weiter, inwieweit Darlehen, die an VW vergeben wurden, für Bereiche verwendet wurden, die vom Emissionsthema betroffen sind“, sagte Ambroise Fayolle, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank dieser Zeitung. Die Überprüfung der Darlehen an VW sei noch nicht beendet. Mehr teile man dazu nicht mit.