Straßburg . Ab 2017 dürfen neue Diesel-Modelle die bisherigen Grenzwerte überschreiten. Umweltschützer sind über den EU-Entscheidung empört.

Die Entscheidung fiel per Mehrheitsentscheid im zuständigen technischen Fachausschuss der Mitgliedsstaaten. Danach können neue Modelle ab 2017 den Abgasgrenzwert der Euro-6-Norm von 80 Milligramm Stickoxid (NOx) pro Kilometer um den Faktor 2,1 überschreiten. Das entspricht 168 Milligramm. Für alle Neuwagen gilt der Wert erst zwei Jahre später. Vom Jahr 2020 an darf der Richtwert bei neuen Modellzulassungen nur noch um die Hälfte überschritten werden, für Neuwagen gilt diese Regelung ab 2021. Gemessen wird jeweils mittels des sogenannten RDE-Tests (Real Driving Emissions), der den Schadstoffausstoß nicht mehr wie bisher auf dem Prüfstand, sondern im tatsächlichen Fahrbetrieb auf der Straße kontrolliert.

Umweltschützer sind über den Beschluss empört

Mit dieser Einigung ist ein neuer Rahmen für die Autoabgastests in Europa gesteckt. Danach werden die geltenden Regeln zwar strenger gefasst als bisher, aber immer noch weniger scharf als von der EU-Kommission ursprünglich geplant. Die Brüsseler Behörde wollte eigentlich nur geringe Abweichungen von weniger als 20 Prozent zwischen Straßen- und Labortests zulassen. Mit dem Votum der Experten ist die Entscheidung im Prinzip gefallen, das Europaparlament und die EU Staaten haben aber noch Prüfrechte.

Umweltschützer und Grüne reagierten empört auf den Beschluss. „Für die Autoländer hat es ‚Dieselgate‘ – also den VW-Skandal – offenbar nie gegeben“, erklärte Greg Archer von der Verkehrsfachorganisation Transport & Environment. „Die Verschmutzung mit Stickoxiden, die hauptsächlich von Dieselfahrzeugen stammt, verursacht vorzeitigen Tod, Asthma und Geburtsschäden. Es ist schockierend, dass die Regierungen derart darauf bedacht sind, die Autohersteller bei Laune zu halten, und die Folgen dieses unsichtbaren Killers ignoriert, der jährlich mehr als eine halbe Million Menschen tötet.“

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europa-Parlament, Rebecca Harms, sprach von einer „zynischen Entscheidung der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten. Allen voran die deutsche Bundesregierung hat offenbar nichts aus dem Abgasskandal von Volkswagen gelernt.“ Die EU-Kommission habe dem Druck einiger Mitgliedsstaaten nachgegeben. Die Liberalen verurteilten die „skandalöse Entscheidung“. Sie sei hinter verschlossenen Türen von einem Ausschuss gefällt worden, der eigentlich nur für rein technische Bestimmungen zuständig sei. Nach den EU-Regeln hat das Parlament nun lediglich die Wahl, den Beschluss komplett zu kippen oder anzunehmen. Veränderung in Einzelpunkten ist nicht möglich.

Niederlande für weniger Zugeständnisse an Autoindustrie

Die Brüsseler EU-Zentrale selbst wertete den Beschluss hingegen als Erfolg. Jetzt stehe fest, dass ab September 2017 die Neuzulassung von Dieselautos an eine Abgaskontrolle unter realen Verkehrsbedingungen geknüpft sei. „Die EU ist der erste und einzige Raum, der diese robusten Testmethoden verpflichtend macht“, erklärte die Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska, ohne darauf einzugehen, dass ihre Vorschläge von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten stark verändert worden waren. Neben Deutschland hatten sich unter anderem Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und die Slowakei dafür eingesetzt, die Grenzwerte stärker zu lockern, als von Bienkowska vorgeschlagen, und zugleich den Übergang zur neuen Testmethode zeitlich zu strecken. Vor allem die Niederlande hatten vergeblich verlangt, die Zugeständnisse an die Interessen der Autoindustrie in einem engeren Rahmen zu halten.

Das RDE-Verfahren, das stand schon seit dem Frühjahr fest, wird 2016 zunächst nur probeweise eingeführt. Für die Zulassung kommt es deshalb weiterhin auf die Ergebnisse des bisher angewendeten Prüfstandverfahrens an, das unter unrealistischen Laborbedingungen erheblich niedrigere Werte produziert. Nach den Vorstellungen der Kommission sollten die RDE-Test ab September 2017 verbindlich werden. Zugleich hätte die Obergrenze nach Euro 6 nur um 60 Prozent übertroffen werden dürfen. Zwei Jahre später wären nur noch Abweichungen um 20 Prozent zulässig gewesen.

Laut EU-Kreisen wäre Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) mit Bienkowskas Vorschlag einverstanden gewesen. Das sei aber nicht die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) gewesen. Beim jüngsten Treffen mit ihren EU-Kollegen hatte Hendricks ihrerseits bereits eine vorsichtige Position bezogen und gesagt, man könne nur „umsetzen, was technisch möglich ist“.

Im Europaparlament hatte der Mittelstandskreis der EU-Christdemokraten „ausreichend Übergangszeit für die strengeren Abgastests“ verlangt. Sonst drohe „die Vernichtung des Forschungs- und Entwicklungsaufwands einer ganzen Motorengeneration“.