Wolfsburg. Die Stuttgarter Richter müssen klären, ob die versuchte VW-Übernahme lange geplant war. Den Managern drohen bis zu fünf Jahren Haft.

Es gibt Männer, die tiefer gefallen sind als Wendelin Wiedeking. Und unsanfter. 50 Millionen Euro hatte der Manager als Abfindung bekommen, damit er den Chefposten bei Porsche räumt. Als er sich am 23. Juli 2009 von der Belegschaft im Porsche-Werk in Stuttgart-Zuffenhausen verabschiedete, erntete er tosenden Applaus – schließlich hatte er Porsche in den 90er Jahren aus der Krise geführt. Er war es aber auch, der den Konzern mit dem Versuch, Volkswagen zu übernehmen, nach 2008 in ein finanzielles Desaster manövrierte. Es hätte schlimmer kommen können für den Westfalen, der einmal der bestverdienende Vorstandschef Europas war. Aber sein Fall ist ja vielleicht noch nicht vorbei.

Am Donnerstag beginnt am Landgericht Stuttgart der Prozess, in dem sich Wiedeking wegen des Vorwurfs der informationsgestützten Marktmanipulation verantworten muss. Ein Mammut-Prozess. Bis Februar sind 26 Termine angesetzt. Mit ihm auf der Anklagebank sitzt der ehemalige Porsche-Finanzchef Holger Härter. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, die Anleger 2008 im Übernahmepoker mit Falschinformationen gezielt in die Irre geführt und den VW-Kurs manipuliert zu haben. Bei einer Verurteilung drohen den Managern hohe Geldstrafen oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Das hatten sich die beiden anders ausgemalt.

Porsche-Aktie kostete nicht mehr als Päkchen Butter

Vielleicht war es der überbordende Erfolg von Porsche mit einem Rekordgewinn nach dem nächsten, der Mitte der 2000er Jahre zu dem blinden Glauben führte, ein kleines Unternehmen könnte einen Konzern schlucken, der mehr als zehn Mal so viel Umsatz machte und weit mehr als zwanzig Mal so viele Mitarbeiter hatte.

Als Wiedeking 1993 Porsche-Vorstandschef wurde, kostete die Porsche-Aktie nicht viel mehr als ein Päckchen Butter, rund 2,40 Mark. Ende Oktober 2007 wurde sie kurzzeitig für über 157 Euro gehandelt. Der 2002 von Wiedeking eingeführte Porsche Cayenne hatte viel Geld in die Kassen des Unternehmens gespült, das lange unter einer falschen Modellpolitik und zu hohen Kosten gelitten hatte. Und dann wurde diese waghalsige Idee geboren.

Posche hatte Übernahme-Absicht stets dementiert

2005 hatten die Porsche AG und von November 2007 an die neu gegründete Porsche Holding SE schrittweise ihre Anteile an Volkswagen erhöht. Volkswagen steckte 2005 mitten in der Aufarbeitung einer dreckigen Affäre um Schmiergeld, falsche Spesenabrechnungen, Lustreisen und Partys auf Firmenkosten. Kein schlechter Zeitpunkt, um anzugreifen. Porsche hatte jedoch die Absicht stets dementiert, den Anteil auf 75 Prozent und somit eine beherrschende Mehrheit aufzustocken.

Bis zum 26. Oktober 2008. Das ist der Tag, um den sich bei der Verhandlung alles dreht: Für eine Verurteilung müsste Wiedeking und Härter nachgewiesen werden, dass sie schon vor diesem Datum den Plan zur Übernahme von VW gefasst hatten.

Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt. Das Landgericht Stuttgart hingegen hielt es für zu schwierig, diesen Nachweis zu erbringen, und hatte die Eröffnung des Hauptverfahrens im April 2014 abgelehnt. Nachdem die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde eingelegt hatte, entschied das Oberlandesgericht, dass der Prozess dennoch stattfindet. Zeugenvernehmungen, so hieß es, könnten Licht ins Dunkel bringen. Für sie dürfte in den 25 Folgeterminen genug Zeit sein. Vom 29. Oktober an werden unter anderem polizeiliche Sachbearbeiter, anwaltliche Berater, Mitarbeiter des Unternehmens in der Führungsebene und – ab Januar – Mitglieder des Aufsichtsrats gehört.

Wiedeking will ausführlich Stellung nehmen

Mit Spannung werden dabei allen voran die Aussagen des VW-Patriarchen und ehemaligen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch und seines Cousins Wolfgang Porsche, der Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG und der Porsche SE ist, erwartet. Ob sie aussagen müssen, ist allerdings unklar. Dazu könnte es laut der Nachrichtenagentur Reuters aber eventuell gar nicht kommen. Sie beruft sich auf die Wiedeking-Verteidiger, die sagen, dass Porsche, Piëch und Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück ihrer Meinung nach gar nicht aussagen müssen. Der Angeklagte Wiedeking hingegen werde ausführlich Stellung nehmen, heiße es aus seinem Umfeld. Seine Verteidiger hatten den Vorwurf der Marktmanipulation stets zurückgewiesen.

In dem jetzigen Hauptverfahren geht es aber nicht nur um die zwei Manager, die nach dem gescheiterten Übernahmeversuch ihre Karrieren unter dem Giganten VW begruben. Eine Verurteilung könnte der Durchbruch für viele Schadenersatzklagen sein. Anleger haben in dem Übernahmekampf, in dessen Folge die VW-Stammaktie am 28. Oktober auf den Wert von über 1000 Euro schoss und dann abstürzte, viel Geld verloren. Es hagelte Klagen. Bisher war allerdings keiner der Kläger erfolgreich.

Posche SE konnte Schadenersatzklagen für sich entscheiden

Zwei Schadenersatzklagen hatte die Porsche SE für sich entscheiden können. Im Herbst 2012 hatte Stefan Puhle, damals Richter am Landgericht Braunschweig und heute im Ruhestand, zwei Klagen abgewiesen. Seine Begründung: Porsche habe sich weder sittenwidrig noch grob falsch verhalten. Zu diesem Ergebnis war er auch Ende Juli 2014 in einer weiteren Klage gekommen. In diesem Fall fordert ein Anleger von der Porsche SE 131 000 Euro Schadenersatz. Er hatte Berufung gegen das Urteil eingelegt.

Eine Gruppe von 19 Hedgefonds ist vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gescheitert, nachdem sie gegen ein Urteil des Landgerichts Stuttgart in Berufung gegangen war. Es ging um Schadenersatzforderungen in Höhe von knapp 1,2 Milliarden Euro.

Am Landgericht Braunschweig, bei dem ursprünglich acht Verfahren anhängig waren, wird nun keine Schadenersatzklage gegen Porsche mehr verhandelt. Das letzte Verfahren war im Juni wegen kartellrechtlicher Aspekte an das Landgericht Hannover verwiesen worden. Darin hatte die HWO GmbH, ein Unternehmen der Merckle-Gruppe, von der Porsche SE knapp 213 Millionen Euro gefordert. Am Landgericht Hannover werden weitere Milliarden-Verfahren geführt. Termine stehen laut Landgerichtssprecher Steffen Wolters aber noch nicht fest.

Weitere Verfahren

In einem Fall verklagen sieben Investmentfonds-Gesellschaften um den Hedgefonds Elliott Associates die Porsche SE auf 2 Milliarden Euro Schadenersatz. In einem weiteren fordert ein privater Kläger 1,3 Millionen Euro Schadenersatz. In anderen Verfahren will die Inkassogesellschaft ARFB 1,8 Milliarden Euro von der Porsche SE und VW sehen, sowie 351 Millionen Euro von der Porsche SE.

In den beiden letzten Fällen hatte zuletzt Uwe Hück von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Er ist der Porsche-Betriebsratschef und Vizechef des Aufsichtsrats der Porsche AG und Porsche SE. Laut Landgericht hätte Hücks Aussage Feststellungen zu einem strafbaren Verhalten zugelassen. Wenige Wochen später waren jedoch auch die Ermittlungen gegen Hück, die die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen ihn wie den kompletten früheren Aufsichtsrat der Porsche SE aufgenommen hatte, eingestellt worden.

Es war wohl auch das Schicksal, das Wiedeking und Härter 2008, ein Jahr vor der geplanten VW-Übernahme, böse mitgespielt hat. Porsche hatte sich Optionen auf VW-Aktien gesichert. Damit die Rechnung aufgeht, musste Porsche zum einen weiter Kredite von Banken bekommen, damit der Konzern Aktien kaufen kann. Zum anderen durfte der Kurs der VW-Aktie nicht zu stark fallen. Durch die Optionsstruktur hätte Porsche ansonsten einen horrenden Ausgleich an die Banken zahlen müssen.

Folgen der Wirtschaftskrise

Doch am 14. September 2008 klingelt um 22 Uhr bei Bryan Marsal das Telefon. Der Mann für die großen Sanierungsfälle in den USA hat einen Vertreter des Verwaltungsrats von Lehman Brothers am Telefon: „Lehman Brothers wird morgen früh Insolvenz anmelden. Wir wollen Sie als Sanierungsvorstand.“ Die Folgen mit der weltweiten Wirtschaftskrise sind weitgehend bekannt. Sie machte auch Wiedeking und Härter einen Strich durch die Rechnung. Die VW-Aktie brach ein, Banken vergaben nur noch äußerst verhalten Kredite. Die letzte Stellschraube: am Aktienkurs von VW drehen, damit die Ausgleichszahlungen nicht fällig werden.

Am 26. Oktober 2008 veröffentlichte Porsche seine Pläne. Da wurde bekannt: 42,6 Prozent der Stammaktien gehörten Porsche bereits, für 31,5 Prozent hatte sich das Unternehmen Optionen gesichert. Das ergibt rund 74 Prozent. Mit dem Anteil Niedersachsens von 20 Prozent waren kaum noch stimmberechtigte Aktien im Umlauf. Die Nachfrage stieg rasant, wie der Aktienkurs. Porsche kaufte weiter, um die Optionen nicht zu verlieren und den Kurs somit zu gefährden. Die Porsche SE hielt in der Folge über 50 Prozent der VW-Stammaktien. Jüngst hat sie ihren Anteil noch einmal auf 52,2 Prozent aufgestockt. Die Porsche AG hingegen musste gerettet werden und wurde zur 100-prozentigen Tochter von Volkswagen.

Das war nach dem 26. Oktober. Was passierte davor? Wann wurde der Plan zur Übernahme von VW beschlossen? Darum geht es ab Donnerstag in Stuttgart.