Verbraucherpreise in Europa sinken um 0,2 Prozent. Droht eine Deflation mit schlimmen Folgen für die Wirtschaft? Experten mahnen zur Besonnenheit.

Hamburg. Das hat es seit dem Wirtschaftskrisenjahr 2009 nicht mehr gegeben: Im Dezember sind die Verbraucherpreise im Euro-Raum gesunken. Wie das Statistikamt Eurostat in einer ersten Schätzung mitteilte, lag die Teuerungsrate bei minus 0,2 Prozent. Dies weckt bei manchen Beobachtern Ängste vor einer Deflation – einem länger anhaltenden Preisverfall, der Europas Wirtschaft lähmen könnte.

Hier die wichtigsten Fragen rund um den Rückgang der Preise:

Was bedeutet der Begriff Deflation?

Sie schreckt noch mehr als die Inflation: Die Deflation, also anhaltend sinkende Preise. Was für Verbraucher auf den ersten Blick wie eine gute Nachricht aussieht, kann am Ende eine ganze Volkswirtschaft in den Abgrund stürzen. Das wäre möglich, wenn Haushalte Anschaffungen in der Hoffnung auf immer niedrigere Preise verschieben – und sich Unternehmen bei Investitionen ähnlich verhalten. Das Ergebnis: Die Wirtschaft friert ein.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann betonte jüngst aber, eine tatsächliche Deflation gebe es bei einigen Monaten negativer Teuerung noch nicht.

Warum sinken die Preise?

Der Grund für den Rückgang der Preise im Dezember seien vor allem die stark fallenden Energiekosten, teilte Euro-stat mit. Diese sanken im Vergleich zum November um 2,6 Prozent. Gegenüber dem Dezember 2013 gab es einen Rückgang von sogar 6,3 Prozent. So ist der Preis je Barrel (159 Liter) Rohöl der Nordsee-Sorte Brent seit dem Juni 2014 auf deutlich weniger als die Hälfte gefallen; am Dienstagmorgen notierte Brent bei knapp 49,81 Dollar (42,34 Euro) und damit erstmals seit fast sechs Jahren unter der Marke von 50 Dollar.

Stabil blieben im Dezember nach Angaben von Eurostat dagegen die Preise für Nahrungsmittel und Getränke sowie für Industriegüter.

Sinken die Preise auch in Deutschland?

Wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte, lag die Teuerungsrate im Dezember bei 0,2 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit Oktober 2009, als die Verbraucherpreise im Jahresvergleich überhaupt nicht mehr stiegen. Im November hatte die Teuerungsrate noch bei 0,6 Prozent gelegen. „Ich erwarte aber nicht, dass wir in Deutschland – so wie jetzt schon im Euro-Raum – unter die Null-Linie rutschen“, sagt Haspa-Chefvolkswirt Jochen Intelmann. Er geht davon aus, dass die Inflationsrate in Deutschland tendenziell bis zum Jahresende wieder bis auf etwa 1,0 Prozent klettert.

Für das Minuszeichen vor der Euro-Teuerungsrate war nicht zuletzt Spanien verantwortlich. Dort verringerten sich die Verbraucherpreise im Dezember um 1,1 Prozent. Außer dem Ölpreisrückgang wirkte sich dort noch ein anderer Faktor aus: „Die Kaufkraft der Verbraucher hat unter der kräftig erhöhten Arbeitslosenquote gelitten“, so Intelmann. Aus diesem Grund hätten Unternehmen ihre Preise gesenkt.

Besteht Gefahr für die Konjunktur?

„Wir halten die aktuelle Diskussion über die Gefahren einer Deflation in der Euro-Zone für überzogen“, heißt es in einer Analyse der Deutschen Bank: „Noch handelt es sich nicht um einen längerfristigen Rückgang der Preise auf breiter Front mit den Gefahren einer Deflationsspirale, sondern um eine Disinflation, also einen sich abschwächenden Preisauftrieb.“ Abgesehen davon seien Lohn- und Preisrückgänge in den „Peripherieländern“ der Euro-Zone auch „dringend notwendig“, denn nur auf diese Weise könnten diese Staaten ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, argumentieren die Analysten der Deutschen Bank.

Rechnet man die Energie- und Nahrungsmittelpreise heraus, ist die sogenannte Kerninflation im Dezember sogar leicht auf 0,8 Prozent gestiegen. „Vor diesem Hintergrund hat die negative Gesamtinflationsrate mit Deflation nichts zu tun“, erklärt Alexander Krüger, Chefvolkswirt beim Bankhaus Lampe. Wie schon 2009, als sie fünf Monate lang unter der Nulllinie lag, wirkten sich darin die stark gesunkenen Energiepreise aus. Der private Verbrauch sei aber seit dem Frühjahr 2013 durchweg gestiegen.

Ähnlich argumentiert Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses Berenberg, der in den aktuellen Preisdaten ebenfalls keinen Grund zur Besorgnis erkennt: „Die Konsumneigung in der Euro-Zone ist ziemlich hoch. Es gibt überhaupt keine Anzeichen, dass Verbraucher den Kauf von Fernsehern oder Autos aufschieben.“

Wie wird die EZB reagieren?

Die Europäische Zentralbank (EZB) als Währungshüter sieht Preisstabilität bei einer jährlichen Teuerungsrate von knapp 2,0 Prozent gewahrt. Von dieser Zielmarke ist sie nun noch weiter entfernt als zuvor. Daher rechnen viele Beobachter damit, dass die EZB schon auf ihrer Sitzung am 22. Januar eine deutliche Ausweitung ihres Anleihekaufprogramms beschließt. Das Kalkül dahinter: Gelangt viel Geld ins Finanzsystem, ziehen auch die Preise wieder an.

Mit ihrer lockeren Geldpolitik habe die EZB zwar verhindert, dass die akute Krise im Euro-Raum wieder aufflackere, sagt Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). „Doch alleine kann die Zentralbank keine Deflation verhindern und den wirtschaftlichen Trend auch nicht zum Positiven drehen“, so Horn. Sie brauche Unterstützung durch eine „investitionsorientierte Finanzpolitik“ der Euro-Länder mit finanziellen Spielräumen. „Da passiert noch viel zu wenig, insbesondere in Deutschland.“