Immer mehr Hamburger Musiker sammeln Startkapital für ihre Alben im Internet ein. Doch die Fans aus dem Netz wollen umworben werden

Hamburg. Wolfgang Müller ist immer noch ganz überwältigt. „Mit einem solchen Zuspruch der Fans habe ich ehrlich nicht gerechnet“, sagt der Hamburger Songwriter, während er in seinem kleinen, privaten Studio an der Juliusstraße im Schanzenviertel sitzt. Der Regen prasselt gegen die Scheiben der Dachgeschosswohnung, in der Küche köchelt der Kaffee, Müller hält seine Gitarre auf dem Schoß, schlägt ein paar Akkorde an.

Hier, zwischen Computern, einem verschlissenen, blassgrünen Sofa und Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“-Gemälde sind die Songs zu Müllers fünftem Album entstanden. Um das Thema Geburt im weitesten Sinne wird es darauf gehen. Lyrisch-nachdenkliche Songs wie etwa das Stück „Goldfisch“, ganz aufs Wesentliche reduziert. Gesang, Gitarre, Piano, ab und an ein paar Backgroundstimmen. Alles akustisch, kein technischer Schnickschnack.

Dass der 39-Jährige seine hintersinnigen Liebeserklärungen an das Leben nun professionell produzieren und auf CD und Vinyl pressen lassen kann, hat er fast 300 Unterstützern aus dem Internet zu verdanken. Vor rund vier Wochen startete Müller eine Crowd- funding-Kampagne auf der Hamburger Plattform Nordstarter, um 9000 Euro für das neue Studioalbum einzusammeln. Als die Aktion kurz vor Weihnachten endete, hatte der Musiker sein Ziel nicht nur erreicht, sondern sogar 2000 Euro mehr als ursprünglich geplant zusammenbekommen.

Einige Unterstützer buchten ein Wohnzimmerkonzert für 800 Euro

Manch ein Fan sicherte sich für zehn Euro einen Jutebeutel mit Albumzitat, andere orderten für 15 Euro Tickets für eines der ersten drei Release- konzerte. Drei buchten gar einen exklusiven Wohnzimmerauftritt für jeweils 800 Euro. Die meisten konnten sich für das Angebot erwärmen, das neue Album zwei Wochen vor allen anderen samt persönlicher Widmung und namentlicher Erwähnung im Booklet zu erhalten.

So wie Liedermacher Müller besorgen sich mittlerweile immer mehr Hamburger Musiker das Geld für ihre neuen Alben über Crowdfunding oder Schwarmfinanzierung. Die Idee stammt ursprünglich aus den USA, wo über die weltweit größte Plattform Kickstarter seit der Gründung 2009 schon mehr als eine Milliarde Dollar für kreative Projekte zusammengekommen ist.

Rocklegende Neil Young hat dort schon über sechs Millionen Dollar für den Bau eines neuen Musikabspielgerätes namens Pono eingeworben, Tüftler ließen sich die Entwicklung eines spinnenförmigen Roboters bezahlen und ein Spaßvogel brachte zu seiner eigenen Überraschung gar 55.000 Dollar für die ausgesprochen simple Idee zusammen, einen Kartoffelsalat zu machen.

Die Erfolge der Plattform Nordstarter, die von der staatlichen Hamburg Kreativ Gesellschaft in Zusammenarbeit mit der Plattform Startnext betrieben wird, nehmen sich dagegen sehr viel bescheidener aus. Doch auch die Hanseaten verbuchen hohe Zuwachsraten. Insgesamt wurden in diesem Jahr 65 Projekte aus Norddeutschland mit 565.800 Euro finanziert, 2013 war für insgesamt 44 Projekte noch nicht einmal die Hälfte dieser Summe zusammengekommen.

Für Musikprojekte ist die Unterstützung nach Erfahrung der Nordstarter-Macher besonders hoch, 20 Gruppen konnten in diesem Jahr mehr als 190.000 Euro einsammeln. „Viele Bands haben bereits eine Fan-Community, die sie beim Crowdfunding finanziell unterstützen und Aufmerksamkeit auf das Projekt lenken kann“, sagt die Sprecherin der Hamburg Kreativ Gesellschaft, Jenny Kornmacher.

Als besonders lukrativ erwies sich in diesem Jahr die Kampagne der Band Phrasenmäher, die mehr als 31.000 Euro für ihre neues Studioalbum zusammenbekommen konnte. Als „Dankeschöns“ für die Unterstützer hatten die Hamburger nicht nur die üblichen Vorabversionen, sondern auch ein Telefonkonzert oder die Möglichkeit angeboten, Bandmitglied für einen Tag zu werden. Nach Anschluss der Kampagne schickten sie noch ein Video vom Santa-Pauli-Weihnachtsmarkt mit ihrem Christmassong „Wirklich gerade ist der Baum ja nie“.

Auch für Wolfgang Müller ist die Einbindung seiner Unterstützer der Schlüssel zum Erfolg beim Crowdfunding. „Weil es auf meinem aktuellen Album um das Thema Geburt geht, habe ich die Fans gebeten, mir ihre Kinderfotos zu schicken“, sagt der Songwriter. Hunderte folgten dem Aufruf und sandten Aufnahmen auf dem Gokart, im Kinderwagen, unter dem Tannenbaum oder mit einem rot-weiß gepunkteten Ball ein. „Diese Bilder werde ich jetzt für das Cover verwenden, so werden die Fans zu einem Teil der neuen CD.“

Müller hat schon einige Erfahrung in Sachen Schwarmfinanzierung. Auch sein letztes Album „Über die Unruhe“ hat er auf diesem Weg produzieren können. Darüber hinaus sammelte er mehr als 7600 Euro für die düster-schöne Märchen-CD „Es war einmal und wenn sie nicht“ ein, auf der Musikerkollegen wie Cäthe, Olli Schulz oder Gisbert zu Knyphausen zusammen mit ihm Texte der Gebrüder Grimm einlasen.

„Ein Selbstgänger sind solche Projekte nie“, sagt Müller. „Am Anfang läuft es meistens gut, aber der Mittelteil ist zäh, da besteht die Gefahr, dass die Leute das Interesse verlieren.“ Die „Gummiphase“ nennt der Musiker diesen Teil der Crowdfunding-Kampagne, in dem es gilt, mit neuen Anreizen für die Fans nachzulegen und so die Begeisterung wachzuhalten.

Ein Vabanquespiel ist die Schwarmfinanzierung vor allem deshalb, weil alle Plattformen nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip funktionieren. Nur wenn das zuvor festgelegte Finanzierungsziel in einem bestimmten Zeitraum erreicht wird, wird das eingesammelte Geld auch ausgezahlt. Um diese Hürde auf jeden Fall zu überspringen, hilft der eine oder andere auch schon mal nach und spendet am Ende unter einem Pseudonym für sich selbst, wie mehrere Musiker unter der Hand einräumen.

Wie sehr ein Crowdfunding zur Zitterpartie werden kann, hat gerade die Hamburger Liedermacherin Gesa Winger erlebt. Bis zum Ende ihrer Kampagne am vergangenen Sonnabend musste die 30-Jährige heftig kämpfen, um die vergleichsweise bescheidene Summe von 1500 Euro für die Produktion ihres ersten Livealbums zusammenzubringen. „Ich habe am Ende noch ein Musikvideo und eine Dokumentation produziert, um auf mein Projekt aufmerksam zu machen“, erzählt sie.

Für Winger, die unter dem Künstlernamen Melody Found auftritt, ist ihr Leben als Singer-Songwriterin die Erfüllung eines Lebenstraums. Acht Jahre hat die gebürtige Schleswig-Holsteinerin in der Augenoptikbranche gearbeitet, bevor sie ihren sicheren Job kündigte und den Sprung ins Ungewisse wagte.

Viele ihrer Songs handeln vom Meer und der norddeutschen Weite, aber auch ihrem Wagnis und dem Wunsch, zumindest ein wenig vom Glamour der Musikszene mitzubekommen. „Ich will doch nur ein bisschen Hollywood“, heißt der Titelsong ihres ersten Albums, das sie auch über Crowdfunding finanzierte.

Die aktuelle Live-CD, die Winger jetzt gerade in einer Auflage von einigen Hundert Stück pressen lässt, wurde im Club Prinz Willy in Kiel mitgeschnitten. „Das war ein magischer Abend, an dem einfach alles gestimmt hat“, schwärmt die Sängerin. „Ich wollte unbedingt, dass das auch andere Menschen, die nicht bei dem Konzert dabei waren, zu hören bekommen.“

Bei aller Begeisterung – leben kann Gesa Winger von ihren Einkünften als Musikerin bislang nicht. Drei Jahre hat sie sich selbst Zeit gegeben, um den Durchbruch zu schaffen. Bis dahin lebt sie von ihren Rücklagen, wohnt in einer WG, fährt Fahrrad und spart auch sonst, wo sie kann. „Ich bin zuversichtlich, dass es klappt“, meint sie. Und: „Ich möchte mir später auf keinen Fall sagen, dass ich es nicht versucht habe.“

Auch für Wolfgang Müller ist der ganz große Erfolg bislang ausgeblieben, obwohl sich seine intelligenten Songs mindestens auf Augenhöhe mit Stars wie Niels Frevert oder deutschen Bands wie Erdmöbel oder Element of Crime bewegen. „Vermutlich sind meine Texte einfach zu verschachtelt, um für die breite Masse ansprechend zu sein“, sagt Müller lächelnd. „Die meisten haben es ja gern einfach.“

Wechseln zwischen den Berufen Musiker und Programmierer

Einen Kopf macht sich der Familienvater darüber schon lange nicht mehr. Er hat einen Weg gefunden, um sein Leben als professioneller Musiker zu finanzieren, ohne sich dem Massengeschmack anzupassen. Wenn Müller nicht gerade an neuen Songs puzzelt, arbeitet er in seinem zweiten Beruf als Programmierer. „Ich mag den Wechsel zwischen den beiden Welten. Programmieren ist etwas Bodenständiges, da hebt man nicht ab.“

Das Crowdfunding hat Müller über die Jahre richtig lieb gewonnen, auch wenn der zurückhaltende Musiker („Ich bin keine Rampensau“) immer noch Schwierigkeiten damit hat, im Mittelpunkt zu stehen und für sich selbst Werbung zu machen. „Es ist ein gutes Gefühl, beim Entstehen eines neuen Albums nicht allein zu sein“, sagt er. Und weil das etwas pathetisch klingt setzt er noch hinzu: „Außerdem würde mir eine Bank sowieso kein Geld für das geben, was ich so mache.“