Das Hamburger Privatbankhaus wächst kräftig in der britischen Metropole. Fonds und Privatkunden im Fokus

London. Der Blick aus dem Besprechungsraum der Londoner Niederlassung des Hamburger Bankhauses Berenberg zeigt eine eindrucksvolle Mischung aus traditionsreichen Bauten und kühner moderner Architektur, wie sie für das Finanzviertel City of London charakteristisch ist: Rechts das rückwärtige Säulenportal der früheren Börse Royal Exchange von 1844, links heben sich die vier Turmspitzen der Kirche St. Michael’s im neugotischen Stil vor der 160 Meter hohen, extravagant gekrümmten Glasfassade eines erst im April fertiggestellten Büroturms ab.

Ohnehin hat es hier nicht den Anschein, als habe die Dynamik des Finanzplatzes London unter der Bankenkrise der Jahre 2007 bis 2009 stark gelitten. „In der Finanzkrise haben sich einige Banken aus Frankfurt zurückgezogen, aber nicht aus London“, sagt Gunnar Cohrs, der als Leiter des Bereichs Aktienanalyse von Berenberg seinen Dienstsitz in der britischen Hauptstadt hat. Sie sei unbestritten der „Finanzplatz Nummer eins in Europa“.

Seit dem Jahr 2003 ist die Hamburger Privatbank in London präsent, anfänglich mit drei Personen. Heute sind es 209 – und damit ist London der zweitgrößte Berenberg-Standort nach Hamburg mit rund 740 Beschäftigten. „Berenberg ist seit der Jahrtausendwende sehr stark gewachsen und hat sich von einer norddeutschen Bank zu einem international aufgestellten Beratungshaus entwickelt“, sagt Hans-Walter Peters, Sprecher der persönlich haftenden Gesellschafter. „Wegweisend war der Aufbau der Niederlassung in London.“ Allein seit Januar 2014 sind dort 30 Beschäftigte hinzugekommen.

Das zehngeschossige Gebäude aus dem Jahr 2009, in dem sie arbeiten, wirkt mit seiner dunklen Metallverkleidung zwar elegant, aber doch ähnlich unauffällig wie der Berenberg-Hauptsitz am Neuen Jungfernstieg. Weil die Bank in dem Büroblock mit der Adresse 60 Threadneedle Street nur einer von mehreren Mietern ist, muss man erst die weitläufige, minimalistisch eingerichtete Eingangshalle durchqueren, um auf den Firmennamen zu stoßen.

Die Mitarbeiter zahlen 50 Prozent mehr für Wohnraum als in Hamburg

Dafür residiert Berenberg hier in bester Lage mitten im Herzen der „City“: Die altehrwürdige Bank of England liegt in unmittelbarer Nachbarschaft, keine fünf Gehminuten entfernt steht „The Gherkin“, das von dem Stararchitekten Sir Norman Foster entworfene gewürzgurkenförmige Hochhaus.

Die „Gurke“, die vor wenigen Tagen für angeblich mehr als 900 Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, gilt zwar seit der Fertigstellung im Jahr 2004 als weithin sichtbares Wahrzeichen des Finanzdistrikts. Sie wird mittlerweile aber schon von anderen nahe gelegenen Stahl-und-Glas-Türmen in den Schatten gestellt.

Mehr als 500 internationale Banken sind in dieser Gegend auf einer Fläche von kaum drei Quadratkilometern vertreten. Damit bietet der Berenberg-Standort eine einzigartige Kundennähe, zumal das Bankhaus im Aktiengeschäft den größten Teil des Umsatzes mit institutionellen Kunden aus Großbritannien macht.

Gerade in den Jahren seit 2008 hat sich die Personalstärke in der Londoner Niederlassung vervielfacht. Man habe seitdem eine Chance genutzt, die der Sparkurs etlicher Konkurrenten infolge der Finanzkrise eröffnete, erklärt Cohrs: „Andere Banken bauen ihre Analyseteams eher ab. Das ist eine Gelegenheit für uns, Marktanteile zu gewinnen.“ Schließlich könne sich ein Privatbankhaus leichter antizyklisch verhalten als börsennotierte Konzerne.

Während Berenberg-Aktienanalysten früher auf mehrere Standorte in Europa verteilt waren, entschied man sich im Zuge dieser Expansion, sie alle in London anzusiedeln. Hier war es einfacher, zusätzliche erfahrene Mitarbeiter von anderen Geldhäusern zu gewinnen.

Heute beobachten von der Threadneedle Street aus gut 80 Analysten rund 500 Aktien, zumeist europäische. „Zwar gibt es im Investmentbanking deutlich größere Wettbewerber“, sagt Cohrs, „aber nicht in dem, was wir hier tun. Berenberg hat eines der größten Analysteams für europäische Aktien.“

Dabei bezahlen die Kunden für die Research-Informationen nicht direkt, sondern über Wertpapierhandelsaufträge, die an Berenberg vergeben werden. Der Kontakt mit diesen Kunden, meist Fonds und Pensionskassen, ist eng. „Gespräche mit ihnen, in denen man die Analyseergebnisse erläutert und in einen größeren Zusammenhang stellt, machen einen erheblichen Teil der Arbeit aus“, erklärt Cohrs. Sie wird keineswegs nur vom eigenen Schreibtisch aus erledigt: „Ein erfahrenerer Analyst geht auf 300 bis 400 Kundenmeetings im Jahr.“

Damit bietet das Büro inmitten des europäischen Finanzzentrums einen echten Standortvorteil. Aber für die Beschäftigten hat das auch eine Kehrseite: Die Mieten in London sind sehr hoch, selbst in den Außenvierteln der Acht-Millionen-Metropole ist das Wohnen um rund 50 Prozent teurer als in Hamburg. Dies stellt auch Mitarbeiter mit vier bis sechs Jahren Berufserfahrung, die in London Branchenkennern zufolge im Schnitt jährlich umgerechnet ungefähr 90.000 Euro einschließlich Bonus verdienen können, vor Herausforderungen. „Junge Kollegen wohnen entweder außerhalb der Stadt und haben einen entsprechend längeren Arbeitsweg, oder sie leben in Einzimmerwohnungen oder WG’s“, sagt der Leiter des Analysebereichs.

Dieser macht die größte Mitarbeitergruppe in der Niederlassung aus. An zweiter Stelle folgt das Sales-Team mit rund 50 Beschäftigten. Sie haben die Aufgabe, das Aktien-Know-how der Analysten bei Kunden zu vermarkten. Unter den Mitgliedern des Sales-Teams fällt ein prominenter Name auf: Der 33-jährige John von Berenberg-Consbruch ist der Sohn von Joachim von Berenberg-Consbruch, persönlich haftender Gesellschafter in zwölfter Generation von 1978 bis 2005.

Anders als im Hamburger Hauptsitz gibt es in der Londoner Niederlassung keine Kundenberatungsräume mit alten Stichen an den Wänden und gediegenen Antiquitäten. Hier bestimmen klare Linien das Bild, die Einrichtung mit dem durchgehenden sandfarbenen Teppich, Tischen aus Stahl und dunklem Holz sowie Gruppen von Kunststoffsesseln vermittelt eher den Eindruck eines modernen Hotels gehobener Kategorie. Auch leitende Mitarbeiter, etwa der Chefvolkswirt, sitzen im Großraumbüro, ihr Arbeitsplatz unterscheidet sich nicht von denen der anderen Teammitglieder.

Angesichts der hohen Bankendichte sei die Fluktuation unter den Beschäftigten höher als in Deutschland, sagt Cohrs. „Aber sie liegt unterhalb von zehn Prozent, was für diese Branche ein guter Wert ist.“ Um den Mitarbeitern die eigene Firmenkultur zu vermitteln, legt Berenberg großen Wert darauf, Nachwuchs selber auszubilden.

Die älteste britische Bank ist immerhin 82 Jahre jünger als Berenberg

Dazu stelle die Bank in London in jedem Jahr etwa zehn Trainees für ein dreijähriges Programm ein, so Cohrs: „Dafür gibt es sehr viele Bewerber, weil die meisten Wettbewerber so etwas nicht anbieten.“ Darüber hinaus strebe Berenberg danach, ein „zuverlässiger Arbeitgeber“ zu sein und den Analysten Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens zu bieten: „Beides ist in der Branche nicht unbedingt selbstverständlich.“

Für das Geschäft sei die Herkunft von Berenberg keinesfalls ein Nachteil, findet Bankchef Peters: „Uns kommt zugute, dass hanseatische Werte in der Welt etwas bedeuten, gerade in London.“ Auch das Gründungsdatum im Jahr 1590 ist an einem Ort, an dem Geschichte und Modernität so eng verwoben sind, nicht ohne Bedeutung – die älteste heute noch bestehende britische Bank, das deutlich kleinere Institut C.Hoare & Co., ist 82 Jahre jünger.

Erst vor Kurzem hat Berenberg die Bürofläche abermals vergrößert und belegt nun zweieinhalb Etagen in der Threadneedle Street. Man hat sich erkennbar auf weiteren Personalzuwachs eingestellt, etliche Schreibtischreihen sind noch leer. So will die Bank die bislang noch kleine Abteilung für die Betreuung vermögender Privatkunden ausbauen. Schließlich ist London nach Erhebungen des Beratungshauses WealthInsight die Stadt mit der höchsten Anzahl von Millionären in Europa, mehr als 4200 Personen mit einem Vermögen von je mindestens 30 Millionen Dollar (24 Millionen Euro) gebe es dort.

Doch nicht nur in London wächst Berenberg weiter. Seit 1997 hat sich die Mitarbeiterzahl in jedem Jahr erhöht, in diesem Jahr wird sie um rund 100 auf etwa 1250 Personen zunehmen, obwohl 2014 ein schwieriges Jahr für die Branche ist: Die Niedrigzinsen belasten, außerdem war das Marktumfeld für Kapitalerhöhungen und Börsengänge – eine wichtige Ertragsquelle der Hamburger – nicht günstig.

Für die relativ starke Abhängigkeit vom Investmentbanking hatte Berenberg gelegentlich auch Kritik einstecken müssen. Generell aber gelte, wie Peters sagt, die Strategie, die auch hinter der Expansion in London stand: „Uns ist der langfristige Aufbau wichtiger als der kurzfristige Gewinn.“