Der Markt wächst kräftig. Hansestadt wird zum Drehkreuz im Norden, die Konkurrenz für die Bahn härter. Das Ticket nach Berlin gibt es ab neun Euro

Hamburg. Ein junges Studentenpaar küsst sich innig zum Abschied. Ein Enkel umarmt seine Oma, wünscht liebevoll eine gute Reise. Zwei Freunde klopfen sich kumpelhaft zur Begrüßung auf die Schultern. Bei manchen fließen auch Tränen, mal aus Freude oder Sehnsucht. Szenen, wie man sie bislang nur auf Bahnhöfen oder Flughäfen kannte, sind am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Hamburg mittlerweile keine Seltenheit mehr.

Immer mehr Reisende nutzen die Fernlinienbusse, um kreuz und quer innerhalb Deutschlands zu verreisen. Um Städtetrips oder Urlaub zu machen, Freunde oder Familie zu besuchen, spontan zu Konzerten oder Klassentreffen zu fahren. Egal wo das Ziel liegt, von Hamburg aus kommt man mit dem Bus mittlerweile deutschlandweit in mehr als 100 Städte – und zwar täglich und vergleichsweise preisgünstig.

Die Liberalisierung des Fernbusmarktes hat seit 2013 zu einem kleinen Wachstumswunder in der Branche geführt. Neue Anbieter wie MeinFernbus oder FlixBus traten auf den Markt. Oft geführt von kreativen Jungunternehmern haben sie ein Streckennetz über die ganze Republik bis in angrenzende Nachbarländer aufgebaut – und ein Ende des Angebotswachstums ist nicht in Sicht. Mit bequemer Fahrkartenbuchung über das Internet und Fahrpreisen, die oft weniger als ein Drittel des Bahntickets kosten, sprechen sie vor allem preisbewusste und junge Leute mit knappen Budgets und Einkommen an.

Mit peppigem Marketing haben sie dem Reisebus wieder ein Image als modernes, sauberes und komfortables Verkehrsmittel gegeben, in dem die Passagiere an Bord nicht nur Snacks und Getränke erhalten, sondern oft auch kostenlos im Internet surfen können. Das kommt vor allem bei der Altersklasse unter 40 gut an. Klaglos nehmen die Nutzer dabei auch deutlich längere Fahrtzeiten als mit der Bahn in Kauf oder Verspätungen durch Verkehrsstaus, wenn es den Geldbeutel schont.

Die Nachfrage war vom Start weg groß. „Im ersten Jahr nutzten 8,2 Millionen Fahrgäste die neuen Fernbuslinien. 2014 rechnen wir mit einer Verdoppelung der Passagierzahlen auf mehr als 16 Millionen“, bilanziert Matthias Schröter, Pressesprecher des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer. Für 2015 sei ein weiteres Passagierplus zu erwarten. Bundesweit gebe es derzeit 252 Fernbuslinien und damit rund 110 mehr als noch vor einem Jahr. „Wir sehen durchaus noch weiteren Spielraum für neue Verbindungen insbesondere zwischen mittleren und kleineren Städten.“ So kündigte allein FlixBus in dieser Woche weitere 200 neue Verbindungen an, zu Weihnachten werde die Flotte zudem um 20 Prozent aufgestockt. Verlierer ist wiederum die Deutsche Bahn, die für 2014 erwartet, dass sie durch Umsteiger auf die Fernbusse rund 100 Millionen Euro an Umsatz einbüßen wird.

In der Hansestadt zählt die Strecke Hamburg–Berlin zu den Topfavoriten. Mehrere Anbieter fahren täglich bis zu 14-mal in die Hauptstadt und zurück. Aber auch die Linien Richtung Hannover, Frankfurt und München oder ins Ruhrgebiet sind stark nachgefragt. „2013 starteten vom ZOB insgesamt 38.000 Fernbusse. Dieses Jahr ist die Zahl der Abfahrten durch neue Verbindungen immens gestiegen – auf geschätzt 63.000 bis zum Jahresende“, berichtet der Geschäftsführer des ZOB Hamburg, Wolfgang Marahrens. „Für 2015 erwarten wir eine weitere Ausweitung der Fahrziele und damit etwa 75.000 Abfahrten.“ Einen unerwarteten, zusätzlichen Nachfrageschub brachten der Branche die Lokführerstreiks. Viele nutzten erstmals Busse statt Bahnen. Die Unternehmen reagierten, weiteten ihre Angebote spontan aus und gewannen viele neue Kunden. „Pro Woche fahren in Hamburg 1100 bis 1200 Fernbusse vom ZOB ab“, sagt Marahrens. Oder rund 160 am Tag.

Die Aufbruchstimmung am Markt der Fernbuslinien ist groß, genauso scharf weht jedoch der Wettbewerbswind. Innerhalb von nur zwei Jahren haben sich fünf Anbieter als große Spieler etabliert und beherrschen zusammen bereits rund 90 Prozent des Marktes. Diese Oligopolisierung ist schneller erfolgt als von vielen Branchenexperten erwartet. Mit Abstand größter Anbieter ist MeinFernbus (45 Prozent), gefolgt von FlixBus (24 Prozent), BerlinLinienBus (acht Prozent), ADAC Postbus (acht Prozent) und IC Bus (vier Prozent). Alle Anbieter werben nicht nur mit gutem Service, sondern auch mit günstigen Preisen, die offenbar wegen einer teils zu niedrigen Auslastung nicht immer kostendeckend sind.

So finden nach nur zwei Jahren, wie im Spiel der Kräfte des freien Marktes üblich, die ersten Bereinigungen statt. Es gibt die erste Insolvenz und zwei Rückzüge. So gab Anfang November DeinBus die Zahlungsunfähigkeit bekannt. Die Firmengründer galten als Pioniere in dem Bereich und boten schon vor der Liberalisierung durch trickreiche Konstruktionen Fernbusreisen an, die damals noch zum Schutz der Deutschen Bahn eigentlich verboten waren. Mit zwei Prozent Marktanteil blieben sie vergleichsweise klein. Der Insolvenzverwalter sucht nun nach einem neuen Investor. Der ADAC, der zusammen mit der Deutschen Post den gelben Postbus ins Leben rief, gab vor zwei Wochen seinen Rückzug aus verbandsinternen Gründen bekannt. Der Verkehrsclub, der sich nach zahlreichen internen Problemen ein Reformprogramm verordnet hat, will sich künftig auf seine Kernleistungen „zum Wohle seiner Mitglieder“ konzentrieren. Die Deutsche Post will den Postbus nun alleine fortführen und das Netz weiter ausbauen. Der Anbieter City2City, ein Ableger des großen britischen Verkehrsunternehmens National Express, zog sich im Oktober nach einjährigem Probelauf wiederum vom deutschen Markt zurück. Wie viele Unternehmen bestehen bleiben oder noch hinzukommen, ist ungewiss. Alle Anbieter schweigen derzeit zu Umsätzen und Erträgen, um der Konkurrenz keinen Einblick in ihre Bilanzen zu ermöglichen.

Nur der Geschäftsführer und Gründer des Marktführers, Torben Greve, wagte sich nun aus der Deckung und kündigte an, dass MeinFernbus 2014 die Gewinnschwelle erreichen werde. MeinFernbus mit Sitz in Berlin arbeitet mit 84 mittelständischen Busunternehmen zusammen. Diese stellen die Busse und Chauffeure, während MeinFernbus die Koordination der Strecken und das Marketing regelt. Über Hamburg verkehren derzeit 16 Linien. „Insgesamt sind mehr als 100 Ziele von Hamburg aus mit unseren grünen Bussen erreichbar“, sagte die Sprecherin Marie Gloystein. Unterstützt wird das Unternehmen von sechs Investoren, die namentlich nicht genannt werden.

Auch der Branchenzweite, FlixBus aus München, glaubt an seinen Erfolg. „Wir sind trotz des harten Wettbewerbs sehr zufrieden mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung“, sagt Gründer und Geschäftsführer Jochen Engert. „Der Fernbusmarkt ist definitiv rentabel, aber nur mit dem richtigen Konzept.“ Dazu gehörten attraktive Ziele, die derzeit mit einem Partnernetz von 80 Busunternehmen angefahren würden. Hinter FlixBus steht unter anderem der Autobauer Daimler als strategischer Investor. Der BerlinLinienBus, an dem die Deutsche Bahn über eine Tochter beteiligt ist und der seit den 1970er-Jahren Buslinien nach Berlin anbietet, konzentriert sich von Hamburg aus nur auf die Strecke nach Berlin. Mit bis zu 14 täglichen Verbindungen sei sie zugleich die beliebteste Strecke des Unternehmens, sagt Pressesprecherin Tina Krumtung. Der IC Bus, den die Bahn direkt betreibt, steuert Hamburg nicht an.

Der Kampf um Kunden und Marktmacht dürfte in der Branche andauern. „Wenngleich sich die Gewinnmargen mit steigender Passagierzahl verbessern, werden die Fahrpreise steigen“, meint Verbandssprecher Schröter. Günstige Tickets für Frühbucher dürfte es aber weiter geben, allerdings vielleicht nicht mehr so viele wie bisher. „Dauerhaft bleiben die Preise aber deutlich unter den Ticketkosten der Bahn.“ Die Hamburgerin Helen Müller weiß dies zu schätzen. Die 83-Jährige fährt an diesem Tag erstmals statt mit der Bahn mit einem Bus vom ZOB nach Berlin. „Ich möchte dort meinen Flug nach Venedig bekommen und hatte Angst vor weiteren Streiks bei der Bahn“, erzählt die Rentnerin. Für das Busticket hat sie nur neun Euro bezahlt. „Da kann ich mir auf der Fahrt dann noch einen Piccolo gönnen – und fahre immer noch günstiger.“