Nach der Wahl von Inez Jürgens zur neuen Vorsitzenden legen acht Vorstände ihr Amt nieder. Der Vorwurf: Illoyalität

Hamburg. Der CDU-nahe Hamburger Wirtschaftsrat gilt als wichtige wie kritische Stimme der Stadtpolitik. Nun hängt bei der Organisation mit ihren 1000 Mitgliedern der Haussegen schief. Auslöser ist die Wahl der Hamburger Rechtsanwältin Inez Jürgens zur neuen Vorsitzenden des Landesvorstandes. Ihre überraschende Kandidatur wird von mehreren Mitgliedern des Vorstandes als „unhanseatisch“ und „Bruch einer vertrauensvollen Zusammenarbeit“ bewertet. Nach Abendblatt-Informationen haben schon acht der 13 Vorstandsmitglieder ihr Amt niedergelegt, darunter soll auch der Kaffeeunternehmer Albert Darboven sein. Weitere Vorstände dürften sich dem Protest noch anschließen. Einige erwägen sogar die Kündigung ihrer Mitgliedschaft.

Auslöser des Eklats war die Vorstandswahl am Donnerstag. Nur gut 90 Mitglieder des Wirtschaftsrates waren im Panoramasaal des Atlantic-Hauses erschienen. Gesucht wurde ein Nachfolger des bisherigen Landesvorsitzenden und ehemaligen UKE-Chefs, Prof. Jörg F. Debatin, der beruflich zum Medizintechnikhersteller GE Healthcare nach London wechselt. Die Neuwahl seiner Nachfolge bis zur nächsten ordentlichen Wahl im März 2016 galt eigentlich als Selbstläufer.

So hatten sich die Vorstandsmitglieder des Wirtschaftsrates im Oktober einstimmig auf eine Interims-Nachfolge aus ihren eigenen Reihen verständigt – und zwar auf Tjark H. Woydt, ehemaliger Manager der Deutschen Bank, Schiffsfinanzierer und bis Sonntag Präsidiumsmitglied des FC St. Pauli. Woydt, der seit gut 20 Jahren dem Wirtschaftsrat angehört, soll sich nicht in das Amt gedrängt haben, vielmehr sei er von den Mitgliedern darum gebeten worden. Seine Person war innerhalb des Gremiums unumstritten, er sollte als einziger Kandidat zur Wahl antreten.

Doch diese Übereinkunft sollte bald widerlegt werden. Bei der Veranstaltung zur Wahl durch die Mitglieder schlug plötzlich ein Mann aus dem Publikum Inez Jürgens, die selbst Mitglied des Landesvorstandes ist, als weitere Kandidatin zur Wahl vor. Jürgens nahm spontan die Kandidatur an, obwohl sie noch Wochen zuvor dem Beschluss, ihren Vorstandskollegen Woydt als einzigen Kandidaten zu nominieren, akzeptiert und zugestimmt hatte. Beide Kandidaten stellten sich den Anwesenden vor. Bei der Abstimmung erhielt schließlich Inez Jürgens die Mehrheit – und setzte sich mit 49 zu 42 Stimmen gegen Woydt durch. Die neue Landesvorsitzende stand damit fest. Doch im Vorstand rumorte es sofort – auch weil viele bislang selten gesehene Mitglieder zur Wahl erschienen waren und von einem „Coup“, gar „Putsch“ die Rede war.

Der unterlegene Tjark H. Woydt gratulierte der Siegerin der Stichwahl. Allerdings legte er schon einen Tag später sein Vorstandsamt als Konsequenz aus der Illoyalität nieder. „Ich fühle mich durch die Niederlage nicht beschädigt, aber hintergangen“, sagte Woydt auf Abendblatt-Anfrage.

Auch andere Vorstandsmitglieder sind überzeugt, dass Jürgens der spontanen Aufforderung zur Kandidatur hätte eine Absage erteilen müssen, da sie zuvor der alleinigen Kandidatur von Woydt zugestimmt und keinerlei Interesse an dem Amt gezeigt habe. „Dieses Verhalten ist indiskutabel. Es widerspricht den Gepflogenheiten im Sinne der hanseatischen Kaufmannschaft“, meint Pieter Wasmuth, Generalbevollmächtigter von Vattenfall, der ebenfalls sein Vorstandsamt niederlegt hat. Um die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftsrates Hamburg zu bewahren, fordert Wasmuth baldmöglich Neuwahlen. Auch Vorstandsmitglied Astrid Lurati, die ihr Amt ebenfalls niedergelegt hat, sowie weitere Vorstandsmitglieder halten rasche Neuwahlen mit einem offenen Wahlkampf für den besten Weg, um einem weiteren Vertrauensverlust und möglichen Austritten vorzubeugen.

Die neue Hamburger Landesvorsitzende Inez Jürgens wollte die Querelen am Montag gegenüber dem Abendblatt nicht kommentieren. In ihrer neuen Aufgabe gebe es jetzt viel zu tun, sie brauche Zeit, alles zu sortieren. Am Abend gab der Wirtschaftsrat eine karge Pressemitteilung heraus, die mit keinem Wort auf den Eklat einging. Dort hieß es, Jürgens stehe „für Klarheit und ein kooperatives Miteinander im Interesse der Unternehmer".