Neues System alarmiert Verbraucherschützer. Was Versicherte unbedingt wissen müssen

Hamburg. Die gesetzlich Krankenversicherten müssen sich im nächsten Jahr auf neue Regeln einstellen. Der Preiswettbewerb unter den Kassen wird wieder eröffnet, denn der einheitliche Beitragssatz von 15,5 Prozent ist dann passé. Die Krankenkassen können die Höhe des Beitrages wieder selbst bestimmen. Zunächst wird der gesetzlich festgelegte Beitragssatz, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen, auf 14,6 Prozent gesenkt. Darüber hinaus können die Kassen aber einen prozentualen Zusatzbeitrag erheben, der vom Arbeitnehmer allein getragen werden muss. „Die meisten Kassen werden mit dem geringen Beitrag von 14,6 Prozent nicht auskommen“, sagt Thomas Adolph, Geschäftsführer des Informationsdienstes Gesetzliche Krankenkassen dem Abendblatt.

„Wir sehen diese Entwicklung mit Sorge und bedauern die Verabschiedung vom einheitlichen Beitragssatz“, sagt Christoph Kranich, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg. Denn es bestehe die Gefahr, dass die Höhe des Beitrags wieder in den Mittelpunkt rücke und der Leistungswettbewerb ausgeblendet werde. „Die Verbraucher hatten sich gerade daran gewöhnt, sich stärker an den Leistungen der Krankenkassen zu orientieren. Jetzt droht wieder diese Geiz-ist-geil-Mentalität.“ Einige Kassen haben bereits ihre freiwilligen Leistungen gekürzt.

Zwar sind rund 95 Prozent der Leistungen der Kassen gesetzlich vorgeschrieben und identisch. Doch bei Naturheilverfahren, Zahnbehandlung, Gesundheitsförderung sowie Service- und Zusatzleistungen unterscheiden sich die Kassen voneinander. So gewähren manche Krankenkassen einen Zuschuss zur professionellen Zahnreinigung oder übernehmen Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen über das gesetzliche Maß hinaus.

Je mehr der Zusatzbeitrag unter 0,9 Prozent liegt, desto größer ist 2015 die Ersparnis. Denn schon jetzt bezahlen die Versicherten einen Sonderbeitrag in Höhe von 0,9 Prozent, der ab 2015 wegfällt. „Wir rechnen mit einem leicht unterdurchschnittlichen Zusatzbeitrag für unsere Versicherten“, sagt Michael Ihly von der Techniker Krankenkasse (TK). Der Verwaltungsrat der TK wird über die Höhe am 12. Dezember entscheiden. „Wir freuen uns aber auf einen funktionierenden Preis- und Leistungswettbewerb“, sagt Ihly.

Die Handelskrankenkasse (HKK) will deutlich unter 0,9 Prozent bleiben. Nach einer Übersicht des Vergleichsportals Krankenkassen haben 30 Anbieter bereits angekündigt, mit dem Zusatzbeitrag unter 0,9 Prozent zu bleiben, was für die Versicherten zu einer Ersparnis führt. Zwei AOKs in den neuen Bundesländern haben mitgeteilt, lediglich 0,3 Prozent Zusatzbeitrag zu verlangen. Bei einem Bruttogehalt von 3000 Euro führt das zu einer jährlichen Ersparnis von 216 Euro. Für die AOK-Versicherten in Hamburg wird sie nicht so hoch ausfallen.

„Wir orientieren uns an einem ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnis und haben gerade erst freiwillige Leistungen ausgeweitet“, sagt Günter Wältermann, Chef der AOK Rheinland/Hamburg. Über die Höhe des Zusatzbeitrags wird erst – wie bei den anderen Kassen – im Dezember entschieden. „Je niedriger der Zusatzbeitrag ausfällt, desto früher werden die Krankenkassen damit an die Öffentlichkeit gehen, weil sie sich davon einen Wettbewerbsvorteil versprechen“, sagt Thomas Adolph. Höhere Zusatzbeiträge würden wahrscheinlich erst zum Jahresende verkündet. Gemessen an der neuen Beitragsbemessungsgrenze für 2015 in Höhe von 4125 Euro bedeuten 0,1 Prozent Zusatzbeitrag maximal 4,13 Euro im Monat, die der Versicherte zahlen muss. Eine Obergrenze für den neuen Zusatzbeitrag gibt es nicht. Allein die Finanzlage der Krankenkasse entscheidet über die Höhe. „Wir rechnen mit Zusatzbeiträgen zwischen null und 1,7 Prozent“, sagt Armin Czysz vom Vergleichsportal Krankenkassen.

Verbraucherschützer Kranich geht davon aus, dass vom Preiswettbewerb vor allem Junge und Gesunde profitieren werden. „Sie sind bei einem Anstieg der Beiträge am ehesten bereit, den Anbieter zu wechseln, während Kranke und Ältere bei ihrer Kasse verbleiben.“ Das könne dann die Situation der Krankenkassen noch verschärfen und zu weiteren Beitragserhöhungen führen. Denn der Risikostrukturausgleich, der erhöhte Aufwendungen für sehr kranke Mitglieder ausgleichen soll, könne aus strukturellen Gründen eine solche Entwicklung nicht komplett auffangen. „Wenn der Beitrag im Fokus steht, kann auch die Qualität der freiwilligen Leistungen leiden“, sagt Kranich. „Eine Pleite wie 2013 mit der City BKK, wo sich plötzlich rund 150.000 Versicherte eine neue Kasse suchen mussten, bleibt uns hoffentlich erspart.“ Denn obwohl jede Krankenkasse jeden aufnehmen muss, hatten ältere und kranke Versicherte zum Teil Probleme.

Schon im Vorfeld haben Krankenkassen ihre Leistungen an die neue Lage angepasst, verneinen aber jeden Zusammenhang mit dem neuen Beitragssystem. Noch bezuschusst die TK das Naturheilverfahren Osteopathie mit maximal 360 Euro. Im nächsten Jahr werden es nur noch 120 Euro sein. Die Versicherten können sich aber durch die Teilnahme an Gesundheitskursen oder Vorsorgeuntersuchungen eine Gesundheitsdividende von maximal 250 Euro sichern, die dann zur Finanzierung solcher Leistungen eingesetzt werden kann. „Der Gesetzgeber verlangt von uns, dass wir stärker in die Prävention investieren; mit dem neuen Beitragssystem hat das nichts zu tun“, sagt Ihly. Bei der BKK Mobil Oil genügen bisher drei Maßnahmen wie Krebsfrüherkennung oder Mitgliedschaft im Fitnessstudio, um sich eine Barprämie von 200 Euro zu sichern. Im nächsten Jahr müssen es acht Maßnahmen sein. „Wir setzen damit Vorgaben des Bundesversicherungsamtes um“, sagt Antje Eckert von der BKK Mobil Oil. Experte Adolph rechnet mit weiteren Einschränkungen bei vielen Kassen. „Anders lässt sich ein möglichst geringer Zusatzbeitrag kaum realisieren.“

Der neue Zusatzbeitrag wird mit dem Grundbeitrag über die Gehaltsabrechnung eingezogen. „Das fällt weniger auf, und viele wissen auch nicht, was ein bestimmter Prozentwert für sie konkret in Euro und Cent bedeutet“, sagt Adolph. Deshalb rechnen Experten zunächst nicht mit Massenabwanderungen. „In den Folgejahren wird es dann teurer“, prognostiziert Adolph. Das könnte die Wechselbereitschaft erhöhen (siehe Infokasten). Die TK geht davon aus, dass der durchschnittliche Zusatzbeitrag Jahr für Jahr um 0,25 Prozentpunkte steigt.