Appell der Kanzlerin verhallt. Streik beginnt. Hafen fürchtet massive Beeinträchtigungen

Hamburg. Pendler und Reisende in und um Hamburg müssen sich von heute an bis Montag früh auf erhebliche Behinderungen im Bahnverkehr einstellen. Trotz eines am Mittwochnachmittag kurzfristig unterbreiteten Schlichtungsangebots der Deutschen Bahn (DB) hält die Lokführergewerkschaft GDL am längsten Streik in der Geschichte des Konzerns fest. „Wir werden zu keinem Zeitpunkt unsere Grundrechte an der Garderobe abgeben, um dem Arbeitgeber Deutsche Bahn einen Gefallen zu tun“, sagte der von Politik und Wirtschaft scharf kritisierte GDL-Chef Claus Weselsky.

Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich in den Konflikt ein. Sie rief zu Lösungen auf, „die auch für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben“. Streiks müssten verhältnismäßig sein. Ein Ausstand bei der Bahn treffe Millionen Bürger und auch die Wirtschaft. „Es gibt eine Gesamtverantwortung“, sagte Merkel. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) warf der GDL in der „Bild“ vor, das Streikrecht zu missbrauchen.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte das bundeseigene Unternehmen sogar auf, gegen den Streik der GDL vor Gericht zu ziehen. „Eine Klage wegen Unverhältnismäßigkeit des Streiks ist im Interesse der Bahnkunden, der Beschäftigten und der Aufrechterhaltung der Güterversorgung in Deutschland geboten“, sagte er. Die Bahn erklärte, ein juristisches Vorgehen zu prüfen. Sie hält die Erfolgsaussichten aber für gering.

Die Lokführergewerkschaft will mit ihrem Streik einen eigenständigen Tarifvertrag für Zugbegleiter durchsetzen, für die bislang die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verhandelt. Sie fordert darüber hinaus fünf Prozent mehr Einkommen und eine kürzere Wochenarbeitszeit.

In Hamburg müssen S-Bahn-Fahrer ab heute mit deutlich längeren Fahrzeiten zum Arbeitsplatz rechnen. Normalerweise verkehren die S-Bahnen im Zehn-Minuten-Takt. Die Bahn will zumindest jeden zweiten Zug der S1, S3, S21 und S31 fahren lassen. Ob ihr das aber tatsächlich gelingt, ist offen. Gleichzeitig erwarten Verkehrsexperten, dass viele Pendler vom Zug auf das Auto umsteigen und es deshalb zu überfüllten Straßen im Berufsverkehr kommen wird. Für den Fernverkehr hat die Bahn einen Notfallfahrplan eingerichtet. Aktuelle Auskünfte dazu gibt es auf der Internetseite des Konzerns.

Auch die Wirtschaft ist alarmiert mit Blick auf den Streik, der seit Mittwochnachmittag bereits den Güterverkehr trifft. „Das maßlose Verhalten der GDL ist verantwortungslos und führt zu enormen volkswirtschaftlichen Kosten“, hieß es vom Bundesverband der Deutschen Industrie. „Ein so langer Streik wird auch zu leeren Lagern führen – und damit zu unkalkulierbaren Risiken von Produktionsausfällen.“ Gerade beim Abfuhr der Waren aus dem Hamburger Hafen und am Güterverkehrs-Knotenpunkt Maschen befürchten Wirtschaftsvertreter erhebliche Probleme. Spediteure haben bereits angekündigt, in den kommenden Tagen deutlich mehr Transporte mit Lkw vorzunehmen. Lange Staus auf den Autobahnen könnten die Folge sein.

Doch es gibt auch Profiteure des Streiks. Autovermieter nehmen deutlich höhere Preise wegen der gestiegenen Nachfrage, Fernbusse sind gut gebucht und auch Carsharing-Anbieter verzeichnen höhere Umsätze.