Gewerkschaftschef Claus Weselsky ist der Mann hinter dem Streik der Lokführer. Dass er kaum noch Freunde und Verbündete hat, stört ihn wenig. Das Porträt eines Unbequemen

Hamburg. Da steht er nun, der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, in der nahezu menschenleeren Bahnhofshalle, kerzengerade und steif, fast wie erstarrt, und spricht in die Kameras, die ihn umzingeln. Sein Gesicht ist eine Maske; man kann nicht erkennen, wie Claus Weselsky diese Szene empfindet. Aber es ist klar, dass er den Auftritt genau so gewollt hat: die GDL gegen alle, Claus Weselsky gegen den Rest der Welt. Das ist die Botschaft.

Der 55-Jährige ist der Mann, der mehr als Eis und Schnee darüber entscheidet, wie die Bahn durch den Winter kommt. Folgt die Arbeitgeberseite den GDL-Forderungen nicht, wird es für Zigtausende hierzulande – wie nun wieder – heißen: „Bitte zurückbleiben!“ Und zwar so lange, bis der Konflikt entschieden ist. Seine Kompromisslosigkeit zeigte Weselsky noch am Mittwochnachmittag: Das Land ruft nach einer Schlichtung, sogar die Kanzlerin mischt sich ein. Weselsky bleibt stur.

Wer sich in das Dickicht dieser Tarifauseinandersetzung begibt, in dem sich Arbeitgeber, die beiden Schienengewerkschaften und die Politik gegenseitig belauern, stellt schnell fest: Es geht um Löhne, Arbeitszeiten – und um Macht. Um die Frage: Welche Gewerkschaft darf für welche Mitarbeitergruppe sprechen – und wie groß ist damit der Einfluss im DB-Konzern? Vor allem für die Spitze der GDL geht es darum. Weselskys Vorgänger Manfred Schell hat seine Autobiografie noch verschämt mit „Die Lok zieht die Bahn“ überschrieben, um einen Führungsanspruch zu formulieren. Weselskys Motto könnte lauten: Die Bahn bin ich. Dass er Macht schätzt, hat er unumwunden zugegeben. „Es ist beeindruckend, Macht zu haben“, hat Claus Weselsky einmal in der „Welt am Sonntag“ gesagt. Und in Hinblick auf einen früheren Tarifkonflikt genüsslich hinzugefügt: „Ich empfinde ein Stück weit Genugtuung, dass wir in der Lage sind, in dieser Auseinandersetzung den Arbeitgebern Grenzen zu setzen.“ Und Weselskys Drang, der Gegenseite Grenzen zu setzen, wächst. „Der tut diesmal so, als würde er in den Heiligen Krieg ziehen“, mokiert sich Manfred Schell über seinen Nachfolger.

Die Zahl der Freunde und Verbündeten, die Weselsky dabei um sich scharen kann, ist überschaubar, und sie schrumpft. Kein Wunder bei einem Gewerkschaftschef, der derart konsequent einen Konfliktkurs fährt und dazu möglichst starke Worte wählt. Ex-GDL-Chef Schell nennt ihn abwechselnd einen „Mao“ oder einen „Assad“: „Die beiden haben auch immer gesagt, nur das Beste für ihre Leute zu wollen. Aber mit dieser Gangart macht er die GDL kaputt.“ Besonders groß ist der Zorn auf den Lokführerchef in der größeren Bahngewerkschaft EVG, weil er ihr die Zugbegleiter abspenstig machen will. In der schwarz-roten Bundesregierung ist man dabei, in ungewohnter Einmütigkeit ein Gesetz zur Tarifeinheit zu zimmern, um dem tarifpolitischen Treiben von Spartengewerkschaften wie der GDL einen Riegel vorzuschieben. Und in der Öffentlichkeit steht der GDL-Chef wahlweise als „Scharfmacher“, „Deutschlands sturster Gewerkschafter“ oder „Bahnsinniger“. Alle gegen die GDL. Weselsky zuckt mit den Achseln und fügt belustigt hinzu: „Einen haben Sie vergessen: den Deutschen Gewerkschaftsbund. Der mag uns auch nicht.“ Erbitterte Gegner zu haben, ein Feindbild zu sein, das stört ihn wenig.

Nun rätseln alle, was diesen Mann antreibt. „Grenzenlosen Egoismus“ attestiert ihm Manfred Schell, der aus Ärger über den Kurs Weselskys den Ehrenvorsitz hingeworfen hat. „Größenwahn“, mutmaßen die Spitzenfunktionäre der EVG. Claus Weselsky hat seine Beweggründe einmal selbst beschrieben: „Ich bin in der DDR groß geworden. Bei der Reichsbahn war es so, dass die Lokführer immer die Letzten waren. Das waren die, die von den Hunden gebissen wurden. So soll und so wird es nicht mehr sein.“ Aber es geht um weit mehr als um die Lokführer. „Mich treibt an, dass ich 1990 in der neuen Gesellschaft einen Platz gefunden habe, der mir wichtig ist“, sagt er. Aber er sehe mit Sorge, dass die Gewerkschaften bundesweit nur noch einen Organisationsgrad von 18 Prozent hätten. Dagegen will er sich stemmen. Weselsky ist Gewerkschafter durch und durch: Der Sachse war bei der Geburtsstunde der GDL in Ostdeutschland dabei und wurde dort 1990 Vorsitzender der Ortsgruppe Pirna. Zwei Jahre später verließ der gelernte Lokführer die Schienen: Vom Büro aus arbeitete er für die GDL als Personalrat und Betriebsrat.

Die Lokführergewerkschaft als gewerkschaftliche Avantgarde, als Arbeitnehmervertretung neuen Typs, so sieht das Claus Weselsky. Ein neuer Typ Gewerkschaftsboss ist er in jedem Fall. Dienstlich sieht man das CDU-Mitglied nie ohne Krawatte und Anzug, Frauen begrüßt er schon mal mit einer angedeuteten Verbeugung.

Schon Manfred Schell pflegte die Attitüde des bunten Paradiesvogels unter den Gewerkschaftsbossen. Er trug gern edlen Zwirn, fuhr einen Ferrari und verabschiedete sich auf dem Höhepunkt des monatelangen Arbeitskampfes 2007 und 2008 kurz in Kur. Auch Schell hat die GDL straff geführt, das macht die Truppe so stark. Sie ist klein, gut organisiert und kann mit wenig Aufwand viel bewegen – oder lahmlegen. Schell regierte nach Gutsherrenart, väterlich-polternd, aber auch rheinisch-gelassen. Weselsky tut es nicht weniger autoritär, aber mit schneidender Schärfe. Er hat die Zügel als Schells Nachfolger 2008 weiter angezogen, unter ihm ist die GDL eine Einmannshow geworden. „Freunde hat Claus Weselsky hier sowieso keine“, meint ein Funktionär. Wie offenbar auch im Privatleben. Angeblich kokettiert der GDL-Chef sogar damit, keine tieferen Freundschaften zu pflegen. „Ich war 2009 zu seinem 50. Geburtstag in Eisenach eingeladen. Da war abends beim privaten Teil nur Familie da, sonst niemand“, erzählt ein Teilnehmer. „Er ist ein Einzelgänger, einer, der allein sein Ding macht.“ Eine Charaktereigenschaft, die womöglich verstärkt wird, wenn man jahrelang als Lokführer der Reichsbahn allein im Führerstand unterwegs war. Zum Typus des Einzelgängers würde auch passen, dass der GDL-Chef in seiner Freizeit am liebsten Motorrad fährt oder in tropischen Gewässern taucht.

„Doch ernsthaft umstritten ist Weselsky in der GDL nicht“, meint ein Ex-Mitglied des Vorstands. Den meisten imponiere, dass er eine klare Linie und ohne Anzeichen von Unsicherheit den Kurs vorgebe. Weselsky selbst schürt das Bild vom starken Anführer: „Ich stelle meine Entscheidungen nie infrage. Selbst wenn sich morgen eine Entscheidung als falsch rausstellt, so war sie zum Zeitpunkt, als ich sie getroffen habe, richtig.“ Ex-Gewerkschaftschef Schell bedauert heute, Weselsky an die GDL-Spitze gehievt zu haben: „Ich habe gedacht, damit wäre sein grenzenloser Machtappetit befriedigt, er würde dann verträglicher. Ich habe mich getäuscht.“