Ein Gespräch mit Hamburgs Börsenchef Thomas Ledermann über die Kurse, die richtige Strategie für Privatanleger und einen Zukauf im Fondshandel. Wie geht es am Aktienmarkt weiter nach Kursrückgang?

Hamburg. Nicht nur Privatanleger fragen sich, wie es am Aktienmarkt weitergeht, nachdem die Kurse seit dem Höchstständen im Sommer stark gesunken sind. Das Abendblatt sprach mit Thomas Ledermann, Geschäftsführer der Börse Hamburg und Vorstand der Böag, der Dachgesellschaft der Börsen Hamburg und Hannover, über die Lage am Markt und im Unternehmen.

Hamburger Abendblatt: Nach zwei sehr guten Jahren liegt der Deutsche Aktienindex (DAX) seit Anfang 2014 rund sieben Prozent im Minus. Warum ist das so?

Thomas Ledermann: Insbesondere für Europa fielen verschiedene Konjunkturdaten etwas schlechter aus als von manchen Marktteilnehmern vermutet. Aus meiner Sicht haben wir derzeit allerdings eine Sondersituation. Denn die tatsächlichen wirtschaftlichen Tendenzen werden überlagert durch die Aktivität der Notenbanken in den USA und in Europa, die in äußerst großzügigem Umfang Geld zu extrem niedrigen Zinsen bereitstellen. Daher ist es sehr schwer abzuschätzen, ob sich an den Kapitalmärkten schon Preisblasen gebildet haben. Grundsätzlich ist es aber eine gesunde Entwicklung, wenn die Aktienkurse nach der langen Aufwärtsbewegung, die im Sommer 2011 begann, jetzt erst einmal wieder nachgeben. Es kann an der Börse ja nicht immer nur nach oben gehen.

Welche Rolle spielen politische Krisen, etwa die in der Ukraine?

Ledermann: Grundsätzlich wirken solche Krisen zumindest kurzfristig negativ auf die Stimmung an den Finanzmärkten. Große Investoren denken langfristig und in Szenarien. Eines der Szenarien bei der aktuellen Ukrainekrise besteht etwa darin, dass wir wieder zwei Lager in Europa haben werden – ein westliches und eines, das aus Russland und Staaten im russischen Einflussbereich besteht. Dies könnte größere Schwierigkeiten im Energiesektor und im Warenaustausch bedeuten.

Ist die Schuldenkrise überstanden?

Ledermann: Es scheint, dass die Politik in Europa die noch immer bestehenden Probleme nicht konsequent genug angeht. Ohne die Liquiditätsspritzen der Europäischen Zentralbank sähe es viel schlechter aus.

Immer wieder beklagen Banken, dass sich nur wenige Privatkunden am Aktienmarkt engagieren wollen. Ist das auch Ihre Beobachtung?

Ledermann: In Deutschland haben die Privatanleger eine starke Risikoabneigung. Man beschäftigt sich ohnehin nicht gern mit Gelddingen, und weitgehend fehlt es auch an finanzieller Allgemeinbildung. Außerdem hält sich offenbar hartnäckig die Meinung, die Börse sei nur etwas für Spekulanten. Für uns ist es erstaunlich, dass die Menschen weiter auf das Sparbuch und auf Tagesgeldkonten setzen, obwohl festverzinsliche Anlageformen fast nichts mehr abwerfen. Aber es fehlt einfach an Aktienkultur. Diese ist in anderen Ländern teilweise viel stärker ausgeprägt.

Was könnte getan werden, um die Aktienkultur zu fördern?

Ledermann: Wir versuchen, mit Seminaren und Veranstaltungen wie dem Börsentag die Öffentlichkeit zu informieren. Dabei habe ich den Eindruck, dass gerade manche jüngere Menschen aufgeschlossener sind, was die Sparformen angeht. Aber auch die Politik ist gefordert. Wenn man die Menschen schon drängt, immer stärker selbst für das Alter vorzusorgen, muss man ihnen auch mehr Wissen über die finanziellen Zusammenhänge an die Hand geben.

Wie stehen Sie zu der geplanten Steuer auf Börsengeschäfte?

Ledermann: Eine Finanztransaktionssteuer würde sicher nicht dazu beitragen, die Aktienkultur in Deutschland voranzubringen. Ich frage mich auch, ob sie ihr Ziel erreichen würde. Man will damit ja die Finanzmärkte zähmen. Vorgesehen ist aber offenbar ein Steuersatz von 0,1 Prozent auf Aktiengeschäfte, während beim Handel mit den angeblich so gefährlichen Derivaten nur 0,01 Prozent fällig werden sollen.

Wie entwickelt sich der Handelsumsatz der Börse Hamburg in diesem Jahr?

Ledermann: Weil das Geschäft mit den Anleihen stark rückläufig war, werden wir insgesamt deutlich niedrigere Handelsumsätze ausweisen als im Vorjahr. Dabei haben wir im Aktiensektor, in dem die Umsätze im Vergleich zu 2013 etwa konstant blieben, unsere Marktposition gehalten.

Wie sieht es im Fondshandel aus, der Spezialität der Börse Hamburg?

Ledermann: Bei den offenen Fonds haben wir bis jetzt ein Volumen von 904 Millionen Euro erreicht. Damit sind wir auf einem guten Weg, hier einen ähnlichen Handelsumsatz wie im Vorjahr – es waren knapp 1,1 Milliarden Euro – auszuweisen. Zu Umsatzspitzen kam es im Handel mit eingefrorenen Immobilienfonds. Da hat sich die Börse als sehr effektiv erwiesen, nachdem die Fondsgesellschaften die Rücknahme von Anteilen ausgesetzt hatten. Im Handel mit geschlossenen Fonds, der von der Tochtergesellschaft Fondsbörse Deutschland betrieben wird, dürften wir den Vorjahresumsatz von nominal knapp 187 Millionen Euro nicht erreichen. Bis Ende September 2014 wurde ein Volumen von nominal 123 Millionen Euro erzielt.

Vor wenigen Tagen hat die Fondsbörse Deutschland den ungefähr gleich großen Hamburger Wettbewerber Deutsche Zweitmarkt übernommen. Was bedeutet das für die Börse Hamburg?

Ledermann: Ich freue mich über diese Vereinbarung, denn dadurch können wir die führende Marktposition im Handel mit geschlossenen Beteiligungen am Zweitmarkt deutlich ausbauen. Außerdem ergänzen sich die beiden Handelsplattformen gut: Die Deutsche Fondsbörse Deutschland Beteiligungsmakler AG arbeitet eng mit den Banken und Sparkassen zusammen, während die Deutsche Zweitmarkt AG stark von freien Finanzvertrieben genutzt wird.

Die Börsen Hamburg und Hannover versuchen seit Jahren, sich mit neuen Handelssegmenten im Wettbewerb gegen den übermächtigen Marktführer Deutsche Börse in Frankfurt zu behaupten. Gibt es Pläne für neue Tätigkeitsfelder?

Ledermann: Ja, wir bereiten gerade ein neues Segment vor, und wir werden auch in den nächsten Jahren innovativ bleiben. Sehr gut haben sich unter anderem die im Jahr 2007 eingeführten Nachhaltigkeitsindizes GCX und GCC in Hannover entwickelt. Das in Produkte auf diese Indizes investierte Vermögen nähert sich der Marke von 300 Millionen Euro.

Zurück zum allgemeinen Marktumfeld: Sehen Sie noch eine Chance, dass der DAX zum Jahresende eine fünfstellige Zahl erreicht, wie von etlichen Analysten zu Jahresanfang erwartet?

Ledermann: Die Stimmung am Markt deutet nicht darauf hin, dass es der DAX noch bis Ende Dezember über die Marke von 10.000 Punkten schafft. Es wäre schon ein Erfolg, wenn wir die 9550 Punkte vom Jahresanfang wieder sehen würden.

Würden Sie Privatanlegern trotz des aktuell unsicheren Umfelds raten, jetzt in Aktien zu investieren?

Ledermann: Ja. Aber ich empfehle immer, das über Fonds zu tun – und regelmäßig mit festen monatlichen Beträgen. Auf diese Weise profitiert man von hohen wie von niedrigen Kursen. Denn den richtigen Zeitpunkt zum Kauf trifft man nie.