Teil 9: Augenoptikermeister Michael Maizak aus Harburg setzt auf Service und Beratung, um gegen Filialisten und Internet bestehen zu können. Doch die Konkurrenz ist groß

Eine Stunde hat er Zeit für das Gespräch. Dann kommt ein Kunde. Und Kunden gehen vor. Immer. Das möchte man bitte verstehen!

Die Zeit läuft, Michael Maizak sitzt. Hinten im sogenannten Refraktionsraum und Kontaktlinsenanpassraum. Wo die Augenstärken ausgemessen und Kontaktlinsen angepasst werden. Wo eine Urkunde der Höheren Fachschule für Optik und Fototechnik in Berlin an der Wand hängt, sein Meisterbrief. Und ein Zitat von John Ruskins: „Es ist unklug, viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten.“ Der Spruch gefällt ihm. Weil er so gut in die heutige Zeit passt. Weil er stimmt. Aber dazu später mehr. Die erste Frage liegt auf der Hand.

Na ja, oder auf der Nase. Braucht er seine Brille eigentlich? Oder trägt er sie nur zum Schein. So wie man es immer wieder über Optiker hört. Michael Maizak lacht. Was für eine Frage! „Ich würde keine tragen, wenn ich nicht müsste“, sagt er und fängt an, von seiner Fehlsichtigkeit zu erzählen. Der Presbyopie. Dem altersbedingten Verlust der Nahanpassungsfähigkeit, der Fähigkeit zur Akkommodation. Das ist sein Metier. Darüber könnte er stundenlang sprechen. Aber die Zeit ist knapp. Also zurück zu dem Gerücht, bei einem Optiker müssten alle Mitarbeiter eine Brillen tragen, selbst wenn sie keine benötigen. „Nein, das stimmt nicht“, sagt Michael Maizak. Seine Mitarbeiter würden das nur tun, weil sie diese wirklich brauchten. So wie fast zwei Drittel der erwachsenen Bundesbürger in Deutschland.

Mehr als 40 Millionen Menschen in Deutschland tragen eine Brille. Der Anteil unter den 20- bis 29-Jährigen hat sich laut einer Umfrage des Kuratoriums Gutes Sehen in den letzten 60 Jahren mehr als verdoppelt.

Damals, in den 50ern trug man Brillen in Schmetterlingsform. Es war die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. Der Petticoats und Cocktailsessel. Zeit von Elvis Presley und James Dean. Und von Michael Maizak, der 1953 geboren wird. In Badenweiler. Dem Kurort, wo schon der Schah von Persien war, wie Michael Maizak erzählt. Dort, im Schwarzwald, wächst er auf, bis seine Familie Anfang der 60er-Jahre nach Harburg zieht, wo sein Vater Peter ein Optikergeschäft eröffnet. Im Deichhausweg, wo es noch heute ist. An die Eröffnung kann sich Michael Maizak nicht mehr erinnern. Aber er hat noch eine alte Karte, die sein Vater damals verteilt hat, um sich vorzustellen. Aus Büttenpapier. Mit einer Brille im Stil der damaligen Zeit.

Eine Viertelstunde ist um. 45 Minuten bleiben noch. Bleiben noch, um von den Eingewöhnungsproblemen in Hamburg zu erzählen. Von Sprachschwierigkeiten wegen des Dialektes und andere Lebensgewohnheiten. Von der Mietwohnung am Schlossmühlendamm. Von seinem Realschulabschluss an der Maretstraße und der anschließenden Lehre. In Lüneburg. Nicht bei seinem Vater! Das sei undenkbar gewesen. Aber bitte, damit keine Missverständnisse entstehen: „Ich kam mit meinem Vater super zurecht. Ich wollte aber erst einmal meinen eigenen Weg gehen“, sagt Michael Maizak, der nach der Gesellenzeit sowie 15 Monaten bei der Bundeswehr an der Fachhochschule Berlin Optik und Fototechnik studiert und schließlich seine Meisterprüfung abgelegt hat. Erst danach ist er bei seinem Vater im Geschäft eingestiegen. „Wir haben uns optimal ergänzt“, sagt Michael Maizak, der im Betrieb die Kontaktlinsenabteilung aufgebaut hat und dafür zuständig war. Er erzählt von der Filiale an der Heimfelder Straße, die sie bis Mitte der 90er-Jahre betrieben haben, dann aber aufgeben mussten. Weil die Kunden wegen der monatelangen Arbeiten an der S-Bahn wegblieben. Zur Konkurrenz gingen.

Rund 12.000 augenoptische Fachgeschäfte gibt es laut Zentralverband der Augenoptiker (ZVA) in Deutschland. Das sind rund 250 mehr als sechs Jahre zuvor. Grund für den Anstieg ist vor allem die zunehmende Zahl der Filialisten. Die Zahl der mittelständischen Augenoptiker geht hingegen zurück. Derzeit besitzen die zehn größten Filialketten circa 16 Prozent aller deutschen augenoptischen Betriebsstätten. Der von diesen Filialisten erzielte Umsatz umfasst 38,35 Prozent des stationären Branchenumsatzes von 4,431 Milliarden Euro netto. Jährlich werden rund 11,3 Millionen Brillen verkauft – jede zweite davon bei Fielmann.

Michael Maizak kennt die Zahlen. Er hat sich selbst jahrelang engagiert, viele Lehrlinge ausgebildet, immer großen Wert auf die Nachwuchsarbeit gelegt. Jetzt bildet er nicht mehr aus. Weil er die Verantwortung nicht mehr übernehmen will, nicht mehr kann. Weil er die Zeit für seine Kunden braucht. Rund 53 Stunden pro Woche ist das Geschäft geöffnet, und Michael Maizak ist fast immer da. Viel Zeit für andere Dinge bleibt da nicht. Früher ist er mit seiner Frau Marion, 58, oft schwimmen gegangen, aber im Moment geht das nicht. Die Schulter ist kaputt. Michael Maizak erzählt gerade, wie er Marion in der „Badeanstalt“ in Hittfeld kennengelernt hat, als es an der Tür klopft. Er blickt auf die Uhr, stutzt. Ist die Zeit schon um? Die nächste Kundin schon da? Nein, es ist seine zweijährige Enkeltochter, die ihrem Opa „Hallo“ sagen will. So viel Zeit muss sein!

Knapp eine halbe Stunde hat er noch. Allerhöchste Zeit also, jetzt übers Geschäft zu sprechen. Über die Branche. Über die Probleme, sich als stationärer Augenoptiker gegen Filialisten und Internet zu behaupten. Über die Notwendigkeit, sich zu spezialisieren, um sich mit besonderen Konzepten von der Konkurrenz abzuheben. Zum Beispiel durch Kontaktlinsenanpassung, Kinderbrillen oder optometrische Dienstleistungen wie Sehanalysen oder Augeninnendruckmessungen. Optometrie. Dieses Wort benutzt er immer wieder. Lehre vom Sehen sowie von den Fehlsichtigkeiten und deren Korrektur. Erst vor ein paar Tagen hat er einen Kostenvoranschlag für eine Funduskamera bekommen, mit der Aufnahmen der hinteren Augenabschnitte gemacht werden können. Rund 20.000 Euro soll die Netzhautkamera kosten. Doch Michael Maizak glaubt, dass sich so eine Investition lohnt. Dass mittelständische Optiker überhaupt nur durch solche Angebote dauerhaft auf dem Markt bestehen können. „Mit den Dumpingpreisen der Konkurrenz, vor allem aus dem Internet, können wir als Handwerksbetrieb nicht mithalten“, sagt Michael Maizak und erzählt von einer Kundin, die er gerade hatte. Sie hat bei ihm ihre Sehstärke ausmessen lassen, um Kontaktlinsen zu bestellen – allerdings nicht bei Maizak. Sondern im Internet. Weil die Sechsmonatspackung dort rund acht Euro weniger kostet. Er schätzt, dass er aus diesem Grund inzwischen 20 Prozent weniger Kontaktlinsen verkauft als früher. „So ist die Welt“, sagt Michael Maizak. Er will sich nicht darüber aufregen. Sondern darauf einstellen. Wie? „Indem wir zum ersten Ansprechpartner für gutes Sehen werden!“, sagt er. „Indem wir uns auf unsere Kompetenzen besinnen und diese hervorheben.“ Dienstleistungen und Diagnostik. Kompetenzen, die es nicht in jeder Optikerfiliale gibt, erst recht nicht im Internet.

Der Branchenumsatz ist 2013 um 2,7 Prozent auf 5,44 Milliarden Euro inklusive Onlinehandel brutto angestiegen. Die stationären Augenoptiker erzielten ein Umsatzplus von 2,1 Prozent. Diese Steigerung ist laut ZVA insbesondere auf das starke Wachstum der Filialisten zurückzuführen. Der langsam aber stetig wachsende Onlinehandel ist 2013 mit rund 165 Millionen Euro am Gesamtumsatz beteiligt.

Wenn Michael Maizak über die Branche spricht, erzählt er gerne von der Fachreise nach Kanada, die er vor ein paar Wochen gemacht hat. Bei der er Kontakt zu Optometristen vor Ort hatte, viele Gespräche führen konnte. Und bei der es um die strengen Richtlinien ging, um die Einschränkungen, denen Augenoptikermeister in Deutschland unterliegen. Das Problem: „Wir dürfen nichts tun, dass die Grenzen zu diagnostischem und medizinisch-therapeutischem Handeln überschreitet“, sagt Micheal Maizak. Das bedeutet: „Ich darf einem Kunden zwar sagen, dass sein Augeninnendruck zu hoch ist – aber nicht, welche Gründe das haben könnte. Das darf nur ein Arzt.“ Ihm geht es nicht darum, den Augenärzten etwas wegzunehmen! Sondern mit ihnen zu kooperieren. Im Sinne des Patienten. Obwohl er mit dem Wort „Patient“ vorsichtig ist. Genauso wie mit „Untersuchung“. Weil sie medizinisch behaftet sind. Weil sie zu Problemen führen können.

„Wenn wir sagen würden, dass ein Augenoptiker das Auge ,untersucht‘, würde der Berufsverband der Augenärzte Sturm dagegen laufen“, sagt Ingo Rütten, Sprecher vom Zentralverband der Augenoptiker, der Interessenvertretung des deutschen Augenoptikerhandwerks, später am Telefon. Man spreche lieber von „prüfen“ und „Prüfungen“. Für Außenstehende mag das nach Spitzfindigkeiten klingen, für die Beteiligten nicht. Ingo Rütten weiß, wovon er spricht. Er kennt die Branche, ist selbst Augenoptikermeister. Weil er aber „zwei linke Hände“ hatte, und die Augenoptik immer noch zum Handwerk gehört, habe er sich auf die Theorie verlegt – und sei schließlich Sprecher des Verbandes geworden. Er weiß, wie sensibel das Thema ist. Dass es kontroversen Diskussionen darüber gibt, wie weit die Optometrie in Deutschland gehen darf. Dass der Berufsverband der Augenärzte sogar ein Fortbildungsangebot der Handwerkskammer für Augenoptiker zum Optometristen stoppen wollte, weil er eine Schmälerung der Einnahmen befürchteten.

Die Einstellung des Verbands ist klar: Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um Kooperation. Um eine konstruktive Zusammenarbeit. Wie sie oft schon zwischen Augenärzten und Augenoptikern funktioniere. „Die Augengesundheit der Kunden und Patienten liegt in der Verantwortung von zwei Berufsgruppen: den Augenoptikern und den Augenärzten“, so Rütten. „Augenärzte sind für kranke Augen da. Optiker für gesunde.“ Das heißt: „Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Auge ist krank, gehen Sie zum Arzt. Wenn Sie aber nur Ihre Sehfähigkeit prüfen lassen wollen, gehen Sie zum Augenoptikermeister.“ Auch wenn dieser nicht heilkundlich tätig werden dürfe, so sollte er laut Verband immer die erste Anlaufstelle für gutes Sehen seien. Aufgrund seiner Qualifikation könnten die Fachleute erkennen, ob das Sehproblem mit einer Sehhilfe korrigiert werden könne oder ob eine ärztliche Untersuchung angezeigt ist. „Seine Aufgabe ist es nicht, Krankheiten zu diagnostizieren. Durch seine Arbeit sorgt er jedoch auch dafür, dass die Kunden für Augenerkrankungen sensibilisiert werden und dass solche vom Augenarzt tatsächlich auch rechtzeitig erkannt werden können.“ Und damit keine Missverständnisse entstehen: „Die Kosten für den Kunden dürften in der Regel ähnlich sein, da auch der Arzt viele Leistungen nicht mehr mit der Krankenkasse abrechnen kann, sondern als kostenpflichtige Individuelle Gesundheitsleistung (IGL) berechnet“, sagt Rütten und möchte abschließend noch einen Irrglauben beseitigen: „Für eine Brille braucht man als Kassenpatient heute kein Rezept mehr vom Augenarzt.“

11,8 Millionen komplette Brillen sind 2013 verkauft worden. Insgesamt aber sind rund 18,2 Millionen neue Sehhilfen abgegeben worden. Denn zu den kompletten Brillen müssen noch die 6,4 Millionen bereits vorhandenen Brillen eingerechnet werden, die mit neuen Brillengläsern verglast worden sind. Insgesamt wurden 2013 rund 36,36 Millionen Brillengläser verkauft. Die Brillenoptik (inklusive Dienstleistungen und Reparaturen) macht 82,0 Prozent des stationären Branchenumsatzes aus. Den restlichen Umsatz teilen sich Kontaktlinsen (inklusive Pflegemittel), Hörgeräte von Augenoptikern und Handelswaren auf.

Zurück zu Optiker Maizak. Es ist viertel vor elf. Nur noch 15 Minuten. Zeit, ein paar Dinge klarzustellen! Klarzustellen, dass die niedergelassenen Optiker nicht mit dem Internet konkurrieren können, weil sie die Geräte für die Augenprüfungen in ihren Kalkulationen berücksichtigen müssen. Dass er für eine Messung zehn bis 15 Euro berechnet, dafür aber 30 Minuten arbeiten muss. Er möchte klarstellen, dass man als Optiker nicht reich wird, auch wenn einige das glauben. Dass der Job ein Handwerk sei und entsprechend vergütet werde. Mit 360 und 720 Euro während der Lehrzeit und rund 2000 Euro brutto für einen Gesellen nach wenigen Jahren. Und er möchte klarstellen, was inhabergeführte Optikergeschäfte wie seins mit wenigen Mitarbeitern von ihrem Umsatz zwischen 200.000 bis 300.000 Euro alles bezahlen müssen: Miete, Personal, Sozialabgaben, Mitgliedsbeiträge für die Innung, die Handwerks- sowie Handelskammer, für Berufsgenossenschaft, Versicherung und Gewerbesteuer. Welcher Stundenlohn da am Ende für ihn übrig bleibt? „Fragen Sie nicht!“ 3000 bis 4000 Kunden hat er, die meisten sind Stammkunden. Laufkundschaft käme selten, da der Laden nicht in der Haupteinkaufsstraße liege. Lange Zeit wollte er deswegen an die Lüneburger Straße umziehen und konnte es nicht, weil die Mieten dort zu teuer waren. Jetzt will er es nicht mehr. Weil das Image dort immer schlechter wird. Weil er weiß, dass die Laufkunden eher ins Phoenix-Center oder die Harburg-Arcaden gehen. Zu den Filialisten.

Deswegen setzt er auf Kunden, die einen besonderen Service brauchen. Eine besondere Beratung. Besondere Brillen, die es nicht überall gibt, die im Umkreis einzigartig sind. Rund 1000 Modelle hat er im Laden ausgestellt. Früher lag ein Schwerpunkt des Geschäfts auf Kontaktlinsen, machte rund 30 Prozent des Umsatzes aus, heute werden diese vermehrt im Internet gekauft. Aus diesem Grund setzt Michael Maizak auf die Anpassung von orthokeratologischen Kontaktlinsen, die nur nachts getragen werden und die Hornhaut des Auges für einen begrenzten Zeitraum umformt, sodass man tagsüber keine Brille oder Kontaktlinsen tragen muss. Ein weiterer Schwerpunkt, um sich von der Konkurrenz abzusetzen, sind Sehhilfen für Menschen mit Makuladegeneration (AMD), für dessen Verkauf Michael Maizak extra eine spezielle Fortbildung gemacht hat. Sein Ziel: Er will kein Optiker wie andere sein. Sondern einzigartig.

Durchschnittlich 342 Euro sind die Menschen bereit, für die Anschaffung einer Brille zu investieren. Die Anzahl sehtauglicher Brillen pro Bürger beträgt durchschnittlich 1,9 Stück.

Die letzte Frage liegt auf der Hand. Oder wieder auf der Nase. Wie viele Brillen er selbst eigentlich hat? Michael Maizak lacht. So um die 20 müssten es sein. Allerdings hätten nicht alle seine aktuelle Sehstärke. Das seien nur fünf oder sechs, in verschiedenen Formen und Farben. Er wähle sie entsprechend seiner Stimmung aus. Die kräftige blau-grüne im Sommer, die lila zu besonderen Anlässen, die mit dem dünnen Gestell, wenn er was Dezentes braucht. Alles andere im Gesicht stört. Seine ehemaligen Brillen bewahrt er in einer Schublade auf. Mag sie einfach nicht wegwerfen. So, damit dürfte dann ja alles geklärt sein, oder? Seine Kundin ist nämlich da. Wenn es noch offene Fragen gibt, könne man ja telefonieren. Am besten morgens, bevor das Geschäft um neun Uhr öffnet. Tagsüber hat er nämlich meistens Kunden. Und die Kunden gehen vor. Immer.

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