Drei Brände und Gebäudeschäden brachten das Kakao Kontor Hamburg in Existenznot. Nun geht es wieder aufwärts

Hamburg. „Bloß nicht schon wieder“, schießen André Montaldo-Ventsam die Gedanken durch den Kopf, als er an diesem Oktobermorgen in den Langenfelder Damm biegt und vor seinem Geschäft steht. Angekokelte Sofakissen liegen auf dem Gehweg. Feuerwehrleute stellen angebrannte Möbel an die Straße. Es riecht nach Feuer. Ein paar Stunden zuvor hatte es im Keller des mehrgeschossigen Hauses gebrannt, in dem oben Wohnungen liegen. Es war das dritte Mal innerhalb von zwei Jahren. Immer waren Brandstifter am Werk. „Sie spielten mit Menschenleben. Und hätten mich fast in den Ruin getrieben“, sagt der 44-Jährige, der das Kakao Kontor Hamburg betreibt und selbst von einer „Pechsträhne“ spricht, die wohl einzigartig ist.

Mitte des vergangenen Jahrzehnts reift bei dem studierten Soziologen der Entschluss, sich mit seiner Freundin Susanne Reppin selbstständig zu machen. „Wir hatten beide ein Faible für Schokolade“, erinnert er sich. Nach vielen Monaten des Überlegens stand fest: Sie wollen ihr eigenes Schokoladengeschäft eröffnen, mit hochwertigen zugekauften Marken und Produkten aus eigener Herstellung. Quasi ein Gourmet- und Delikatessenladen, ein Spezialitätengeschäft, das es damals noch recht selten gab.

Das Paar reist durch halb Europa und informiert sich über Artikel und Anbieter. Im Oktober 2006 ist es so weit. Auch mithilfe von Freunden und Familie sammelten sie eine fünfstellige Summe und starteten als Unternehmer. 70-Stunden-Wochen werden zur Regel. Tagsüber steht Montaldo-Ventsam im Geschäft, abends der Bürokram, am Wochenende kreiert er Schokoladen. „Ich esse gern, ich koche gern, bin kreativ und habe Spaß an Lebensmitteln. Alle unsere Sorten entstehen nach meinen eigenen Rezepten.“ Bei einer Gourmetmesse stellt das Paar seine Milchschokolade mit Salz vor. Ebbe und Flut hat er sie genannt. Sie schmeckt den Händlern. Auch Bonsche für Klein Erna mit Bonbonsplittern gefällt. Sie bekommen erste Aufträge.

Das Geschäft wächst stetig und kräftig. Im Jahr 2010 beschäftigt das Paar vier Vollzeitkräfte, darunter zwei Konditoren. Der Jahresumsatz knackt die 200.000-Euro-Marke. „Wir waren gerade aus den roten Zahlen raus“, sagt Montaldo-Ventsam. Doch dann kommt der für ihn und seine Freundin feucht-heiße Sommer 2011. Im August sorgt zunächst ein Wasserrohrbruch für kräftigen Schaden im Lager. Einen Monat später kommt der Eimsbüttler abends vom Sport nach Hause, sucht einen Parkplatz und fährt an seinem nahe der Wohnung gelegenen Laden vorbei. „Da zog der Rauch schon aus dem Geschäft.“ Der Kellerbrand hatte die Ware fast vollständig zerstört, einige Zentner Schokolade mussten sie vernichten, das Verpackungsmaterial war kaputt, der Laden voll mit Ruß. Schaden: mehrere 10.000 Euro. Eine Reinigungsfirma machte alles sauber. Nach einigen Tagen können sie das Kakao Kontor Hamburg wieder eröffnen.

Zwei Wochen später sitzt er abends im Büro. „Da grillt noch einer“, denkt er erst. Dann wird ihm blitzschnell klar, dass der Geruch nicht von einem normalen Barbecue kommt. Erneut brennt es im Keller, Montaldo-Ventsam ruft die Feuerwehr und unternimmt mit einem Feuerlöscher einen Rettungsversuch. Vergeblich. Für einen Monat muss der Laden dichtgemacht werden. „Ursprünglich wollten wir in dem Jahr den nächsten Wachstumssprung machen.“ Kurz zuvor hatte er auf einer Messe neue Händler gewonnen. Nun musste er ihre Bestellungen stornieren. Keine Ware, kein Produktionsraum, keine Verpackungsmaterialien. Er konnte nicht rechtzeitig für das mit Abstand umsatzstärkste letzte Quartal liefern. Zwei Angestellte muss er entlassen. „Das war eine ganz unangenehme Erfahrung für mich.“

Im Mai 2012 kommt der nächste Schlag. „Am letzten Tag meines Urlaubs in Südamerika rief mich ein Nachbar an“, sagt Montaldo-Ventsam. An der Fassade waren Risse aufgetaucht, das Haus wurde evakuiert. Offenbar hatten Bauarbeiten von nebenan zu den Statikmängeln geführt. Die Behörden sperrten und versiegelten das Geschäft. Nur mit einer Sonderöffnung durfte er ins Büro und die wichtigsten Unterlagen holen. Wieder musste er Händlern absagen. Beim Einziehen von Stützbalken ging seine Ladeneinrichtung kaputt, die neue kostete eine fünfstellige Summe. Viel Geld, zumal Einnahmen fehlten. Vier Monate war das Geschäft geschlossen. Im Gesamtjahr brach der Umsatz um die Hälfte ein. In der Folge muss das Unternehmen einem weiteren Mitarbeiter kündigen.

Als es 2013 endlich wieder aufwärtsgehen soll, kommt Kellerbrand Nummer drei dazwischen. Der Oktobermorgen aus der eingangs beschriebenen Szene. „Irgendwie stumpft man ja ab. Wenn man das das dritte Mal erlebt, weiß man, was man zu tun hat.“ „Man“ ist er. Und er muss nun die Vermieterin benachrichtigen, die Reinigungsfirma beauftragen, den Schadensfall der Versicherung melden. Den Laden erneut schließen. Weil der Keller aber nach den ersten Bränden entkernt und Schächte dichtgemacht wurden, war der Schaden dieses Mal nicht so hoch. Einige Tage später konnte er die Türen wieder öffnen. Zu den Tätern, die nie gefasst wurden, „fällt mir nichts mehr ein“. Natürlich habe er überlegt, ob ihm jemand bewusst schädigen will. Ihm sei aber niemand eingefallen. Und natürlich habe er auch überlegt, alles hinzuwerfen. „Ich habe aber einfach Bock auf das Kakao Kontor Hamburg, glaube an die Marke und die Produkte.“

Das Kakao Kontor beliefert 30 bis 40 Feinkostgeschäfte, auch im Ausland

2014 soll nun der Neustart in der Schokoladenmanufaktur folgen. Die Kontakte zu den 130 Händlern, die in seiner Kartei stehen, müssen zu einen Großteil wieder aufgebaut werden. 30 bis 40 Feinkostgeschäfte gehören zu seinen festen Kunden, viele in Hamburg wie zum Beispiel Mutterland. Aber selbst nach Österreich und in die Schweiz liefert er seine Produkte. Rund 75 Artikel stellt das Unternehmen her – von der Ebbe-und-Flut-Schokolade (Preis 4,95 Euro für 75 Gramm) bis zur Karamellcreme (5,50 Euro für ein 200-Gramm-Glas). Auch Fruchtaufstriche, Tomatenpesto und Balsamico sind im Sortiment, natürlich alle mit Kakaogeschmack. „Wir haben das breiteste Sortiment: Ich wüsste keine andere Schokomanufaktur in Deutschland, die so viel anbietet“, sagt Montaldo-Ventsam, der seit Jahresbeginn nach der Trennung von seiner Freundin das Unternehmen allein leitet.

Bisher gehe die Saison ganz gut los. Ein „eindeutig zweistelliges prozentuales Plus beim Umsatz“ und einen Gewinn erwartet er für das Geschäftsjahr. Und hofft, dass er sich jetzt wieder voll und ganz seinem Laden hingeben kann, weil er ihn als Berufung sieht. „Im Laden stehen und Kunden beraten – das macht mir zu 100 Prozent Spaß.“ Gläser mit kleinen, bunten Eislöffeln stehen im Regal. Das Probierenkönnen seiner Ware ist für ihn selbstverständlich. Weil das in großen Supermärkten nicht möglich ist, hat er Anfragen großer Ketten abgesagt. Seine Kunden weiht er zudem in Seminaren in die Geheimnisse des Schokolademachens ein, in denen kakaohaltige Weihnachtsgeschenke selber hergestellt werden können.

Langfristig möchte er wieder vier Mitarbeiter haben. Für die Zukunft hofft er vor allem, dass – im wahrsten Sinne des Wortes – Störfeuer jeglicher Art ausbleiben. Um die Sicherheit im Keller zu erhöhen und Brandstifter abzuschrecken, wurden dort Kameras installiert. Mit einem Lächeln sagt er: „Langsam kehrt wieder das Gefühl von Normalität ein – das ist ganz nett.“