Die Elbvertiefung verzögert sich. Nun stellt sich die Frage nach einer neuen Hafenallianz im Norden

Hamburg. Die Elbvertiefung, meint Olaf Scholz (SPD), sollte man nicht allein mit den Maßstäben von Umwelt- und Gewässerrecht beurteilen: „Das Schicksal vieler Millionen Bürgerinnen und Bürger Europas wird von der Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie durch den EuGH abhängen“, sagte Hamburgs Bürgermeister am vergangenen Mittwoch bei seiner Regierungserklärung in der Hamburgischen Bürgerschaft. Im Klartext hieß das: Wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem für das Frühjahr 2015 erwarteten Spruch das europäische Wasserrecht so streng interpretiert, dass die geplante Elbvertiefung daran zu scheitern droht, könnte das die Wirtschaftskraft etlicher europäischer Städte abwürgen, die an Flüssen liegen.

Der Zwischenbescheid des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom 2. Oktober hatte Hamburgs Senat unvorbereitet getroffen. Die höchsten deutschen Verwaltungsrichter setzten das Verfahren zur Elbvertiefung vorerst aus und kündigten an, Präzisierungen des EuGH zum europäischen Gewässerrecht abwarten zu müssen. Erst dann lasse sich über die Klagen der Umweltverbände BUND und Nabu gegen das mehr als 2600 Seiten umfassende Planungsrecht der Stadt Hamburg und des Bundes zur Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne entscheiden. Hamburgs Regierung und die Hafenwirtschaft hingegen hatten fest damit gerechnet, dass nach mehr als zwölf Jahren Vorbereitung und Planung, nach fast zwei Jahren Gerichtsverfahren und einer fünftägigen Anhörung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Juli der Weg für das Großprojekt endlich frei wäre. Dass die Elbfahrrinne zwischen der Deutschen Bucht und Hamburg nun endlich vertieft und verbreitert werden kann, damit auch die größten Frachtschiffe den größten deutschen Seehafen wieder weitgehend ohne nautische Beschränkungen anlaufen können.

Die Politik kann Transportrouten in einer Marktwirtschaft nicht verordnen

Stattdessen kam der aus Sicht der Hamburger Projektplaner äußerst ungelegene Verweis an den EuGH. Das höchste europäische Gericht beschäftigt sich bereits seit 2013 mit der Materie – seinerzeit hatte der ebenfalls zuständige 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Verfahren zur Vertiefung von Weser und Außenweser ausgesetzt und Präzisierungen des EuGH zum Wasserrecht erbeten.

Der Zwischenbescheid des Gerichts war am 2. Oktober kaum publik, da meldeten sich umgehend jene wieder zu Wort, die eine „norddeutsche Hafenkooperation“ fordern. „Völlig unabhängig vom ungewissen Ausgang der Verfahren brauchen wir eine intensivere Kooperation der norddeutschen Seehäfen. Wir haben in Wilhelmshaven Deutschlands einzigen tideunabhängigen Tiefwasserhafen“, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). „Dieser bietet alle Möglichkeiten, die Fracht der neuesten und größten Containerschiffe und der Folgegenerationen umzuschlagen und sie auf Zubringerschiffe zu verteilen.“ Da war sie wieder, die hehre Idee einer gemeinsamen regionalen Hafenwirtschaft, über Ländergrenzen hinweg, zum Wohle aller: „Die großen Containerschiffe kommen unweigerlich – und niemand weiß, wann und wie die Gerichte entscheiden werden“, sagte Lies. „Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Hafenkooperation statt Flussvertiefungen, das fordern die Umweltverbände BUND und Nabu, die gegen die Elb- wie auch gegen die Weservertiefung geklagt haben, in Norddeutschland seit Jahren. Die Grünen sind ebenso dafür wie die Partei Die Linke. Auch Niedersachsens Landesregierung macht sich diese Argumentation in Teilen immer wieder zu eigen. Egal, ob sie – wie seit 2013 wieder – von der SPD angeführt wird oder wie zuvor von der CDU.

Motiviert sind die Zwischenrufe aus der Landeshauptstadt Hannover stets von der Hoffnung, den wirtschaftlich siechen Jade Weser Port in Wilhelmshaven endlich in Schwung zu bringen. Deutschlands einziger Tiefwasserhafen, den Schiffe mit Tiefgängen von bis zu 18 Metern anlaufen können, hat seinen wirtschaftlichen Bedarf bislang nicht nachweisen können. Ausgelegt für einen Umschlag von 2,7 Millionen Containereinheiten (TEU) im Jahr, werden derzeit jährlich gerade mal einige Zehntausend Stahlboxen über den Kai gehievt, der in Wilhelmshaven Kaje heißt. Die weltgrößte Linienreederei Mærsk kündigte in dieser Woche an, den Jade Weser Port vom Frühjahr an zweimal anstatt einmal wöchentlich mit einem Liniendienst aus Asien anzulaufen. Mærsk steht als Mitbetreiber und einziger Großkunde unter besonderem Druck, den Terminal deutlich besser auszulasten.

In einem Thesenpapier, im Konferenzsaal oder am Stammtisch wirkt das alles ganz banal – die deutschen Häfen an der Nordsee teilen sich die Ladung künftig einfach auf: Die extrem großen Containerschiffe fahren, soweit sie Bremerhaven und Hamburg nicht ohne erhebliche Restriktionen erreichen können, einfach nach Wilhelmshaven. Am Jade Weser Port werden dann Container für die beiden Hansestädte auf Zubringerschiffe umgeladen. Alle Schiffsgrößen unterhalb der Superfrachter laufen Bremerhaven und vor allem Hamburg weiterhin direkt an: „Der Hamburger Hafen behält damit unabhängig von der ausstehenden Entscheidung zur Fahrrinnenanpassung seine Funktion als größter Containerhafen in Deutschland“, sagt Olaf Lies.

Was im schnellen Erklärdurchlauf ausgesprochen plausibel klingt, erweist sich im Alltag der Logistikwirtschaft als vollkommen unrealistisch – und jeder in der Branche weiß das. „Die Reeder und ihre Kunden entscheiden sich selbst für den jeweiligen Start- und Zielhafen. Die Politik kann Ladungsströme nicht lenken“, sagt ein erfahrener niedersächsischer Hafenmanager, der nicht namentlich genannt werden möchte. Denn die „Hafenkooperation“ ist ein konfliktträchtiges Politikum. In Niedersachsen äußert man sich, will man die Landesregierung nicht verprellen, lieber dafür. In Hamburg aber besser dagegen. Dabei ist der einzig realistische Weg der, den der Hafenmanager skizziert: „Wir müssen die Reedereien von Wilhelmshaven überzeugen. Der Jade Weser Port ist ein sehr guter Hafen. Ein neuer Hafen auf der grünen Wiese läuft immer schwer an. Das war in den 70er Jahren auch bei den Containerterminals in Bremerhaven so.“

Sprechen Politiker und Wirtschaftsvertreter von einer „Hafenkooperation“, meint jeder etwas anderes, aber selten etwas Konkretes. Auch Hamburgs CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft, Dietrich Wersich, plädiert für eine Hafenkooperation im Norden: „Uns geht es nicht darum, eine Alternative zur Elbvertiefung aufzuzeigen, denn die ist unverzichtbar“, sagt der Spitzenkandidat der Union für die Bürgerschaftswahl 2015. „Wir wollen auch keine finanzielle Beteiligung Hamburgs am Jade Weser Port, denn Hamburg hat mit der Finanzierung seines eigenen Hafens genug zu tun. Dennoch können die regionalen Häfen enger kooperieren, wie sie es an der Unterelbe schon tun: beim gemeinsamen Marketing, dem Ausbau der Infrastruktur, bei der Re-Industrialisierung der Küstenregion auch mithilfe der Häfen.“

Die wichtigste Klippe aber wird in der Regel umschifft, die Erklärung, wie die einzelnen Häfen an der deutschen Nordsee die Ladungsströme so auffächern sollen, dass am Ende alle zufrieden sind. „Es ist nun mal ein Fakt, dass nahezu 30 Prozent der Ladung in der Metropolregion verbleibt und dass die Anbindung des Hamburger Hafens an das Hinterland insbesondere per Bahn unvergleichbar gut ist“, sagt Alexander Geisler, Geschäftsführer der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten. „Dieser Vorteil veranlasst die Kunden der Reedereien dazu, die Ladung über Hamburg gehen zu lassen.“ Den naheliegenden Schluss, Wilhelmshaven mittelfristig als Ergänzung zu Hamburg zu nutzen, hält Geisler für einen Trugschluss: „Eine vergleichbare Infrastruktur wie jene in Hamburg an anderen Häfen aufzubauen, braucht seine Zeit und würde nicht unerhebliche finanzielle Mittel benötigen, was in Anbetracht der knappen Haushalte im Moment schwer darstellbar ist. Fehlende lokale Ladungsmengen, nicht ausreichende Hinterlandanbindungen und Kapazitätsreserven an den anderen Hafenstandorten sprechen im Augenblick aus Kundensicht gegen eine Verlagerung von Ladung nach Wilhelmshaven.“

Der Jade Weser Port in Wilhelmshaven wird bislang nicht gebraucht

Hamburg, so wurde immer wieder deutlich, hat keinen „Plan B“, sollte die Elbvertiefung ganz oder in wesentlichen Teilen scheitern. Ein Plan aber fehlt auch für eine irgendwie geartete norddeutsche Hafenkooperation. „Aus Gesamtsicht des Hamburger Hafens erkenne ich nach wie vor keine Sinnhaftigkeit in einer Hafenkooperation. Die Schiffe werden in allen Asiendiensten, und das sind in Hamburg 23 bis 24, in Zukunft größer“, sagt der Logistikexperte Professor Jan Ninnemann von der Hamburg School of Business Administration. „Alle zu verlagern ist allein aus Kapazitätsgründen etwa in Wilhelmshaven nicht möglich. Nach welchen Prioritäten soll das geschehen? Auch eine Strategie, erst nach Wilhelmshaven zu fahren, Zubringerladung zu löschen und dann geleichtert nach Hamburg zu kommen, wäre für die Reedereien betriebswirtschaftlicher Unsinn.“

Würde die Elbvertiefung noch längere Zeit verzögert, könnte Hamburg zunächst die Transitladung verlieren, die über die Hansestadt vor allen nach Osteuropa weitergeleitet wird. Hamburg ist ein wichtiger Hafen für die so genannten Feederdienste in die Ostsee, die durch den Nord-Ostsee-Kanal fahren. Zudem besitzt Hamburg die intensivsten Bahnanbindungen in osteuropäischen Staaten wie Polen, Ungarn, die Tschechische Republik oder die Slowakische Republik. Vor allem Gdansk (Danzig) positioniert sich für den Seetransport zunehmend als Konkurrent des Hamburger Hafens. Wöchentlich fährt die Reederei Mærsk mittlerweile selbst mit ihren größten, fast 400 Meter langen Schiffen bis direkt in den wichtigsten polnischen Hafen. Mit jeweils einigen Tausend Containern an Bord für den Im- und Export bekommen die Schiffe kein Problem mit dem Tiefgang auf der relativ flachen Ostsee. Die Zahl der Transportboxen reicht dennoch aus, um die Fernost-Europa-Linien bis direkt nach Polen hin zu verlängern.

Hamburgs einflussreichster Hafenmanager Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg (UVHH) plädiert seit Jahren vehement für die Erweiterung der Elbfahrrinne und gegen den wachsenden Einfluss der Umweltverbände. Er propagiert aber auch eine „Terminalkooperation“ zwischen den Umschlagbetrieben an der Nordsee, eine Zusammenarbeit deutlich unterhalb einer politisch verordneten Hafenkooperation. Ganz uneigennützig wirbt der frühere Staatsrat der Hamburger Wirtschaftsbehörde dafür allerdings nicht. Im Hauptberuf arbeitet Bonz als Generalbevollmächtigter für den Terminalbetreiber Eurogate.

Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg und Bremen betreibt Terminals in allen drei großen deutschen Nordseehäfen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven. Eurogate kann, in Abstimmung mit den Reedereien und Spediteuren, die Ladungsströme über die eigenen Terminals an der Nordsee variieren. Hamburgs wichtigster Konkurrent von Eurogate, der Hafenlogistikkonzern HHLA, kann das nicht. Vier von insgesamt fünf HHLA-Terminals liegen in Hamburg, darunter die mit Abstand größte Anlage der Stadt, der Burchardkai. Einen fünften Terminal betreibt der Konzern im ukrainischen Odessa. Dass es keinen Plan B für Hamburg gibt, weiß man nirgends so gut wie in der HHLA-Zentrale in St. Annen inmitten der historischen Speicherstadt.