Melanie Engel ist Winzerin in Schleswig-Holstein. Ihr aktueller Jahrgang verspricht ein besonders guter zu werden

Malkwitz. Die Herbstsonne scheint schon am Morgen mit voller Kraft auf den Gröndalberg. Der steile Hügel ist komplett mit Wein bepflanzt. Letzte Tautropfen verdunsten von den Blättern. Eingerahmt von sanft geschwungenen Feldern und Wäldern der Holsteinischen Schweiz hängen viele Rebstöcke auf dem Südhang noch voller Trauben. Kleine Beeren, prall und saftig. Sie scheinen jeden Sonnenstrahl aufzusaugen, um noch ein bisschen süßer zu werden. Ein Seeadler kreist majestätisch am Himmel. Zwischen den Rebstöcken flitzt ein Feldhase. Ein Naturidyll.

„Wir lassen unsere Trauben möglichst lange an den Reben reifen. Denn mit jedem Sonnentag speichern sie weiteren Zucker und werden damit qualitativ immer besser“, erklärt Melanie Engel vom Weingut Ingenhof in Malkwitz bei Malente. Die Winzerin entscheidet im Herbst je nach Wetterlage jeden Tag spontan, wann welche Rebenreihen gelesen werden. Die ersten grün-gelben Trauben für den Weißwein wurden bereits am letzten September-Wochenende von den Stöcken geschnitten, in diesen Tagen sind die letzten „Weißen“ dran. Die Rotweinreben kommen ab der nächsten Woche an die Reihe, sagt die 36-Jährige. Die Lese erfolge dann mit der Schere ausschließlich in aufwendiger Handarbeit.

In diesem Jahr ist die junge Weinbauerin besonders glücklich: „2014 könnte ein perfektes Weinjahr für uns werden. Wir hatten hier im Norden sehr viel Sonne, wenig Regen und damit ideale Bedingungen.“ Den besten Beweis lieferten die Trauben selbst. „Wir messen derzeit ein Mostgewicht von 85 bis 95 Oechsle-Grad. Dies sind für den Norden hohe Zuckerwerte, die sonst eher in Süddeutschland erzielt werden.“ Und auch das Deutsche Weininstitut ist sicher: „In Norddeutschland gibt es in diesem Jahr aufgrund des sonnigen Wetters mit Sicherheit ganz besonders gute Weine“, sagt der Sprecher Ernst Büscher. „Insgesamt erwarten wir in ganz Deutschland sowohl mengenmäßig als auch qualitativ ein gutes Weinjahr 2014.“

Der Weinanbau in Schleswig-Holstein ist noch ein junger Wirtschaftszweig. Die größten deutschen Weinanbaugebiete liegen traditionell im klimatisch wärmeren Süden der Republik – in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Franken. Da in Europa die Rebflächen limitiert sind und von der EU zugeteilt werden, darf nicht jeder Bauer nach Lust und Laune Wein anbauen. So kam der Norden erst durch Drängen der Kieler Landesregierung an die Rechte. Auf Wunsch des damaligen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (CDU) verschenkte Rheinland-Pfalz 2009 zehn Hektar seiner Rebpflanzrechte nach Schleswig-Holstein, die dann vom Landwirtschaftsministerium ausgeschrieben wurden.

Melanie Engel war von der Idee, auf dem traditionsreichen Gutshof, der seit 1948 von ihrer Familie bewirtschaftet wird, auch Wein anzubauen, sofort begeistert. „Das passte genau zu unserem Betrieb.“ Die studierte Agrarwissenschaftlerin und Mutter zweier Kinder hatte vor drei Jahren als älteste von drei Töchtern den Familienhof ihrer Eltern Wolfgang und Renate übernommen. Das Gut mit 250 Hektar Fläche stellte sie zunehmend auf den Anbau von Erdbeeren, Himbeeren und Ackerbau um, das sie mit einem Team von zehn Mitarbeitern bewirtschaftet. Die früheren Schweineställe wurden in geschmackvolle Ferienwohnungen umgebaut. In einem Feldcafé gibt es im Sommer Kuchen und Früchte zum Selbstpflücken.

Doch die Weinpflanzrechte zu erhalten war keineswegs ein Selbstgänger. Die Zahl der Interessenten war groß, wenngleich die ausgeschriebene Fläche – im Vergleich zu den bundesweit insgesamt 100.000 Hektar – sehr klein ist. Melanie Engel musste umfangreiche Klima- und Vermarktungsgutachten vorlegen und erhielt schließlich den Zuschlag für drei Hektar Pflanzrechte – eine Fläche etwa so groß wie drei Fußballfelder. „Unsere 35 Grad steilen Hanglagen, auf denen Ackerbau wirtschaftlich nicht betrieben werden kann, waren plötzlich ein Pluspunkt“, erzählt sie. „Unsere Hügel sind nicht viel niedriger als der Bungsberg, der höchste Berg Schleswig-Holsteins. Der sandig-lehmige Boden der Endmoräne mit hohem Gesteinsanteil bietet einen idealen Nährboden, dazu die Südlage, der Windschutz und ein Tal, wo kalte Luft der Frühjahrsfröste abfließen kann. Das überzeugte.“ Der Ingenhof ist damit heute das größte Weingut in Schleswig-Holstein, die übrige Fläche ging an weitere fünf Winzer auf Sylt, Föhr, in Grebin und Westensee. Der Grundstein für den Weinanbau im hohen Norden war gelegt.

2009 setzte Engel mit ihrem Team die ersten Rebstöcke, jeweils 4500 Stück je Hektar – und bereits 2010 wurde der erste Jahrgang gekeltert. „Wir bauen besonders früh reifende, widerstandsfähige und pilzresistente Trauben an, die auch norddeutsches Schmuddelwetter vertragen und mit weniger Sonne zufrieden sind.“ Damit die Weine von Beginn an gelingen konnten, vertraute Engel auf die Erfahrung eines Winzers aus Rheinhessen, Patrick Balz, der auch ihrem Kellermeister Jan Carstens, 42, mit gutem Rat beiseitesteht: „Wir telefonieren derzeit täglich, beraten uns über den richtigen Zeitpunkt der Lese und die Art der Verarbeitung.“ Denn auf dem Ingenhof werden nicht nur Trauben angebaut, sondern sie werden hier auch gepresst, gekeltert und in Flaschen gefüllt. Allein 2013 waren dies 8000 Liter weißer und 4000 Liter roter Wein in 0,75-Liter-Flaschen. Den Weißwein der Sorte Solaris gibt es in einer trockenen und einer halbtrockenen Variante. „Beide haben ein fruchtiges Bouquet von Holunder“, erläutert Carstens. Der Rotwein ist wiederum ein vollmundiger Cuvée aus den Rebsorten Regent und Cabernet Cortis, gereift in Eichenfässern. Der Preis: 8,50 Euro für die Flasche Weißwein. „Für meine Weine verwende ich erstmals auch meinen Familiennamen als Marke: Engel No. 1 – Engel Number one“, sagt die Winzerin. Insgesamt wurden 2013 auf allen Weingütern in Schleswig-Holstein zusammen 20.000 Liter abgefüllt, sagt die zuständige Weinkontrolleurin des Kieler Landwirtschaftsministeriums, Ursula Linssen, die mit den Ergebnissen der norddeutschen Winzer insgesamt sehr zufrieden ist.

Allerdings dürfen die edlen Tropfen grundsätzlich nur als schleswig-holsteinische Landweine angeboten werden. „Selbst wenn ein Jahrgang durchaus das Prädikat Qualitätswein verdienen würde, wäre diese Bezeichnung nicht möglich, da in Schleswig-Holstein für diese Auszeichnung schlichtweg die entsprechenden Gesetze fehlen.“ Doch Engel ist darüber nicht betrübt. „Wir wollen kein Massengut erzeugen, sondern etwas Typisches aus und für Schleswig-Holstein, eine kleine Rarität.“ Ihre Weine finden dabei bereits viele Liebhaber – und auch prominente Kunden. Nicht nur große Hotels an der Küste, sondern auch die Kieler Staatskanzlei lässt sich mit dem Wein von Engel beliefern.

Wann auf dem Ingenhof mit dem Weinanbau Geld verdient werden kann, steht noch nicht fest. „Noch wird der neue Betriebszweig durch unsere Obstfelder und Landwirtschaft quersubventioniert“, sagt die überzeugte Winzerin. Allein für die Kelteranlagen und den Anbau der Reben investierte ihre Familie einen sechsstelligen Betrag. „Man muss schon ein bisschen verrückt sein, ein Weingut hier im Norden aufzubauen“, gesteht Engel schmunzelnd, bleibt aber optimistisch. „Wenn man eine Idee hat und daran glaubt, dann klappt das auch. Ich hoffe einfach, dass sich meine Leidenschaft für den Wein am Ende für alle auszahlt.“