Die Zahl junger Schüler nimmt ab. Derweil sorgen Unfälle älterer Fahrer immer häufiger für Schlagzeilen. Auffrischungskurse sollen Umsatz ankurbeln

Hamburg. Der Fall sorgte für Schlagzeilen: Beim Rangieren aus einer engen Parklücke in Volksdorf rammte eine 78-jährige Frau in der vorletzten Woche mit ihrem Wagen acht Autos. Ihr Fahrzeug prallte gegen eine Hausfassade, kippte um und blieb schließlich auf dem Dach liegen. Fahrerin und Beifahrer kamen mit leichten Verletzungen davon. Der Unfall entfachte erneut die Diskussion darüber, ob Rentner ab einem bestimmten Alter im Straßenverkehr ein Risiko darstellen.

Für Saskia Hayko wäre die Diskussion völlig überflüssig, wenn mehr ältere Autofahrer freiwillig Auffrischungskurse in Fahrschulen belegen würden. Die 35-Jährige ist Fahrlehrerin, angestellt bei der Hamburger Fahrschule Fahrszination, die wie viele andere Fahrschulen in Hamburg neben der normalen Fahrausbildung zunehmend auf die Schulung älterer Autofahrer setzt. Zum Fall aus Volksdorf sagt sie: „Wäre die Frau nur zu uns gekommen, bevor so etwas passiert.“ Der Verkehr nehme zu, damit steige der Stress und die Gefahr, Fehler zu machen. Auffrischungskurse könnten älteren Fahrern die notwendige Sicherheit zurückgeben, sagt Hayko. Zudem hätten sich die Verkehrsregeln teilweise geändert.

Mit Auffrischungskursen für ältere Autofahrer gehen immer mehr Fahrschulen neue Wege. Genauer gesagt: Sie suchen nach einer neue Kundenklientel. Grund ist der demografische Wandel hierzulande. Durch die Alterung der Gesellschaft wird der Kreis junger Menschen, die einen Führerschein erwerben wollen, immer kleiner. Doch gerade von der Klientel junger Pkw-Fahranfänger ist die Branche besonders abhängig. Hier entsteht eine Lücke, die geschlossen werden muss. Wem das nicht gelingt, der wird bereits mittelfristig aus dem Fahrschulgeschäft aussteigen müssen.

Vor allem in den Flächenländern macht sich dieser Trend bereits bemerkbar. Die Zahl der Führerscheinprüfungen sinkt seit 2008 kontinuierlich und lag 2013 erstmals unter drei Millionen, wie eine aktuelle Branchenuntersuchung der Volks- und Raiffeisenbanken zeigt. Auch die Zahl der Unternehmen nimmt bundesweit ab – jedes Jahr um etwa 400 Fahrschulen. Es gebe aber immer noch ein Überangebot, heißt es in der Studie.

Dabei steht Hamburg insgesamt noch ganz gut da, weil die Stadt im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen weiterhin wächst. „Das hat dazu geführt, dass wir in diesem Jahr sogar ein leichtes Plus bei den Fahrschülern von drei bis fünf Prozent verzeichnen“, sagt Holger Breu, stellvertretender Vorsitzender des Hamburger Fahrlehrerverbands. Allerdings gebe es auch in Hamburg Probleme: Früher seien Führerschein und eigenes Auto für Jugendliche als Statussymbol angesehen worden, das es möglichst schnell zu erreichen galt. Vor allem in der Innenstadt, wo das Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln gut ausgebaut ist und viele Ziele auch mit dem Fahrrad erreichbar seien, hätten sich aber die Prioritäten der Jugendlichen gewandelt. „Die geben ihr Geld lieber für andere Dinge aus. Das ändert sich, wenn sie außerhalb der Stadt wohnen“, so Breu. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die Branche in der Stadt sehr unterschiedlich aufgestellt ist: Während einige Bezirke wenige Fahrschulen zählen, befinden sich in anderen zu viele. „Wir haben im Umkreis von zwei Kilometern beispielsweise sieben Fahrschulen“, sagt Breu, dessen Betrieb in Poppenbüttel liegt.

Entsprechend hoch ist hier der Preiskampf. Der stellvertretende Verbandschef warnt vor Dumpingangeboten, wie sie von einigen Fahrschulen gemacht werden: „Ohne stabile Umsätze kann man langfristig nicht überleben.“ Er selbst nimmt eine Aufnahmegebühr von 180 Euro und 36 Euro pro Fahrstunde. So unterschiedlich wie die Branchenverteilung ist auch die Ertragssituation der Fahrschulen: „Die Jahresumsätze reichen von 40.000 Euro bei einigen Betrieben bis hin zu einer Million bei anderen. Ich kenne Fahrschulbesitzer, die nebenher noch als Busfahrer arbeiten, weil ihre Einnahmen nicht reichen“, so Breu. Dem Landesbetrieb Verkehr zufolge gibt es in Hamburg 197 Fahrschulen. Tendenz sinkend. 2009 waren es noch 217.

Und denjenigen, die wirtschaftlich überleben, stehen schwierige Zeiten bevor. Denn das Absinken der Zahl junger Führerscheinanwärter zwingt die Fahrschulen, künftig neue Geschäftsfelder zu erschließen. Deshalb werben die Fahrschulen mit Auffrischungskursen um Senioren.

Deren Zahl steigt nämlich. Und da die Menschen auch im hohen Alter mobil sein wollen, fahren viele noch mit dem Auto. Dabei kommt es immer wieder zu schweren Unfällen. Die Karambolage von Volksdorf ist keine Ausnahme: Am 30. Juli endete ein Einparkmanöver vor dem Toom-Baumarkt in Henstedt-Ulzburg mit einem Totalschaden. Statt in seine Parklücke raste ein 80-jähriger Rentner direkt in einen Unterstand für Einkaufswagen. Diese vor sich herschiebend, durchbrach er die Fensterfront des Marktes.

Weniger glimpflich endete Mitte Juni ein Einparkversuch auf dem Edeka-Parkdeck in der Hoheluftchaussee. Eine 69-jährige Frau verwechselte Gas und Bremse. Frontal krachte das Auto gegen die Begrenzungsmauer des Parkdecks. Sie und ihr Beifahrer wurden verletzt. Ende Oktober vergangenen Jahres schob ein 83-jähriger Rentner bei einem misslungenen Parkmanöver einen anderen Wagen durch eine Brüstung des P+R-Parkhauses in Volksdorf. Der zum Glück unbesetzte Wagen stürzte acht Meter in die Tiefe.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: Allein im vergangenen Jahr gab es laut Verkehrsbilanz der Innenbehörde in Hamburg 64.995 Verkehrsunfälle. An 11.078 davon waren Autofahrer ab 65 Jahren beteiligt. Die Mehrzahl dieser Unfälle wurde dabei von den Senioren verursacht.

Hier setzen die Fahrschulen mit ihrer Werbung für Auffrischungskurse an. Die Sache hat nur einen Haken: Noch ist die Zahl der Senioren, die freiwillig noch einmal Fahrstunden nehmen, sehr gering. „Das ist ein schwieriges Thema“, sagt Marc Wollenbaecker, Haykos Chef und Inhaber der Fahrschule Fahrszination mit zwei Filialen in Hamm und Wandsbek. „Wenn man nicht gezielt um ältere Kunden wirbt, finden sie eher selten den Weg in die Fahrschule. Von 200 Fahrschülern, die seine Firma in diesem Jahr ausbildete, waren gerade vier Senioren, die einen Auffrischungskurs belegten. „Viele scheuen den Weg zur Fahrschule, weil sie denken, dass wir ihnen den Führerschein abnehmen. Das ist Unsinn, das dürfen wir gar nicht“, sagt der stellvertretende Verbandschef Breu. „Sondern wir wollen den Menschen doch nur helfen, dass sie möglichst lange mobil bleiben.“