Chemiegewerkschaft will über kürzere Wochenarbeitszeiten für Ältere verhandeln. Arbeitgeber reagieren ablehnend.

Hamburg. Lohnerhöhung sind für Beschäftigte wichtig, aber nicht alles. Vielmehr rücken flexible Arbeitsmodelle zunehmend in den Fokus der Forderungen von Tarifverhandlungen. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) prescht nun mit einem neuen Modell für ältere Beschäftigte vor. In der nächsten Tarifrunde Anfang 2015 will die IG BCE möglichst kürzere Wochenarbeitszeiten für ältere Beschäftige durchsetzen. „Ab 60 Jahren sollen künftig auch eine Drei- oder Vier-Tage-Woche möglich sein“, sagte Vorstandsmitglied und Verhandlungsführer Peter Hausmann der „Rheinischen Post“. Es gehe darum, die Belastungen zu verringern, „dann können die Beschäftigten auch länger in den Betrieben gehalten werden.“

Allerdings soll dies finanziell nicht vollständig zulasten der Mitarbeiter gehen. So könnten die Beschäftigten von der Rentenkasse eine Teilrente und vom Arbeitgeber einen Lohnausgleich erhalten, schlägt Hausmann vor: „Wir wollen einen Lohnausgleich, damit die Arbeit für die Beschäftigten attraktiv bleibt. Hilfreich wäre es, wenn der Gesetzgeber eine Teilrente ab 60 möglich machen würde.“ Er erinnerte an die frühere Altersteilzeit, da habe es „rund 90 Prozent vom letzten Netto“ gegeben. Das sei von den Beschäftigten „gut akzeptiert“ worden. Die Politik sei gefordert, für tragfähige Rahmenbedingungen zu sorgen.

Die Tarifkommission der IG BCE hatte am Vortag eine solche Forderung beraten. Beschlüsse, wie genau ein solches Modell aussehen könnte, gab es bei der Sitzung noch nicht. Klar sei, dass der demografische Wandel und ein flexibler Übergang in die Rente Thema bei den Tarifverhandlungen werden. Beschlüsse könnte es beim nächsten Treffen am 10. und 11. November geben. Der Bezirksleiter der IG BCE in der Metropolregion Hamburg, Jan Eulen, begrüßte die Forderung sehr: „Eine wichtige Debatte ist eröffnet. Über 60-Jährige müssen eine Chance erhalten, bis zum Arbeitsende durchzuhalten.“ Entscheidend sei die Entwicklung einer „intelligenten Finanzierung“.

Bei den Arbeitgebern stieß der Vorschlag unterdessen auf Ablehnung. „Angesichts des demografischen Wandels ist unser zentrales Ziel, möglichst viele Beschäftigte möglichst lange motiviert und leistungsfähig im Betrieb zu halten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie, Klaus-Peter Stiller. „Generelle Arbeitszeitverkürzungen ab 60 widersprechen diesem Ziel.“ Auch der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands ChemieNord, in dem 300 Unternehmen mit 65.000 Beschäftigten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen Mitglied sind, äußerte sich skeptisch. „Bereits heute gibt es in der Chemie eine Reihe von tariflichen Optionen zur Gestaltung der Lebensarbeitszeit. Vor einer Weiterentwicklung dieser Optionen steht aus unserer Sicht zunächst einmal eine gründliche Evaluation dieser Instrumente“, sagte Jochen Wilkens. „Derzeit laufen sowohl bei der IG BCE als auch auf Arbeitgeberseite noch die internen Vorabstimmungen für die nächste Tarifrunde. Über welche Forderungen die Gewerkschaft dann wirklich mit uns verhandeln will, können wir erst dann sagen, wenn uns diese konkret vorliegen. Das ist zur Zeit nicht der Fall.“

Tatsächlich bieten einige Unternehmen in Hamburg bereits flexible Arbeitszeitmodelle speziell für Ältere an. So können bei Beiersdorf zu viel geleistete Gleitzeitstunden und Urlaubstage auf Langzeitarbeitskonten gesammelt werden. Bei Aurubis arbeiten Produktionsmitarbeiter über 55 Jahre sowie Verwaltungsangestellte ab 57 Jahren zweieinhalb Stunden je Woche weniger. Alle drei Wochen hätten sie dafür einen freien Tag, sagte Unternehmenssprecherin Michaela Hessling.

Bei Hydro Aluminium in Hamburg entlasten sogenannte „Opa-Tage“ die Schichtarbeiter. Wer 55 Jahre alt ist und regelmäßig nachts arbeitet, darf drei Nachtschichten kappen, mit 57 sogar sechs. Der Haustarifvertrag regelt ein Schichtsystem nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen: Vorwärtswechsel, kurze Zyklen, maximal drei Nachtschichten, zwei komplett freie Wochenenden pro Monat. Außerdem können bei Hydro Aluminium statt vier nun fünf Prozent der Belegschaft in Altersteilzeit gehen.

Bei der IG Metall Küste findet der Vorschlag der Chemiekollegen Gefallen. „Wir brauchen dringend Möglichkeiten für einen flexiblen Übergang in die Rente. Dafür ist das Modell ein interessanter Vorschlag. Auch in der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie Anfang nächsten Jahres wird es um die Altersteilzeit mit verschiedenen Modellen gehen“, sagte Meinhard Geiken, Bezirksleiter IG Metall Küste. „Wir wollen, dass mehr Beschäftigte, vor allem auch in kleineren und mittleren Betrieben, früher in Rente gehen können. Außerdem müssen die Bedingungen für Beschäftigte in unteren Entgeltgruppen verbessert werden. Auch wer wenig verdient, muss sich die Altersteilzeit leisten können“, unterstrich Geiken.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte bereits im Juni einen flexiblen Übergang in die Rente schon ab 60 Jahren gefordert. Die Möglichkeit, weniger zu arbeiten und mit Abschlägen früher Rente zu kassieren, gibt es grundsätzlich bereits seit 1992. Die bisherige Regelung für eine solche Teilrente gilt aber noch als kompliziert, unflexibel und damit als reformbedürftig.