Kunden verlieren 30 Milliarden Euro, sagt Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten über die Auswirkungen neuer Gesetze

Henstedt-Ulzburg. Von einem Gewerbegebiet vor den Toren Hamburgs aus dirigiert Axel Kleinlein die einzige Nichtregierungsorganisation in Europa, die sich nur mit dem Verbraucherschutz in Versicherungsfragen beschäftigt. Der Sprecher des Vorstands des Bundes der Versicherten mit 53.000 Mitgliedern. Der Versicherungsmathematiker arbeitete für die Allianz, bevor er die Seiten wechselte und für den Verbraucherschutz arbeitete, etwa bei der Stiftung Warentest. Seit rund einem Jahr führt er den Bund der Versicherten. Gerade ärgert er sich über ein neues Gesetz, dass es den Versicherungen ermöglicht, die Auszahlungen an die Kunden weiter zu kürzen. So werde die Altersvorsorge immer unrentabler. Das Abendblatt sprach mit ihm über die Auswirkungen auf die Altersvorsorge der Deutschen und Versicherungen, die man unbedingt braucht.

Hamburger Abendblatt:

Würden Sie jetzt noch eine Kapitallebens- oder Rentenversicherung abschließen?

Axel Kleinlein:

Nein. Das war noch nie eine besonders attraktive Anlage, weil der Risikoschutz mit einem Sparvorgang kombiniert wird. Der Risikoschutz ist meist nicht groß genug, um Hinterbliebene ausreichend abzusichern, und der Sparvorgang leidet unter der hohen Kostenbelastung. Bei einer Rentenversicherung kommt hinzu, dass man wirklich sehr alt werden muss, damit sich das Produkt aus Sicht des Kunden rechnet. Bei Neugeborenen kalkulieren Versicherer inzwischen mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 105 Jahren. Mit der sinkenden Garantieverzinsung im nächsten Jahr wird das Produkt erst recht überflüssig.

Sie meinen die Senkung des Garantiezinses von 1,75 auf 1,25 Prozent zum 1. Januar 2015?

Kleinlein:

Ja. Das kann dazu führen, dass von der garantierten Verzinsung gar nichts mehr übrig bleibt. Denn nicht der gesamte Monats- oder Jahresbeitrag des Kunden wird verzinst, sondern nur der Anteil, der nach Abzug von Risiko- und Verwaltungskosten übrig bleibt, also rund 70 bis 80 Prozent. Die Garantieverzinsung reicht dann nicht mehr aus, um die Verluste durch die Kosten auszugleichen. Das garantierte Kapital am Ende der Laufzeit liegt dann unter den Einzahlungen. Für den Kunden ist das ein Minusgeschäft.

Aber fast jeder Deutsche hat eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen. Was kann er von seiner Altersvorsorge in fünf oder zehn Jahren noch erwarten?

Kleinlein:

Die prognostizierten Ablaufleistungen können vermutlich nicht erfüllt werden. Aber die garantierten Leistungen sind sicher. Wie hoch künftig die Überschussbeteiligung ausfällt, lässt sich nur schwer abschätzen, weil das von der weiteren Zinsentwicklung abhängt. Außerdem bilden die Versicherer immer mehr Reservetöpfe. Das Geld, das dort hineinkommt, steht für die Überschussbeteiligung nicht mehr zur Verfügung. Allein mit dem jüngsten Gesetz zur Stabilisierung der Lebensversicherung und anderen Neuregelungen werden den Versicherten 30 Milliarden Euro entzogen, um damit die Eigenmittel der Versicherer zu stärken. Vorher wurde schon eine Zinszusatzreserve mit insgesamt 13 Milliarden Euro gebildet, um die garantierten Leistungen zu unterstützen. Dabei geht es den Unternehmen nicht so schlecht, wie die ganzen Rettungsprogramme vermuten lassen.

Künftig sollen die Kunden nicht mehr an den Bewertungsreserven festverzinslicher Wertpapiere beteiligt werden, wenn ihr Vertrag ausläuft oder sie kündigen. Wie wird sich das auswirken?

Kleinlein:

Besonders betroffen sind Kunden, deren Vertrag in den nächsten ein bis zwei Jahren ausläuft. Sie müssen damit rechnen, dass die Auszahlung um fünf bis zehn Prozent geringer ausfällt. Aber im Grunde ist jeder Kunde mit einer solchen Versicherung betroffen.

Soll man seine Lebensversicherung gleich kündigen?

Kleinlein:

Von einer vorschnellen Kündigung rate ich ab. Wenn der Vertrag zur Absicherung von Hinterbliebenen dient oder mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung kombiniert ist, ist das ohnehin nicht ratsam. Dann steht die Rentabilität des Vertrags erst an zweiter Stelle. Auch Verträge mit einem hohen Garantiezins können sich noch auszahlen. Die Frage kann nur im Einzelfall beantwortet werden.

Wenn die Lebensversicherung für die Altersvorsorge nicht mehr taugt, wie lässt sich dann für das Alter vorsorgen?

Kleinlein:

Jungen Leuten rate ich immer, ihr Geld zunächst in eine hervorragende Ausbildung zu investieren. Damit erhöhen sie ihre Zukunftschancen, und eine sehr gute Bezahlung ermöglicht später, Rücklagen für das Alter zu bilden. Das sollten Produkte wie ein Fonds- oder Banksparplan sein, die flexibel sind und keine langfristige Bindung erfordern. Auch eine eigene Immobilie kann sinnvoll sein, wenn die Lebensplanung weitgehend abgeschlossen ist und man an einem Ort verbleiben kann.

Welche Versicherungen sind denn unverzichtbar?

Kleinlein:

Da geht es immer um die Absicherung existenzieller Risiken, also Schäden bei anderen oder einem selbst, die einen finanziell überfordern. Deshalb ist eine Haftpflichtversicherung für jeden unverzichtbar. Grundeigentümer benötigen eine Wohngebäudeversicherung. Die eigene Arbeitskraft kann mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung abgesichert werden. Allerdings haben inzwischen viele körperlich Tätige Probleme, einen bezahlbaren Versicherungsschutz zu bekommen.

Und welche Policen sind überflüssig?

Kleinlein:

Das reicht von der Handyversicherung über die Fahrradversicherung bis zur Sterbegeldversicherung.

Wenn jetzt Jugendliche eine Ausbildung beginnen, benötigen sie dann schon eigene Versicherungsverträge?

Kleinlein:

Die Azubis müssen sich für eine gesetzliche Krankenkasse entscheiden. Häufig wählen sie die, in der auch ihre Eltern sind. Die Beiträge sind einheitlich, und auch 95 Prozent der Leistungen sind gleich. Die private Haftpflichtversicherung kann bis zum Ende der Ausbildung meist über die elterliche Police abgedeckt werden. Aber man sollte bei der Versicherung nachfragen, ob das auch wirklich gewährleistet ist. Empfehlenswert ist, sich bereits in jungen Jahren zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung unabhängig beraten zu lassen und sie möglichst auch schon abschließen.

Sollte es für Elementarschäden an Gebäuden eine Pflichtversicherung geben?

Kleinlein:

Wir setzen uns dafür ein. Auch die Erfahrungen der Vergangenheit sprechen dafür. Denn bis Mitte der 1990er-Jahre gab es in Baden-Württemberg eine solche Pflichtversicherung, ebenso wie in der ehemaligen DDR. Die Gefahr von Starkregen und Überschwemmungen hat stark zugenommen, und entgegen der Behauptung der Versicherungswirtschaft haben längst nicht alle Grundeigentümer die Möglichkeit, eine Elementarschadenversicherung zu vertretbaren Prämien abzuschließen. Dabei setzen wir uns für risikoadäquate Beiträge ein. Wer in der Nähe der Elbe wohnt, müsste mehr bezahlen als einer in Billstedt.

Benötigt Hamburg einen eigenen Gebäudeversicherer wie die Feuerkasse?

Kleinlein:

Nein, seit 1994 gibt es ja auch keinen Monopolversicherer mehr. Die Hamburger Feuerkasse gehört mittlerweile zum Konzern der Provinzial Nord in Kiel. Bei den öffentlichen Versicherern wachsen hier also Schleswig-Holstein und Hamburg zusammen. Da bedarf es keines Hamburger Sonderwegs.

Sie sind Kritiker der Versicherer. Gleichzeitig vermittelt Ihr Bund Policen an Mitglieder. Können Sie das vereinbaren?

Kleinlein:

Unsere Arbeit beruht auf drei Säulen: Die Beratung unserer Mitglieder, die Vermittlung bestimmter Sachversicherungen für sie und der politischen Arbeit, um Einfluss auf die Gesetzgebung in Versicherungsfragen zu nehmen. Da für die Vermittlung der Policen an unsere Mitglieder keinerlei Provisionen an den Bund der Versicherten fließen, sehe ich darin kein Problem. Die Produkte haben wir zudem gründlich gecheckt. Unsere Arbeit wird nur über die Mitgliedsbeiträge und einige Spenden finanziert.