Nuss-Snacks, Computer oder Kleider-Verleih. Immer mehr Hamburger Firmen finanzieren sich über Crowdinvesting. Doch die Risiken sind hoch.

Hamburg. Denis Burghardt knabbert gern. Mandeln, Cashewkerne und Macadamianüsse haben es dem 38-Jährigen besonders angetan. Am liebsten frisch geröstet. „Da kann ich nur schwer widerstehen“, gesteht der Chef des Hamburger Snackproduzenten KERNenergie. Vor gut drei Jahren kam Burghardt auf den Gedanken, seine Nussmischungen in trendige Aludosen abzufüllen und als Lifestyleprodukt an große Hotels und Privatleute über den eigenen Onlineshop zu verkaufen. Ein durchaus lohnendes Geschäft: 1,8 Millionen Euro Umsatz erwartet er in diesem Jahr, in vier Jahren sollen es laut Businessplan schon fast neun Millionen Euro sein.

Um das weitere Wachstum zu finanzieren, verfiel Burghardt auf eine ungewöhnliche Idee: Nicht die üblichen Kreditinstitute sollten ihm Mittel für neue Mitarbeiter und die Eröffnung eines Ladengeschäfts zur Verfügung stellen, sondern möglichst viele Kleininvestoren und Nuss-Fans aus dem Internet. Crowdinvesting oder Schwarmfinanzierung nennt sich das: Eine Masse („Crowd“) von Anlegern gewährt einer Firma lauter kleine Darlehen, für die sie im Gegenzug eine Beteiligung am späteren Unternehmenserfolg erhält – wenn er denn eintritt.

„Die klassischen Banken tun sich oft schwer, junge Unternehmen wie uns zu unterstützen“, sagt Burghardt. Über die deutsche Plattform Seedmatch startete der Chef daher Anfang Februar seine alternative Finanzierungsrunde. In zwei Wochen hatte er sein Ziel erreicht, insgesamt kamen 400.000 Euro zusammen. „Das ging deutlich schneller als erwartet“, sagt Burghardt zufrieden.

So wie KERNenergie verschaffen sich immer mehr junge Firmen in Deutschland Geld aus dem Schwarm. Fast 28 Millionen Euro haben Anleger seit Ende 2011 auf diese Weise in mehr als 140 Start-ups gepumpt. In Hamburg wurden allein über die führenden Crowdinvesting-Plattformen Seedmatch, Companisto und Innovestment 14 Firmen unterstützt, wie aus einer aktuellen Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität in München hervorgeht.

Mehr Projekte gab es nur noch in der Gründerhochburg Berlin. Gerade wirbt dort etwa die Firma Bonaverde Geld für den Bau einer Kaffeemaschine ein, die Bohnen nicht nur mahlen, sondern auch rösten kann. Gut 750.000 Euro sind bisher zusammengekommen.

Den Vogel schoss Anfang Juni die Hamburger Computerfirma Protonet ab, die in gerade einmal dreieinhalb Stunden eine Million Euro von Kleinanlegern einsammelte – Geschwindigkeits-Weltrekord. Insgesamt kamen bei der Aktion drei Millionen Euro für eine knallorangefarbene, sechseckige Speicherbox namens Maya zusammen.

Hinter Maya verbirgt sich laut Protonet der „einfachste Server der Welt“, ein Rechner also, auf dem kleine und mittlere Firmen all ihre Geschäftsdaten ablegen, bearbeiten und darauf von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablet-PCs zugreifen können. Eine private Variante der Datenwolke oder Cloud, wie sie auch Google oder Dropbox zur Verfügung stellen.

Der Erfolg von Protonet ist vor allem auf cleveres Marketing zurückzuführen. Die Hamburger inszenierten sich erfolgreich als Vorreiter für mehr Datensicherheit und trafen damit in Zeiten des NSA-Überwachungsskandals und immer neuer Berichte über Hackerangriffe den Nerv vieler Anleger. Manch einer steckte gleich mehrere Tausend Euro in das Unternehmen und sicherte sich auf diese Weise auch eines der ersten Geräte, die im Herbst auf den Markt kommen sollen.

Mittlerweile suchen nicht nur klamme Unternehmensgründer im Internet nach Investoren, sondern sogar millionenschwere Hoteliers. So sammelt gerade der Hamburger Unternehmer und Ex-AOL-Deutschland-Chef Jan Henric Buettner Geld für den Ausbau seines Luxusresorts Weissenhaus an der Ostsee. Fast 2,5 Millionen Euro sind über die Plattform Companisto bislang investiert worden, vier Millionen Euro sollen es werden. Für ihr Engagement verspricht Buettner den Anlegern eine Festverzinsung von vier Prozent pro Jahr plus Umsatzbeteiligung, zudem sollen die Darlehen laut Präsentation über eine private Haftung Buettners und Grundschuldbriefe auf die Immobilie abgesichert sein.

Das erscheint vergleichsweise reell, wenn man sich dagegen die Renditeversprechen anderer Unternehmen beim Crowdinvesting anschaut. Auf der Plattform Seedmatch werden die Anleger in der Regel mit Renditen von mehreren Hundert Prozent gelockt, abhängig vom Umsatz oder Gewinn, den die Firma nach Ablauf der Kündigungsfrist für die gewährten Darlehen erzielt.

Im Fall des Snackproduzenten KERNenergie wird beispielsweise eine Rendite von 180 Prozent versprochen, wenn das Unternehmen im Jahr 2019, dem frühestmöglichen Kündigungstermin, einen Umsatz von 8,7 Millionen Euro erreicht. Sollte das Start-up hingegen bis zu diesem Zeitpunkt – rein hypothetisch – pleite sein, stehen die Anleger vor einem Totalverlust.

Bei der Form der Beteiligung, die Plattformen wie Seedmatch oder Companisto vermitteln, handelt es sich um sogenannte partiarische Nachrangdarlehen. Das bedeutet, dass im Fall einer Insolvenz die Crowd-Investoren erst nach den anderen Gläubigern an ihr Geld kommen. Mitspracherechte bei unternehmerischen Entscheidungen haben sie nicht.

„Die Anleger sollten sich darüber im Klaren sein, dass eine besonders hohe Renditechance immer auch mit einem hohen Verlustrisiko einhergeht“, sagt Crowdinvesting-Experte Lars Hornuf von der Ludwig-Maximilians-Universität. „Klassische Risikokapitalgeber gehen davon aus, dass sich neun von zehn ihrer Investments als Flops herausstellen. Ihr Geld verdienen sie mit dem einen Unternehmen, bei dem sich die ursprüngliche Renditeerwartung als zutreffend erweist.“

Hinzu kommt, dass sich die Finanzierungsplattformen in einem rechtlich nur zum Teil geregelten Bereich bewegen. So gilt etwa die Prospektpflicht im Vermögensanlagengesetz für die angebotenen Darlehen bisher nicht, die Unternehmen müssen also weniger Informationen vorlegen als bei anderen Investmentformen. Dies könnte sich erst durch ein neues Kleinanlegerschutzgesetz ändern, dessen Entwurf die Bundesregierung gerade veröffentlicht hat.

Wie schnell sich ein vielversprechendes Projekt zum Rohrkrepierer entwickeln kann, zeigt das Beispiel des Hamburger Unternehmens Betandsleep. Die Gründer wollten den Markt für Hotelportale revolutionieren. Nicht die Hoteliers sollten auf ihrer Buchungsseite den Preis für eine Übernachtung festlegen, sondern die Gäste. 100.000 Euro sammelten sie für ihre Geschäftsidee auf Seedmatch ein. Im August vergangenen Jahres musste die Firma ihren Betrieb jedoch einstellen, weil eine Anschlussfinanzierung nicht zustande gekommen war. Die Anleger standen mit leeren Händen da.

Ähnlich erging es jüngst den Geldgebern des Münchner Start-ups Tamponsforyou, das werbefinanzierte Tampons kostenlos an potenzielle Kundinnen verteilen wollte. Viele angesprochene Frauen fanden die Idee gut, die Unternehmen, die die Kampagnen finanzieren sollten, hingegen nicht. Nun wird die Firma liquidiert.

Etwas unproblematischer als das Crowdinvesting ist das sogenannte Crowdfunding. Hier locken Firmen und Künstler ihre Unterstützer nicht mit hohen Renditeversprechen, sondern allenfalls mit einem kleinen Dankeschön oder den Produkten, die durch das eingesammelte Geld ermöglicht werden. Die weltweit größte Plattform in diesem Bereich wird von dem US-Unternehmen Kickstarter betrieben. Fast sieben Millionen Menschen haben seit der Gründung vor fünf Jahren bei der Finanzierung von gut 66.000 Projekten geholfen. 1,2 Milliarden Dollar wurden gespendet.

Der US-Musiker Neil Young hat über eine Kickstarter-Kampagne gut sechs Millionen Dollar für den Bau eines Geräts namens Pono eingesammelt, das Musikdateien in besonders guter Qualität abspielen soll und im Herbst auf den Markt kommt. Mehr als zehn Millionen Dollar kamen für die Smartwatch Pebble zusammen, obwohl die Macher eigentlich „nur“ 100.000 Dollar angepeilt hatten. Die intelligente Uhr mit Zusatzfunktionen wie Geschwindigkeitsmessung oder E-Mail-Leser wurde mittlerweile ausgeliefert.

Vor allem für Tüftler und Erfinder ist Kickstarter ein wahres Paradies. Da sucht ein Amerikaner nach Unterstützern für seine besonders „coole“ Kühlbox mit eingebautem Mixer und Lautsprechern. Eine andere Gruppe hat schon mehr als 60.000 Dollar für einen spinnenförmigen Roboter namens Stompy erhalten.

Manch ein Kickstarter-Projekt ist schlicht absurd, wird aber trotzdem finanziert. So möchte ein gewisser Zack „Danger“ Brown einfach nur Kartoffelsalat zubereiten und hat dazu eine nicht ganz ernst gemeinte Kampagne auf der Plattform gestartet. Sein ursprüngliches „Finanzierungsziel“ von zehn Dollar hat der Mann mit unglaublichen 54.000 Dollar längst überschritten.

In Deutschland ist Startnext eine der größten Plattformen für kreative Projekte, über die im Augenblick allein 18 Hamburger nach Investoren suchen. Die einen möchten ein neues Hängesystem für Fahrräder entwickeln, andere planen ein neues Computerspiel oder eine neue CD.

Gut 15.000 Euro für den weiteren Ausbau ihrer Firma Kleiderei haben Pola Fendel und Thekla Wilkening über Startnext zusammenbekommen. Die beiden Studentinnen betreiben im Schanzenviertel einen Laden, in dem sich Kundinnen Kleider wie in einer Bücherei leihen können. Das Konzept gegen das frauenspezifische „Was zieh ich nur an?“-Problem kommt gut an, zeitweise hatten die Gründerinnen sogar einen zweiten Laden in Berlin.

Das Geld aus dem Crowdfunding soll nun in einen Onlineauftritt fließen, über den die Chefinnen ihren Hamburger Fundus in ganz Deutschland zugänglich machen wollen. „Als Studentinnen konnten wir uns nicht groß verschulden, ein normaler Kredit kam daher für die Finanzierung der Website nicht infrage“, erzählt Pola Fendel. „Deshalb haben wir nach Unterstützern im Netz gesucht.“ Summen zwischen zehn und 290 Euro spendeten diverse Fans, als Gegenleistung erhielten sie einen bedruckten Kleidereibeutel, ein Monatsabo oder auch ein VIP-Ticket für die Launchparty der neuen Onlineseite.

Einfach war es allerdings nicht, das angepeilte Finanzierungsziel zu erreichen. Die Plattform Startnext arbeitet wie die meisten anderen nach dem „Alles oder nichts“-Prinzip: Kommt eine zuvor festgelegte Summe nicht zusammen, ist das Projekt als Ganzes gescheitert. „Das war ein regelrechter Krimi, weil uns bis kurz vor Ende des Crowdfundings noch immer mehrere Hundert Euro fehlten“, sagt Pola Fendel. „Noch einmal möchte ich so eine Erfahrung lieber nicht machen. Das halten meine Nerven nicht aus.“