Am Dienstag beginnt vor dem Bundesverwaltungsgericht eines der wichtigsten Verfahren der letzten Jahrzehnte für die Stadt. Die wichtigsten Fragen

Hamburg. Die Schlacht ist geschlagen, aber für Hamburg noch längst nicht gewonnen. Seit der Mitte des vergangenen Jahrzehnts bereiten die Stadt und die Wasserstraßenverwaltung des Bundes die Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne vor, damit immer mehr, immer größere Schiffe Hamburgs Hafen weiterhin nautisch sicher und zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen erreichen können. Fast ebenso lang haben die Umweltschutzverbände BUND und Nabu, unterstützt vom WWF, ihren juristischen Widerstand gegen das Projekt organisiert. Auch andere Beteiligte wie etwa die Jagdverbände in Niedersachsen und Schleswig-Holstein beklagen das Planfeststellungsverfahren. Alle Argument pro und contra Elbvertiefung wurden sortiert und ausgetauscht, in Debatten erläutert, bestritten, bekräftigt. Vom kommenden Dienstag an werden die Streitparteien vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig alle wesentlichen Punkte noch einmal darlegen – damit das höchste deutsche Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Planungen befinden kann. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Großprojekt und zum Widerstand dagegen.

Wozu dient die Elbvertiefung?

Schon nach Beginn der letzten Flussvertiefung Ende der 1990er-Jahre kam Hamburgs damaliger Senat zu dem Schluss, dass diese Maßnahme nicht ausreichen würde, um auf das Größenwachstum bei Frachtschiffen angemessen zu reagieren. Mitte der 2000er-Jahre begannen deshalb die Vorbereitungen für weitere Ausbauschritte. Hamburgs Hafen liegt rund 130 Kilometer von der Elbmündung entfernt. Die Schiffe sind bei der sogenannten Revierfahrt aufgrund ihrer Breite und ihres Tiefgangs mit Engpässen konfrontiert. Heutzutage können Schiffe mit der Flut bei einem Tiefgang von maximal 13,50 Metern aus Hamburg auslaufen, nach der geplanten Vertiefung des Flusses sollen – abhängig von der Tide – ausgehend maximal 14,50 Meter Tiefgang möglich sein. Vor Hamburg soll die Fahrrinne zudem stellenweise von derzeit 300 auf bis zu 385 Meter verbreitert werden. Grund dafür: Zwei Schiffe mit einer Gesamtbreite von 90 und mehr Metern dürfen unter den heutigen Bedingungen vor dem Hamburger Hafen einander nicht passieren, da an den Engstellen sonst gefährliche Sogeffekte entstehen könnten. Das zwingt Reedereien und Terminalbetreiber zu Einbahnverkehren ein- und auslaufender Schiffe, die eine planmäßige Abfertigung der Frachter erschweren. Im Volksmund hat sich „Elbvertiefung“ als Synonym für das Großprojekt etabliert. Die stellenweise Verbreiterung der Fahrrinne ist aber aus Sicht der Hafenwirtschaft und der Schifffahrt mindestens ebenso wichtig.

Warum bekommen Schiffe auf der Elbe Probleme mit Breite und Tiefe?

Allein seit Beginn der Planungen zur neuen Elbvertiefung sind die Schiffsgrößen – vor allem in der Containerschifffahrt – noch einmal rapide gestiegen. Vor zehn Jahren verfügten Standardschiffe für die Linien zwischen Asien und Europa über Kapazitäten von gut 8000 Containereinheiten (TEU) – mittlerweile sind es 14.000 bis 18.000 TEU. Diese Schiffe sind rund 400 Meter lang und 55 bis 60 Meter breit, ihr maximaler Tiefgang beträgt bis zu 16 Meter. Bei einem Tiefgang von 14,50 Metern in Hamburg sind die Schiffe zu maximal zwei Drittel beladen. 2010 kamen rund 100 Schiffe mit mehr als 10.000 TEU Kapazität nach Hamburg, für 2014 erwartet der Hafen rund 450 dieser Großfrachter, mit weiter steigender Tendenz. Auf den für Hamburg besonders wichtigen Asien-Europa-Routen ersetzen die Reedereien kleinere durch immer größere Schiffe, um Größenvorteile zu realisieren, vor allem bei der Einsparung von Brennstoff je Container.

Warum kämpfen Umweltschützer gegen die Erweiterung der Fahrrinne?

Die federführenden und klagenden Verbände BUND und Nabu verweisen darauf, dass die Fahrrinne der Unterelbe für die Handelschifffahrt bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder durch Ausbaggerung erweitert wird. Sie halten die geplanten neuen Maßnahmen aus einer Vielzahl von Gründen für ökologisch nicht verantwortbar und für rechtswidrig mit Blick auf deutsches und europäisches Recht. Die wichtigsten Kritikpunkte sind eine erwartete Zunahme von Hochwasser, stärkere Sturmfluten und höhere Fließgeschwindigkeiten auf dem Fluss, eine zunehmende Versandung und Verschli-ckung entlang der Unterelbe, stärkere Belastungen für Deiche und andere Flussbauwerke, Verschlechterungen der Wasserqualität und deren Folgen für Flora und Fauna an der Elbe.

Welche Alternativen schlagen die Kläger gegen die Elbvertiefung vor?

Die klagenden Verbände bezweifeln, dass überhaupt Bedarf für die vorgesehene Erweiterung der Fahrrinne besteht. In einem früheren Stadium des Planungsverfahrens brachten BUND und Nabu auch alternative Pläne für geringere Vertiefungen der Fahrrinne ins Spiel. Generell fordern die Umweltschützer eine stärkere Kooperation der norddeutschen Seehäfen, vor allem eine engere Einbindung des neuen und einzigen deutschen Tiefwasserhafens Wilhelmshaven in die logistischen Abläufe.

Was hat das Gericht in Leipzig zu tun?

Das höchste deutsche Verwaltungsgericht stoppte auf Antrag der Kläger im Oktober 2012 die Umsetzung der Ausbaupläne kurz nach deren Verabschiedung durch den Bund und die Stadt Hamburg. Die Richter des für den Fall zuständigen 7. Senats mussten Planungsunterlagen von, inklusiver aller Nachträge, insgesamt rund 3000 Seiten Umfang sichten und analysieren.

Wie läuft das Verfahren ab?

Vom 15. bis zum 17. und vom 22. bis zum 24. Juli sind bislang zunächst sechs Verhandlungstage angesetzt, mit einem straffen Zeitplan. Den Vorsitz des fünfköpfigen Gerichts führt Bundesrichter Rüdiger Nolte, die Bericht erstattende Richterin in dem Verfahren ist Kerstin Schipper. Sowohl Nolte als auch Schipper haben sich bereits in dem parallel laufenden Verfahren zur Erweiterung der Außenweser in eine ähnlich komplexe Materie eingearbeitet. Die Streitparteien entsenden ihre Repräsentanten und Anwälte. Für den Hamburger Senat wird am Dienstag Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) in Leipzig sein, die Kläger sind unter anderem vertreten durch Manfred Braasch, den Geschäftsführer des BUND Hamburg. Beklagte und Kläger werden den Richtern Erläuterung zu zahlreichen Details des Planungsverfahrens und zu den flankierenden Gutachten geben. Sollten die sechs Prozesstage ausreichen, ergeht voraussichtlich Ende August ein Urteil. Bestätigt das Gericht das Planungsverfahren, können die Bauarbeiten, deren Aufwand mit rund 20 Monaten taxiert wird, unmittelbar beginnen.

Was steht für Hamburg auf dem Spiel?

Die Größenentwicklung der Containerschifffahrt hat Hamburg in jüngerer Zeit quasi überrollt. Eine Vertiefung und Verbreiterung der Elbfahrrinne würde dem Hafen im Wesentlichen den Anschluss an den technologischen Status quo sichern. Eine komplette Ablehnung des Planungsverfahrens gilt – bei aller Unwägbarkeit des Gerichtsurteils – als höchst unwahrscheinlich. Aber auch Verbote einzelner Maßnahmen oder komplexe Nachbesserungsforderungen des Gerichts könnten die Umsetzung der Elbvertiefung um weitere Jahre verzögern. Aus Sicht der Schifffahrt ist Hamburg schon länger nicht mehr uneingeschränkt erreichbar. Bliebe es einstweilen dabei, wäre dies für Hamburg im Wettbewerb mit den Nordseehäfen – vor allem mit Rotterdam – ein herber Rückschlag. Würde die Fahrrinnenanpassung komplett untersagt, würde Hamburgs Attraktivität für direkte Schiffsverbindungen mit Asien mittelfristig deutlich sinken.