Hamburgs Börsenpräsident Steinberg hält 10.500 Punkte in diesem Jahr für möglich und setzt auf dividendenstarke und exportorientierte Firmen

Hamburg. Seit Jahresbeginn hat der Deutsche Aktienindex (DAX) um fast 500 Punkte zugelegt. Erst vor wenigen Tagen markierte das Börsenbarometer einen Höchststand, am Freitag schloss er bei 10.009 Punkten. Doch unter Experten mehren sich Stimmen, die vor einer heftigen Korrektur warnen. Wie sollten sich Privatanleger jetzt verhalten? Lohnt es sich noch, Aktien zu kaufen? Ein Gespräch mit Friedhelm Steinberg, Präsident der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg.

Hamburger Abendblatt:

Der DAX hat im Juni erstmals die Marke von 10.000 Punkten erklommen, der Dow-Jones-Index überwand in der zurückliegenden Woche die 17.000-Punkte-Linie und erreichte ein neues Allzeithoch. Was treibt die Kurse gegenwärtig derart in die Höhe?

Friedhelm Steinberg:

Es sind zwei Faktoren. Der eine ist, dass die Notenbanken in Europa und in den USA die Märkte überreichlich mit Liquidität fluten. Großanleger schwimmen im Geld – und gleichzeitig fehlt es an attraktiven Alternativen zu den Aktien. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen aus Spanien liegt heute bei weniger als drei Prozent. Noch vor wenigen Jahren brachten sie sechs bis acht Prozent. Das zeigt den Druck, unter dem die professionellen Anleger stehen.

Sind aber Aktien jetzt nicht schon sehr hoch bewertet?

Steinberg:

Da gehen die Meinungen der Analysten auseinander. Es stimmt, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis, mit dem man die Bewertung von Aktien üblicherweise misst, für den DAX inzwischen in etwa im langfristigen Durchschnitt liegt. Vergleicht man aber mit den festverzinslichen Wertpapieren, ist die Bewertung der Aktien keineswegs hoch. Aus meiner Sicht sind Aktien nicht mehr billig. Aber wir werden wegen der Politik der Notenbanken noch für lange Zeit einen reichlichen Liquiditätszufluss und niedrige Zinsen haben. Darum glaube ich, dass sich die Rallye fortsetzt. Noch in diesem Jahr könnte der DAX auf 10.500 Punkte steigen.

Wie groß ist die Gefahr eines schweren Rückschlags an der Börse?

Steinberg:

Das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist dünner geworden. Einen wirklich tiefen Sturz erwarte ich in absehbarer Zeit aber nicht. Wenn es abwärts geht, dann wohl höchstens um einige Hundert Punkte, aber nicht um einige Tausend. Schließlich werden die Kursanstiege untermauert durch die ordentlich laufende Konjunktur. Mir würde es Sorgen machen, wenn auch private Anleger in riesiger Zahl wie bei früheren Haussen auf den Zug aufspringen, aber davon kann nicht die Rede sein. In den USA kann man beobachten, dass sich schon wieder mehr Menschen verschulden, um Aktien zu kaufen. In Deutschland haben wir dieses Phänomen nicht.

Welche Risikofaktoren sehen Sie dennoch für den Aktienmarkt?

Steinberg:

Da sind zunächst die politischen Risiken vor allem in der Ukraine und im arabischen Raum, die bei ungünstiger Entwicklung das Potenzial haben, auch die Wirtschaft spürbar zu schädigen. Ein weiteres Risiko könnte darin liegen, dass die Notenbanken von ihrer lockeren Geldpolitik wieder abrücken. Das ist in Europa nicht in Sicht, in den USA tut die Fed dies sehr maßvoll. Achten muss man auch auf die Entwicklung in der Euro-Zone. Es könnte sich zeigen, dass die Länder der Währungsunion nicht die Kraft für Reformen finden und die Euro-Stabilitätskriterien weiter aufgeweicht werden. Auch einem so einflussreichen Land wie Frankreich geht es ja nicht gut.

Großbritannien ist zwar kein Euro-Land. Ist es nicht dennoch ein Alarmsignal, wenn man in London mit dem Gedanken eines EU-Austritts spielt?

Steinberg:

Ich gehe davon aus, dass sich in Großbritannien die ökonomische Vernunft durchsetzt und es nicht dazu kommt. Die Überlegungen zeigen aber wieder einmal, wie unterschiedlich die Interessen der einzelnen Länder in Europa sind. Die Stimmung im Hinblick auf die Besetzung der Führung in der EU-Kommission ist nicht gut.

Wird es nicht auch immer deutlicher, dass der einheitliche europäische Leitzins ein Problem darstellt?

Steinberg:

Das sehe ich auch so. Er passt nicht für ganz Europa, weil die Staaten wirtschaftlich zu sehr auseinandergedriftet sind. Die südlichen Länder brauchen ein sehr niedriges Zinsniveau, für Deutschland jedoch ist es nicht gut. Schon jetzt kommt es hier zu einer schleichenden Enteignung der Sparer. Und auf lange Sicht bekommen wir durch das anhaltende Niedrigzinsniveau erhebliche Probleme in der Altersvorsorge, weil Lebensversicherer und Pensionskassen immer geringere Renditen erzielen.

Warum halten die deutschen Privatanleger trotzdem praktisch um jeden Preis an sicheren sowie festverzinslichen Sparformen fest?

Steinberg:

Die Risikoscheu ist offenbar tief in den Genen verankert. Dabei würde ich es begrüßen, wenn man sich mehr an Nachbarländern wie der Schweiz oder den Niederlanden orientieren würde, in denen die Aktienkultur erheblich stärker ausgeprägt ist. Hinzu kommt, dass es den Banken in Deutschland durch die Regulierung immer weiter erschwert wird, den Kunden Aktien zu empfehlen. Auf etwas längere Sicht tut sich der Staat damit keinen Gefallen.

Würden Sie Privatanlegern raten, auf diesem Kursniveau Aktien zu kaufen?

Steinberg:

Das hängt immer davon ab, ob ein Anleger finanziell in der Lage ist, mit dem damit verbundenen Risiko umzugehen. Wenn dies gegeben ist, würde ich durchaus empfehlen, in Aktien zu investieren. Man sollte damit aber nicht kurzfristig spekulieren, sondern langfristig anlegen. Denn langfristig werden wir noch deutlich höhere Kurse als die aktuellen sehen. Ein für Privatanleger sehr geeignetes Instrument sind börsengehandelte Fonds (ETF), die niedrige Gebühren haben und mit denen man zum Beispiel direkt an der Entwicklung des DAX teilhaben kann.

Welche Aktien halten Sie für besonders aussichtsreich?

Steinberg:

Aktien deutscher Unternehmen, die einen hohen Exportanteil haben und weltweit tätig sind, bieten eine gute Risikostreuung, weil man so vom Wachstum in verschiedenen Weltregionen profitieren kann. Das gilt etwa für die großen deutschen Chemiefirmen, aber auch für Papiere mancher Konzerne aus dem europäischen Ausland. Es empfiehlt sich, auf die Dividendenrendite zu achten. Nicht wenige Titel bieten drei bis vier Prozent Dividendenrendite, das liegt weit über den Verzinsungen der meisten festverzinslichen Anlagen. Natürlich schwanken die Kurse auch bei soliden Aktien, aber längerfristig wird sich Qualität durchsetzen.

Wie ist das Geschäft an der Börse Hamburg im ersten Halbjahr gelaufen?

Steinberg:

Verhalten. Der Handelsumsatz mit Bundeswertpapieren, der für uns traditionell große Bedeutung hat, ist zurückgegangen. Beim Aktienhandel liegen wir etwa auf Vorjahresniveau. Insgesamt sind wir mit Blick auf das Umfeld und die Wettbewerber aber nicht unzufrieden.

Wie ist die Börse Hamburg denn im Wettbewerb mit anderen deutschen Städten positioniert?

Steinberg:

Gemessen am Umsatz liegen wir mit der BÖAG, der Trägergesellschaft der Börsen Hamburg und Hannover, hinter Frankfurt, Stuttgart und der von Berlin aus betriebenen Börsenplattform Tradegate, die mehrheitlich der Deutschen Börse in Frankfurt gehört, an vierter Stelle. Der Konkurrenzdruck ist enorm, aber unsere Ertragslage ist immer noch vernünftig. Unser Fondssegment entwickelt sich recht gut, und gerade ist außerdem die Testphase für ein weiteres neues Handelssegment angelaufen. Dazu kann ich leider noch nichts Näheres sagen.