Bringdienste werden immer beliebter. Von Pizza über Sushi bis zum Sterne-Menü reicht heute das Angebot

Hamburg. Das waren noch Zeiten. Bodo von Laffert muss schmunzeln, als er sich an die Anfänge seines Lieferservices erinnert. Denn es begann alles recht provisorisch. Mit Taxis, die sein Sushi nach Winterhude oder St. Pauli brachten. Später wurde der erste eigene Lieferwagen angeschafft – doch der ging in Flammen auf, als der junge Fahrer den Tank mit dem Lüftungsschlitz verwechselte. Heute, 15 Jahre später, erlebt die Sushi Factory goldene Zeiten in Sachen Lieferservice. Mit inzwischen zwölf eigenen Autos kurven von Lafferts Mitarbeiter durch die Hansestadt. 3000 Pakete mit Gemüse- und Thunfischrollen, Shake Nigiri oder Sashimi liefern sie im Monat an die Haustüren der Hanseaten. Der Umsatz ist zuletzt Jahr für Jahr um 20 bis 30 Prozent gewachsen. Von Laffert, Inhaber der Sushi Factory und als ehemaliger Unternehmensberater gewohnt zu analysieren, nennt die Gründe des Trends: „Bequemlichkeit, weniger Lust auf Kochen und die Tatsache, dass Liefergerichte heute zum Leben dazugehören.“

Laut Umfragen steht inzwischen bei jedem vierten Deutschen regelmäßig ein Pizzabote vor der Tür. Nicht nur an Fußballabenden wie jetzt zur WM, an denen die Lieferanten sich über Rekordumsätze freuen. Burger per Bote, Pizza per Post, Sushi vom Smarttaxi. Die Lieferboxen ersetzen das, was heute immer knapper wird: freie Zeit und Können in der Küche. „Die Familien haben immer weniger Freiräume“, sagt Ulrike von Albedyll, Geschäftsführerin des Gastronomieverbands Dehoga in Hamburg. Die Entwicklung lasse sich auch im Supermarkt beobachten. Der Anteil der Fertiggerichte nehme ständig zu. Auch bei den etablierten Anbietern wie Joey’s, Burger me oder Asia quick gelte: Das, was man früher selber gemacht hat, lässt man heute kommen.

Die Bereiche Take away und Lieferservice führen die Liste der Gastronomiebereiche mit den größten Wachstumschancen an, bestätigt eine aktuelle Studie. Deutlich zurückgefallen sind dagegen klassische Fast-Food-Anbieter wie Imbisse und Coffeebars. Der Trend zum Liefern wird laut Dehoga auch durch die Steuergesetzgebung befeuert: Die niedrigeren Mehrwertsteuersätze von sieben Prozent beim Essen to go forcierten den Verzehr außerhalb von Gastronomiebetrieben. Für Essen in klassischen Restaurants werden hingegen 19 Prozent Mehrwertsteuer veranschlagt. Die Lieferkosten betragen bei kleineren Anbietern wie der Sushi Factory etwa fünf Euro pro Essen, das entspricht nach Angaben von Laffert den anteiligen Mietkosten für ein Restaurant. Allerdings entdecken die Betriebe das Sparpotenzial von Elektrofahrzeugen, die mit einer Batterieladung günstiger fahren als Benziner.

Der Umweltaspekt der mit Ökostrom klimaneutral fahrenden Wagen dient dabei auch der Kundenbindung. Außerdem wird bei der nachwachsenden Generation das Ökobewusstsein großgeschrieben, und diese Zielgruppe gewinnt in der Branche an Bedeutung. „Die Kunden werden immer jünger“, berichtet Ingo Graetz, Geschäftsführer der Pizzakette Smiley’s. „Ich habe unsere Autos sogar schon vor Schulen parken sehen, die Kinder bestellen sich die Pizzen in der Pause.“

Aber weil nicht jeden Tag italienische Teiglinge auf den Teller kommen sollen, wächst die Vielfalt der Liefergerichte. Zwar gewinnen auch die Klassiker wie Joey’s Pizzaservice nach wie vor mehr und mehr Kunden. Der Marktführer aus Hamburg wächst im Jahr mit sechs Prozent und liefert bundesweit täglich mehr als 45.000 Gerichte aus.

Aber satt werden reicht den Kunden nicht mehr, die Angebote werden immer ungewöhnlicher und exquisiter. „Auch wir passen uns der Nachfrage an und weiten die Angebote ständig aus“, sagt Sushi-Factory-Chef von Laffert. Neben Sushi können die Kunden noch verschiedene Vorspeisen wie Edamame (Sojabohnen) oder Tintenfischsalat wählen. Immerhin 40 Japaner werkeln bei von Laffert in der Küche, entgräten Lachsfilets, formen die Spezialitäten an blank geputzten Stahltischen in mundgerechte Stücke. Packen womöglich noch ein Fläschchen Sake in die Tüte, sorgen mit asiatischer Gründlichkeit für gleichbleibende Qualität. So kommt bei der Sushi Factory ein durchschnittlicher Bestellwert von 35 Euro zusammen. Kein Billigessen.

„Der Trend zu hochwertigem Essen erreicht die Bringdienste“, bestätigt Ulrike von Albedyll. In Hamburg liefern sogar die Gastronomien des Anglo German Clubs oder das Landhaus Scherrer ihre Spezialitäten fertig gekocht nach Hause. Das geeiste Tomatensüppchen oder die geschmorte Kalbsbacke von Sternekoch Heinz O. Wehmann munden auch daheim gut. Zu Weihnachten lässt der Scherrer-Chef auch seine berühmte Vierländer-Gans in Bioqualität mit Beilagen wie Rotkohl und Serviettenknödel auf den gedeckten Tisch bringen. Das Festtagsessen für 159 Euro haben sich im vergangenen Winter 600 Hamburger Familien liefern lassen, sagt Heinz O. Wehmann, das entspreche einem Plus von 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Neben der Feinkost sind die Vitaminlieferanten begehrt: Der Anbieter Mundfein, der mit knackiger Rohkost an seinen Schaufenstern wirbt, bringt den Sportsalat für 7,90 Euro mit Hähnchenbrust und Walnusskernen an die Tür, oder einen vegetarischen Kartoffelgemüseauflauf. Bisher ist die Kette mit sechs Standorten in Hamburg aktiv. Das Unternehmen mit Sitz in Ratingen strebt aber ein weiteres Wachstum an.

Das Versprechen vom Fitmacheressen lösen besonders die asiatischen Küchen ein. Neben den Sushi-Anbietern etablieren sich immer mehr südostasiatische Betriebe, die speziell zur Mittagszeit gefragt sind. In Hamburg konkurrieren Asiahub, Asia Wok, Chinaman oder Mok-Kitchen miteinander. „Gesundes Essen wollen die Leute heute auch am Arbeitsplatz“, sagt Mohammed Sadeghi, der sich mit seinen Asialäden Mok-Kitchen und Momo gezielt in der Nähe von Bürogebäuden und Konzernzentralen angesiedelt hat. Sadeghi, in grüner Firmenkleidung mit Poloshirt und Kappe, steht vor eine Reihe von Woks, in denen seine Köche Auberginen und Zwiebeln anbraten. Es duftet nach Chili und Koriander. „Wir schneiden das Gemüse recht großzügig, so bleibt es auch nach der Lieferung knackig“, sagt der 23-Jährige. Sein neuer Standort in der HafenCity bietet ein Restaurant in der Markthalle plus Lieferservice. Zwar sind die Preise gemäßigt, eine Wan Tan Suppe gibt es für 3,70 Euro, rotes Thaicurry mit Garnelen für 10,90 Euro. Aber die Masse macht’s: Manche Unternehmen bestellten Currys oder Nudeln mit Hähnchen für 300 Euro, sagt Sadeghi, der einer Familie von Gastronomen entstammt.

In diesem Feld etabliert sich auch das Start-up Kulinado aus München. Das Unternehmen liefert zur Mittagszeit Biokost in Betriebe. Die Idee: Viele Restaurants könnten mittags mehr Essen produzieren als Gäste kommen. Kulinado konzentriert sich nun darauf, diese Kapazität für Firmen verfügbar zu machen, die keine Kantine haben und sich dennoch nicht nur auf Currywurst vom Kiosk beschränken wollten.

Für kleinere Anbieter wie Mohammed Sadeghi von Mok-Kitchen entwickelt sich zudem ein neues Marketinginstrument zum wirksamen Kundenmagneten: Lieferando, pizza.de oder Lieferheld, Vermittler im Netz, haben den Anteil der Onlinebestellungen in die Höhe schießen lassen. Wer ein kleines Hungergefühl verspürt und im Internet die Suchbegriffe „asiatisch“ und „Hamburg“ eingibt, stößt zunächst auf die Seiten dieser Vermittler. Auch Restaurants, die bisher den Aufwand des Bestellservices scheuten, drängen mithilfe dieser Internetfirmen in die Branche (siehe Beistück). Allerdings kassieren diese von einer Bestellung im Wert von zehn Euro selber mehr als zwei Euro Provision. Damit geraten sie bei etablierten Anbietern ebenso in die Kritik wie das Übernachtungsportal HRS bei Hoteliers wie Eugen Block, der das Abkassieren der Provision für die bloße Vermittlung von Kunden als „parasitäre Raubritterei“ bezeichnet hat. Mohammed Sadeghi ist hingegen bei allen möglichen Plattformen vertreten: „Wir gewinnen über die Seiten täglich neue Kunden“, sagt der Gastronom. „Ohne diese Präsenz im Netz könnten wir gar nicht so stark wachsen wie bisher.“