Rund 4000 Stück stellt das Familienunternehmen Eggers in Mölln pro Jahr her. Alle Teile fertigen die Mitarbeiter in den eigenen Werkstätten und Nähereien

Noch braucht es Fantasie, um sich das fertige Produkt vorzustellen. Matthias Jänicke steht vor einer Konstruktion aus gebogenen und miteinander verschraubten Hölzern. Der 47-Jährige tackert die Staken genannten Plastikstreben mit Klammern am Rahmen fest. Er nimmt das Flechtband in die rechte Hand, greift mit der linken Hand blitzschnell nach jeder zweiten Stake und schlängelt die Faser um sie herum. „Das ist schon ein Knochenjob“, sagt Jänicke, dem ein Schweißtropfen von der Stirn perlt. Das lange Stehen in leicht gebückter Haltung gehe auf den Rücken. Und wenn er – wie jetzt in der von April bis Juli reichenden Saison – nach rund zehn Stunden Arbeit um 16 Uhr den Hammer fallen lässt, spürt er die Handarbeit. „Die Finger tun mir weh nach dem Job“, sagt er und flechtet weiter. Kurz darauf sind die ersten Reihen fertig. Der Oberkorb wächst. Der auch Haube genannte Teil ist das wohl prägendste Stück eines Strandkorbs.

Rund 4000 Stück des typisch deutschen Sitzmöbels produziert das Möllner Traditionsunternehmen Eggers in diesem Jahr. „Wir sind der einzige große Hersteller, der vom Sägen des ersten Bretts über das Flechten bis zur Endmontage alles in Deutschland macht“, sagt Firmenchef Lars Eggers. Eine gute Handvoll Hersteller gibt es hierzulande, die anderen würden aber zum Beispiel Flechtteile oder Polster in Billiglohnländern produzieren lassen und importieren. Oder sie stellen deutlich geringere Stückzahlen her. Der 42 Jahre alte Lars Eggers leitet seit 2005 zusammen mit Bruder Frank und Vater Peter die Geschicke des Familienbetriebs, der 1772 als Hersteller von Korb- und Flechtwaren in Dömitz/Mecklenburg gegründet wurde, nach der Enteignung 1948 in Mölln neu startete und auch heute in Zeiten der Arbeitsteilung und Spezialisierung noch fünf Gewerke unter einem Dach vereint.

Das Leben eines Strandkorbs beginnt in der Tischlerei, in der das aus Skandinavien und Russland gelieferte Holz bearbeitet wird. Eine computergesteuerte Kappsäge prüft die Qualität, schneidet die Leisten in die benötigten Längen und hält so den Verschnitt gering. In einem Tauchbad erhalten die Leisten anschließend eine Schutzlasur mit Ölanteil, die das Holz witterungsbeständig, schimmelresistent und insektenabweisend macht. Nachdem das Holz vier Stunden getrocknet ist, werden die einzelnen Strandkorbteile wie der Sitzkasten, die Seitenwände und der Oberkorb geschraubt und genagelt. „Die Sichtteile müssen nahezu astrein sein“, sagt Eggers. Für sie werden nur Nordische Kiefern verwendet. Alle Teile, die häufig dem Wasser oder Feuchtigkeit ausgesetzt sind, sind aus Sibirischer Lärche. Für Fußauszüge und Tische wird Birkensperrholz verwendet.

Eine Maschine fertigt gerade die Hauptbügel für den Oberkorb. Sieben Lagen Furniere liegen übereinander, zwischen jeder Schicht ist Zweikomponentenleim und Härter aufgetragen. Mit einem Gewicht von mehreren Tonnen werden die mit Wasser gefüllten Hydraulikzylinder aufeinandergepresst. Für 30 Minuten drückt die Maschine bei 90 Grad Celsius die Schichten zusammen. Später wird die gebogene Platte in mehrere Bügel geschnitten.

In der Schlosserei sind zuvor die Beschläge für die Verstellvorrichtung gefertigt worden. Bandstahl wurde auf Länge geschnitten, Löcher reingedrückt, ein „Auge“ gewellt und in Form gepresst. Um den Beschlag vor Rostbildung durch die salzhaltige Meeresluft zu schützen, wird er anschließend bei einer Fremdfirma in Frankfurt feuerverzinkt. Zurück in Mölln schrauben die Arbeiter die Beschläge an das Holz.

In der benachbarten Flechterei arbeitet Jänicke nun an einem Seitenteil. Dieser Produktionsbereich ist für Lars Eggers das Herzstück der Firma. Vom Tempo der Flechter hängt letztlich die im Jahr gefertigte Stückzahl ab. „Sie arbeiten am Maximum“, sagt Eggers. „Mit der Routine kommt die Geschwindigkeit.“ Jänicke macht den Job seit 1985. Wer schnell arbeitet und mehr Teile produziert, bekommt Lohnzuschläge. Ein guter Arbeiter schafft rein rechnerisch pro Tag zwei Strandkörbe, pro Korb verflechtet er rund 500 Meter der 15 Millimeter breiten und 1,5 Millimeter starken Faser. In der Praxis ist aber jeder auf einige Teile spezialisiert. Der eine flechtet Oberkörbe schnell, der andere Fußteile. In Mölln bringen drei Beschäftigte die Faser an die Holzteile, im Zweitbetrieb in Wittenberge sind es acht weitere. Nach der Wiedervereinigung ließ der Familienbetrieb im 140 Kilometer entfernten Ort in Brandenburg erst im Auftrag fertigen. Als der Standort geschlossen wurde, entschloss sich Peter Eggers, im Gewerbegebiet eine neue Halle zu bauen, die Beschäftigten zu übernehmen und damit Entlastung für Mölln zu schaffen.

Von einem Naturprodukt haben Jänicke und Kollegen vor einigen Jahren Abschied genommen. Sie flechteten traditionell mit Rohrbast oder Peddigrohr – ein mühsames und anstrengendes Unterfangen. Die Pflanzen müssen eingeweicht werden, sind scharfkantig und sorgen für Schnittverletzungen. Und der Besitzer muss den Strandkorb regelmäßig pflegen – sonst vergraut das Material und wird brüchig. „Von der Optik geht nichts über einen Naturkorb“, sagt Eggers. Dennoch werden heute ausschließlich die Kunststoffe Polyvinylchlorid (PVC) und Polyethylen (PE) verwendet. PE habe dabei den Vorteil, Farbschattierungen und Maserungen zu ermöglichen, die der Faser ein naturähnliches Aussehen geben.

Einmal quer über dem Hof sitzt die Näherei. Zwei Frauen schneiden hier die Plastikfolie und die Markisenstoffe zurecht, nähen sie zusammen oder Taschen für Bügel ein, stellen Fuß- oder Nackenrollen her. In der benachbarten Polsterei erfolgt die Endmontage. Die Seitenteile werden mit Folie bespannt, um den Strandkorbnutzer vor Wind zu schützen. Für die Sitzbänke werden entweder Kokosmatten mit Markisenstoff überspannt oder Schaumstoff mit Plastikfolie. Die erste Variante geht an Privatkunden, die zweite an gewerbliche. Drei Viertel seiner Strandkörbe liefert Eggers an Gewerbebetriebe aus. Zwischen 100.000 und 130.000 Korblauben sollen an deutschen Stränden stehen. Wenn Kurverwaltungen oder Strandkorbvermieter Nachschub ordern, erhielte man meist den Zuschlag, sagt Eggers: „Wenn es um die Küste geht, haben wir kaum noch direkte Mitbewerber.“ Den Rest setzt er über Händler ab oder durch den Verkauf ab Werk und per Internet an Privatleute. 660 Euro kostet ein Zweisitzer made in Mölln für den Endverbraucher mindestens. Bis zu 1800 Euro muss zahlen, wer Wert auf Extras wie eine Schutzhülle, Rollen oder einen Rückholmechanismus legt. Dabei unterstützt eine Gasfeder das Verstellen des bis zu 40 Kilogramm schweren Oberkorbes.

Grundsätzlich sei er bestrebt, die Preise für zwei bis drei Jahre stabil zu halten, sagt Eggers. Aber wenn die Materialien teurer würden, käme er um eine Erhöhung nicht herum. „Der Umsatz ist kontinuierlich nach oben gegangen, dieses Jahr wird er bei gut zwei Millionen Euro liegen“, sagt Eggers, der in den vergangen fünf Jahren fünf Mitarbeiter einstellte und nun 29 Personen in Lohn und Brot hat. Zukünftig will das Unternehmen nur noch moderat wachsen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass ab einer Betriebsstärke von 30 Personen der Arbeitgeber im Krankheitsfall die Lohnfortzahlung selbst übernehmen muss. Unterhalb dieser Grenze springt die Ausgleichskasse ein, weil Eggers dafür Versicherungsbeiträge zahlt. Um den Transport zu gewährleisten, müsste zudem ein zweiter Lkw gekauft werden. Eggers will daher zunächst nur 400 Quadratmeter Halle anbauen, um Produktionswege zu verkürzen, das Lager zu vergrößern und nebenbei noch die Heizungsanlage zu modernisieren. Die Gewinne lasse die Familie überwiegend in der Firma. „Wir konnten immer aus eigenem Kapital wachsen und können ruhig schlafen“, sagt Eggers angesichts der Finanzlage.

Eggers größter Strandkorb steht im Hansa-Park in Sierksdorf. Er ist fünf Meter breit, 1,70 Meter tief und 3,70 Meter hoch. Auch Sonderanfertigungen mit batteriebetriebenem Kühlschrank oder Lichtanlage fertigten die Möllner bereits. Diese Prestigeobjekte würden aber viel Arbeitszeit binden und seien nicht so ertragsstark, sagt Eggers. Daher legt der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann mehr Wert auf „normale“ Bestellungen. Die Auswahl an Modellen ist groß. Grundsätzlich kann zwischen Ein-, Zwei-, Zweieinhalb- und Dreisitzer unterschieden werden. Die Modelle sind zwischen 85 und 160 Zentimeter breit. Der Oberkorb kann um 45 oder 90 Grad verstellt werden. Die Seitenteile können eckig (für die Nordsee typisch) oder rund sein (für die Ostsee kennzeichnend). Bei den Fasern kann zwischen 18 Farben gewählt werden, die auch miteinander kombinierbar sind. 48 Designs sind bei den Markisenstoffen im Angebot, bei den Plastikfolien sind es acht Grundfarben. Mehr als 20 Jahre könnten die Körbe alt werden, im gewerblichen Einsatz seien zehn Jahre die Regel. „Unsere Auftragsbücher sind prall gefüllt. Im April hatten wir schon Lieferzeiten von 17 Wochen – das war Rekord“, sagt Eggers. Wer heute bestelle, müsse trotz 5,5-Tage-Woche bis September auf die Lieferung warten. Und damit bis kurz vor den Betriebsferien. Mitte September geht das Unternehmen vier Wochen in die Pause.

Im Herbst läuft die Produktion dann wieder langsam an. Große Veränderungen wird es an dem 80 bis 100 Kilogramm schweren Traditionsmöbel nicht geben. Die letzte größere Verbesserung datiert aus dem Jahr 2010, nachdem die Kunden mehr Platz im Strandkorb gewünscht hatten. Eggers: „Wir haben den Oberkorb ein bisschen größer gemacht – die Menschen werden ja auch immer größer ...“