Bis zu 12.000 Euro müssen Handwerker bezahlen. Dennoch meldet die Kammer in den vergangenen fünf Jahren ein Plus von elf Prozent

Hamburg. Kabel und elektrische Schaltungen haben Jessica Matthees schon als kleines Kind fasziniert. „Als Sechsjährige bin ich immer hinter dem Elektrotechniker hergelaufen, der bei uns im Haus neue Leitungen verlegt hat“, erinnert sich die heute 20-Jährige. Respekt vor Schaltplänen und der komplizierten Technik habe sie eigentlich nie gehabt. „Da bin ich vielleicht etwas anders als andere Frauen.“ Ihre Leidenschaft hat die junge Frau mit dem blonden Pferdeschwanz mittlerweile zum Beruf gemacht. Als Elektrotechnikerin ist sie bei der Hamburger Firma Hartmann beschäftigt, hat auf Baustellen bei Lufthansa Technik gearbeitet, wo in einer Halle eine komplette Büroetage eingebaut werden musste, zusammen mit der notwendigen Verkabelung.

Nun plant Matthees ihren nächsten Karriereschritt. Zusammen mit rund 160 anderen Gesellen aus den unterschiedlichsten Berufen ist sie an einem lauen Frühsommerabend in den Elbcampus in Harburg, das Weiterbildungszentrum des Hamburger Handwerks, gekommen. Den versammelten Friseurinnen, Bäckern, Tischlern und Metallbauern ist eines gemein: Sie alle wollen den Meisterbrief erwerben, das „sicherste Wertpapier, in das Sie investieren können“, wie es in einer Präsentation vollmundig heißt.

Seit einigen Jahren sind solche Infoabende und die anschließenden Meistervorbereitungskurse wieder gut besucht. Zwischen 2009 und 2013 ist die Zahl der neuen Meister um rund elf Prozent auf 528 gestiegen. Für 2014 geht der Geschäftsführer des Elbcampus, Heinrich A. Rabeling, von einer weiterhin „sehr stabilen Nachfrage“ aus. Das war nicht immer so. In den Jahren 2004 und 2005 rauschten die Zahlen mit einem Minus von rund 18 und fast 16 Prozent in die Tiefe. Hintergrund war die Aufhebung des Meisterzwangs in 53 sogenannten „nicht gefahrengeneigten“ Gewerken, also in Berufen wie Fliesenleger oder Goldschmied, in denen eine schlecht ausgeführte Arbeit zwar ärgerlich ist, aber nicht gerade eine Gefahr für die Kundschaft darstellt. In solchen Gewerken ist es seitdem möglich, sich auch ohne Meisterbrief selbstständig zu machen.

„Viele Gesellen, die einen eigenen Betrieb gründen wollten, haben nach der Liberalisierung erst einmal auf die Weiterbildung zum Meister verzichtet“, sagt die Sprecherin der Handwerkskammer, Ute Kretschmann. „Doch nach dem zeitweiligen Rückgang steigt die Nachfrage auch in den nicht gefahrengeneigten Berufen wieder deutlich an, weil der Meisterbrief von vielen Kunden als Qualitätssiegel verstanden wird.“ Darüber hinaus würden in der Fortbildung auch viele betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt, die für eine erfolgreiche Selbstständigkeit von großem Vorteil seien.

Elektrotechnikerin Matthees will sich mit ihrem Meisterbrief zunächst einmal nicht selbstständig machen, sie braucht ihn, um bei der Firma Hartmann weiter aufsteigen zu können. „Ich möchte verstärkt in der Projektleitung arbeiten und eigene Bauvorhaben betreuen“, sagt die 20-Jährige. „Dafür brauche ich diese zusätzliche Qualifikation.“ Darüber hinaus verspreche sie sich von dem Meistertitel selbstverständlich auch eine bessere Bezahlung.

Matthees sitzt jetzt mit gut zwanzig anderen, ausschließlich männlichen Gesellen in einem Klassenraum des Elbcampus und lässt sich von dem Bildungsmanager Peter Wriggers die Details der Weiterbildung erklären. Schnell wird klar: Einfach wird der Weg zur Elektrotechnikmeisterin nicht. Und erst recht nicht billig.

Allein für die fachspezifischen Kurse verlangt der Elbcampus die stolze Summe von 8300 Euro. Rechnet man noch den Pflichtkurs zum technischen Fachwirt (Betriebswirtschaftslehre) und das Training als künftiger Ausbilder, sowie Prüfungsgebühren und Materialkosten hinzu, kommt man auf insgesamt rund 12.000 Euro.

Damit zählt die Meistervorbereitung bei den Elektrotechnikern zu den teuersten Ausbildungen überhaupt im Hamburger Handwerk. Ähnlich teuer sind noch andere technische Meisterkurse etwa für die Feinwerkmechaniker oder Zahntechniker. Bei Bäckern und Konditoren ist die fachspezifische Weiterbildung hingegen schon für knapp 4000 Euro zu haben, die Fachkurse bei den Friseuren sind mit 2650 Euro fast schon ein Schnäppchen. Identisch sind nur die Kosten für die BWL- und die Ausbilderkurse.

Die verschiedenen Preise haben mit den sehr unterschiedlichen Prüfungsanforderungen in den einzelnen Gewerken zu tun. Bei den Elektrotechnikern sind sie aufgrund des raschen Fortschritts und der Komplexität des Berufs besonders hoch. In den Kursen geht es um Automatisierungs-, Antennen-, Regelungs- und Beleuchtungstechnik. Die angehenden Meister müssen sich auch in der Telekommunikation auskennen und die Fachkalkulation mit Excel-Tabellen beherrschen.

In der praktischen Prüfung bekommen die Elektrotechniker dann beispielsweise die Aufgabe, die technische Ausstattung einer Arztpraxis oder eines Sportplatzes zu planen, müssen die Fehler auf einer Platine finden und auch noch gleich eine Kalkulation für die Reparatur erstellen. „Wer das hier als Pipifax auffasst, kommt sicher nicht durch“, mahnt Bildungsmanager Wriggers. „Geschenkt wird Ihnen nichts.“

Um all den Stoff zu vermitteln, sind für Fachtheorie und -praxis rund 1360 Unterrichtsstunden vorgesehen. Es gibt drei Optionen, um die Kurse zu absolvieren, die letztlich darauf hinauslaufen, entweder die Wochenenden, den Feierabend oder den Verdienst eines knappen Jahres für den Meisterbrief zu opfern.

Die Vorstellung, über fast zwei Jahre hinweg an drei Abenden in der Woche von 17.30 bis 20.45 Uhr wieder die Schulbank zu drücken, behagt Jessica Matthees ebenso wenig wie der Plan, immer freitags nach der Arbeit und am Sonnabend das umfangreiche Ausbildungsprogramm zu absolvieren. „Für mich kommt eigentlich nur der Tageskurs infrage“, sagt sie. Also von Dezember an bis Ende September 2015 täglich wieder zwischen 8 und 15 Uhr zur Schule. An Arbeit im Betrieb ist in dieser Zeit natürlich nicht mehr zu denken. Der Verdienstausfall wäre für Jessica Matthees aber zu verkraften, da sie noch bei ihren Eltern auf einem Bauernhof in der Nähe von Neu Wulmsdorf – direkt an der Stadtgrenze zu Hamburg – lebt. „Bei dieser Lösung kann ich mich auch noch gut um meine Pferde kümmern“, sagt sie. Von denen hat sie nicht nur eins, sondern gleich vier. Die Tiere sind die zweite große Leidenschaft der Elektrotechnikerin. Fast jeden Abend reitet sie aus, ein Leben in der Stadt wäre für sie nicht vorstellbar.

Während sich die Meistervorbereitungen bei Matthees noch relativ einfach organisieren lassen, ist die Lage bei vielen älteren Handwerkern mit Familie deutlich komplizierter. So hat etwa der Konditor Peter Haberehn, 35, schon ausführlich mit seiner Frau über die Belastungen diskutiert, die auf das Paar mit zwei kleinen Kindern in den kommenden Jahren zukommen werden. „Ohne die Unterstützung des Partners geht so etwas nicht“, sagt er.

Bei den Bäckern und Konditoren wird die Meistervorbereitung nur als Abendkurs an zwei Tagen in der Woche angeboten. „Das ist mit der Arbeit im Betrieb kaum zu vereinbaren, da muss ich eine besondere Regelung finden“, sagt Haberehn. Der Konditor hat noch ein weiteres Problem: Er wohnt und arbeitet in Cuxhaven, muss aber für die Kurse immer nach Hamburg pendeln. „Bei uns vor Ort gibt es keine solchen Kurse. Ich hätte sonst nur noch nach Hannover gehen können, aber das ist noch weiter.“

Die Kosten für die Meisterausbildung sind bei den Konditoren zwar niedriger als bei den Elektrotechnikern, für Haberehn geht es aber trotzdem um eine erhebliche Summe. Er hofft auf Förderung durch das sogenannte Meister-BAföG, das Bund und Ländern gemeinsam zur Verfügung stellen. In der Regel übernimmt der Staat ein Drittel der Kosten, für den Rest kann ein zinsgünstiges Darlehen in Anspruch genommen werden.

Ein Teil der Ausbildungskosten wird zudem nach bestandener Prüfung erlassen. Wer nach dem Meisterbrief zudem noch den Schritt in die Selbstständigkeit wagt, erhält eine weitere Förderung abhängig von den neu geschaffenen Arbeitsplätzen.

Auch Jessica Matthees will die Hilfe des Meister-BAföGs in Anspruch nehmen. Nach dem Infoabend ist sich die 20-Jährige ziemlich sicher, dass sie mit der Weiterbildung im Dezember starten wird. „Das muss ich aber abschließend noch mit meinem Chef und meinen Eltern besprechen“, sagt sie.