AGA-Präsident Hans Fabian Kruse fordert Projektgesellschaft, die bundesweit alle Verkehrsvorhaben plant und steuert

Hamburg. Der Groß- und Außenhandel ist von den Verkehrsproblemen in und um Hamburg besonders betroffen. Pünktliche Auslieferungen werden aufgrund langer Staus immer schwieriger. Dennoch bewertet die Branche ihre Lage optimistisch. Über den Ausbau der Infrastruktur, den Hafen, das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP und den Fachkräftemangel sprach das Abendblatt mit dem Präsidenten des norddeutschen Unternehmensverbands AGA, Hans Fabian Kruse, 54.

Hamburger Abendblatt:

Ihr Büro liegt direkt an der Großbaustelle am Gänsemarkt. Mit welchem Verkehrsmittel kommen Sie derzeit zur Arbeit?

Hans Fabian Kruse:

Da ich gerne Auto fahre, nutze ich oft meinen Wagen. Manchmal fahre ich von meiner Eppendorfer Wohnung auch mit dem StadtRad. In der Innenstadt nutze ich aber fast nur das Rad, wenn es nicht gerade in Strömen regnet. Dies geht am schnellsten. Zu Fuß brauche ich von meinem Büro zum AGA 17 Minuten, mit dem Rad nur fünf Minuten.

Hamburg steckt derzeit oft vielerorts im Stau. Nun kommt die langjährige Baustelle auf der A7 dazu. Was bedeutet dies für den Groß- und Außenhandel?

Kruse:

Jeder Dienstleister mit einem Außendienst leidet unter der Situation. Pünktliche Auslieferungen sind kaum mehr möglich, da man oft mindestens eine Stunde länger vor dem Elbtunnel steht oder mittlerweile vier Stunden bis nach Hannover oder Flensburg braucht.

Ist Just-in-time noch möglich?

Kruse:

Just-in-time ist nur noch möglich, wenn man sehr großzügige Zeitpuffer einplant. Damit büßen die Unternehmen aber an Effizienz ein. In Norddeutschland wurde in den vergangenen Jahren einfach viel zu wenig Geld in die Verkehrswege investiert. Jetzt stehen wir vor zwei Problemen: Wir müssen die Infrastruktur erneuern und zudem neue Verkehrswege ausbauen. Denn die Verkehrsströme in und durch Norddeutschland werden in Zukunft weiter stark zunehmen – insbesondere, wenn die Fehmarnbeltquerung steht.

Was muss getan werden?

Kruse:

Wir brauchen in Deutschland einen nationalen Konsens zum Thema Verkehrsinfrastruktur. Es müssen klare und objektive Regeln festgelegt werden, welche Verkehrsprojekte bundesweit notwendig sind und wie sie finanziert und schnell umgesetzt werden können. Dazu könnte man eine eigene Gesellschaft gründen – zum Beispiel nach dem Vorbild Österreichs, das seine Autobahnen zentral von der staatseigenen Gesellschaft Asfinag planen und umsetzen lässt. Dort klappt das hervorragend. Hierzulande haben wir dagegen immer den Eindruck, dass mehr Geld für eine Ortsumgehung in Bayern ausgegeben wird als für die Lösung der Verkehrsprobleme im Hamburger Hafen.

Was braucht Norddeutschland?

Kruse:

Wir brauchen in Norddeutschland angesichts des zunehmenden Verkehrs den Ausbau der A20 mit einer Elbquerung westlich von Hamburg sowie angesichts der Fehmarnbeltquerung eine Entlastung östlich von Hamburg. Letzteres heißt konkret die Verlängerung der A21, der alten B404, die bei Geesthacht über die Elbe führt. Bautechnisch wäre dies die einfachste und schnellste Lösung, da nur 50 Kilometer nach Lüneburg ausgebaut werden müssten. Wir brauchen zudem die Hafenquerspange, den Ausbau des Ring 3 sowie Instandhaltung, Ausbau und Deckelung der A7.

Viele Bürger sind von den Staus in der Stadt genervt. Müssten die Baustellen nicht besser koordiniert werden?

Kruse:

Das Meckern kann ich verstehen, doch ich befürchte: Da müssen wir durch. Wir haben einen großen Nachholbedarf. Und wenn wir jetzt über Staus jammern, dann schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Keine Verbesserung der Infrastruktur geht ohne vorübergehende Behinderungen. Aber mit Sicherheit kann das Baustellenmanagement noch verbessert werden. So sollten für Pendler die Bus- und Bahnfrequenzen erhöht und attraktiver werden, damit sie schneller zur Arbeit kommen.

Wie sieht es mit den Wasserwegen aus?

Kruse:

Die Fahrrinnenanpassung der Elbe ist entscheidend für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Wir brauchen nicht nur eine Vertiefung, sondern vor allem mehr Begegnungsboxen, damit die größer werdenden Schiffe aneinander vorbeifahren können. Wenn Hamburg in den nächsten zehn Jahren weiter im Überseegeschäft in der Nordrange mitspielen will, brauchen wir die Fahrrinnenanpassung. Sonst taugen wir bald nur noch zum Regionalhafen. Wir hoffen deshalb, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Juli eine richtige Entscheidung fällt.

Fürchten Sie, dass der internationale Verkehr in zehn Jahren nach Wilhelmshaven abwandert?

Kruse:

Nein, nicht nach Wilhelmshaven, sondern nach Rotterdam. Die Umschlagkapazitäten in der Nordrange – zwischen Le Havre und Hamburg – werden sich zwischen 2012 und 2016 verdoppelt haben, während die Verkehre nur um drei Prozent zunehmen. Allein Rotterdam hat heute doppelt so viele Umschlagkapazitäten wie vor drei Jahren. Der internationale Containerverkehr könnte somit komplett über Rotterdam abgewickelt werden. Und von dort gäbe es nur noch Feederverkehre – auch nach Hamburg. Aber warum sollten wir uns dauerhaft mit einem Umschlag von nur fünf bis sieben Millionen Containern im Feederverkehr begnügen, wenn wir auch bis zu 15 Millionen TEU zusammen mit dem internationalen Verkehr erreichen könnten?

Die Bund-Länder-Kommission schätzt den Ausbaubedarf der Verkehrswege auf 7,2 Milliarden Euro jährlich zusätzlich. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig forderte deshalb eine Sonderabgabe pro Auto von 100 Euro. Haben Sie eine Idee zur Finanzierung?

Kruse:

Bislang nimmt der Staat rund 50 Milliarden Euro aus Steuern aus dem Verkehr – von Benzin- , Öko- bis Kfz-Steuern – ein. Davon werden heute aber nur weniger als zehn Milliarden für die Verkehrsinfrastruktur ausgegeben. Der Rest fließt in die Finanzierung des allgemeinen Haushalts. Das ist die Realität. Doch wir brauchen mehr Geld für die Verkehrswege. Deshalb plädiere ich für die Einführung einer Vignette, wie sie in der Schweiz üblich ist. Jedes Auto, das in Deutschland fährt, wird einmalig pro Jahr mit 100 Euro belastet. Dies wäre einfach und am kosteneffizientesten umzusetzen. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Einnahmen tatsächlich in einen Sonderfonds für Verkehrswege einfließen und ausschließlich für die Infrastruktur verwendet werden. Zum Ausgleich könnte der Steuergrundfreibetrag angehoben werden, um Niedrigverdiener nicht zu stark zu belasten.

Sollen auch Ausländer diese Vignette bezahlen?

Kruse:

Selbstverständlich. Die Vignetten-Pflicht gilt dann für alle Autos, die auf deutschen Straßen fahren.

Welchen Betrag versprechen Sie sich durch diese Abgabe?

Kruse:

In Deutschland gibt es rund 50 Millionen Autos – das wären schon mal fünf Milliarden Euro. Wichtig ist, dass der bereits vorhandene Verkehrsetat nicht gesenkt wird.

Deutschlands Wirtschaft befindet sich im Aufschwung. Wie ist die Stimmung im norddeutschen Groß- und Außenhandel?

Kruse:

Die Lage in den Firmen ist gut, insbesondere in Hamburg. Nach unserer jüngsten Umfrage schätzen die Unternehmen ihre Lage deutlich positiver ein als noch im vergangenen Quartal. Die Umsätze legten seit Jahresbeginn um 3,5 Prozent zu. 27,3 Prozent bewerten ihre Gewinnsituation als positiv und nur 11,7 Prozent als negativ – das ist der beste Wert seit dem dritten Quartal 2011. In Hamburg erwarten sogar zwei Drittel der befragten Firmen steigende Umsätze. Besonders gut lief es angesichts des milden Winters im Baustoffhandel. In diesem Jahr wollen die Firmen in Norddeutschland rund 2000 Arbeitsplätze schaffen, davon in Hamburg rund 600.

Haben Sie derzeit Probleme, Fachkräfte zu finden?

Kruse:

Jedes dritte Unternehmen sucht Personal. Die Firmen brauchen derzeit im Schnitt elf Wochen, um eine Stelle neu zu besetzen. Vor ein paar Jahren waren es nur sechs Wochen. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, versuchen wir Mitarbeiter länger – auch über das 65. Lebensjahr hinaus – zu beschäftigen. Darüber hinaus werden mehr Frauen durch flexible Arbeitszeitmodelle eingebunden. Darüber hinaus beschäftigt der Außenhandel auch viele Südeuropäer.

Inwieweit sorgt Ihre Branche für Nachwuchskräfte? Finden Sie noch genug Auszubildende?

Kruse:

Der Groß- und Außenhandel ist für junge Leute sehr attraktiv. Zuletzt hatten wir rund 1800 Azubi-Plätze allein bei den Kaufleuten im Groß- und Außenhandel in Hamburg. Allerdings blieben etwa 20 Prozent unbesetzt. In der Regel werden alle Azubis übernommen. Nur größere Unternehmen, die über ihren Bedarf ausbilden, weichen davon ab.

Europa und die USA planen ein neues transatlantisches Handelsabkommen TTIP. Welche Vorteile bringt dieses?

Kruse:

Ein Großteil unseres Wohlstandes in Hamburg basiert auf dem Freihandel. Wir alle profitieren von jeder weiteren Erleichterung, erst recht, wenn die beiden größten Wirtschaftsblöcke zusammengehen, die mehr als 50 Prozent des Welthandels untereinander abwickeln. Das TTIP-Abkommen würde die Preise senken und uns mehr Geschäfte bringen. Geschätzt könnten bis zu 520.000 neue Arbeitsplätze entstehen und Europa zusätzliche Gewinne von 119 Milliarden Euro bringen.

Die Kritik an TTIP ist dennoch groß. Befürchtet wird, dass Chlorhähnchen und genveränderte Lebensmittel aus den USA an den europäischen Markt kommen.

Kruse:

Leider wurde TTIP zu früh politisiert und dämonisiert. Ich bin fest überzeugt: Europa wird nicht von seinen Standards im Arbeits-, Umwelt- und Lebensmittelrecht abrücken. Wir sollten unseren Unterhändlern vertrauen. In diesem Zusammenhang empfehle ich auch allen, zur Europawahl zu gehen. Zwei Drittel aller Gesetze, die für Deutschland relevant sind, werden heute in Brüssel gemacht und müssen durchs Europaparlament, das eine immer mächtigere Stellung einnimmt. Wir alle sind Europa und sollten es demokratisch mitgestalten.

Herr Kruse, Sie sind ja auch noch Honorarkonsul von Österreich. Freuen Sie sich, dass Tom Neuwirth – alias Conchita Wurst – den Eurovision Song Contest gewonnen hat?

Kruse:

Es zeigt die Vielseitigkeit Österreichs. Österreich ist eben auch ein modernes Industrieland. Wir sind stolz auf Dirndl und Apfelstrudel, aber wir haben auch ein modernes Gesicht. Dass Conchita Wurst so einen großen Erfolg hatte, war vielleicht auch ein kleines Signal von Europa an Russland ...