Hamburg wird zu einer Drehscheibe des beliebten Verkehrsmittels. Bis zu 70 Prozent des Fahrpreises lassen sich im Vergleich zur Bahn sparen

Hamburg. Morgens um 8 Uhr herrscht Hochbetrieb. In allen 16 Haltebuchten des ZOB stehen Busse. Reisende verstauen ihre Koffer und Taschen in den Laderäumen, steigen ein, machen es sich in den Sitzen bequem. Junge, Ältere, Familien, Singles. Gut 20 Omnibusse starten in der nächsten Stunde Richtung Berlin, Köln, Dresden, Kiel, Kopenhagen – und immer wieder nach Berlin. Fragt man Reisende, warum sie mit dem Bus in die Hauptstadt fahren, fällt die Antwort immer gleich aus: „Weil es am günstigsten ist. Billiger als mit der Bahn oder dem Auto.“

Dirk Morgenstern, 45, der regelmäßig zwischen Berlin und Hamburg zu seiner Freundin pendelt, hat für sein Hin- und Rückfahrtticket an diesem Tag nur 22 Euro bezahlt. „Mit der Bahn hätte mich die einfache Fahrt mit dem Regionalzug 26 Euro gekostet, mit dem ICE sogar 78 Euro.“ Die Hamburger Abiturientin Maria Paulsen, 19, hat ihr One-Way-Ticket für elf Euro ergattert: „Gerne wäre ich auch mit der Bahn gefahren, doch das ist mir zu teuer.“

Der Fahrpreis ist offenbar der Hauptgrund, dass der Omnibus in Deutschland eine große Renaissance erlebt. In der Spitze kann eine Busfahrt bis zu 70 Prozent billiger sein als ein Bahnticket. Allerdings ist ein präziser Preisvergleich schwierig. Denn wie bei Flügen oder Zugreisen ist auch beim Busfahren das Buchungsdatum für den Preis entscheidend. Wer früh bucht, fährt billiger. Fakt ist: Seit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs im Jahr 2013 hat sich die Zahl der Verbindungen bis heute auf 247 fast verdreifacht, vor der Liberalisierung gab es nur 86 Linien. Weitere 35 Anträge liegen dem Bundesverkehrsministerium aktuell zur Prüfung vor.

Und Hamburg nimmt dabei eine wichtige Rolle ein. Viele der bundesweit rund 15 Anbieter nutzen die Hansestadt als Drehkreuz für den Norden und bescheren damit auch dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) einen kräftigen Aufschwung. Ganz zur Freude des Geschäftsführers des ZOB Bus-Port Hamburg, Wolfgang Marahrens. „Wir profitieren stark von der wachsenden Nachfrage.“ 2013, also im ersten Jahr der Liberalisierung, hat sich die Zahl der Busabfahrten vom ZOB Hamburg um rund 10.000 – und damit um gut ein Drittel – auf 38.380 Abfahrten erhöht. Angesichts des weitersteigenden Angebots erwartet der ZOB-Chef für dieses Jahr noch eine erneute Steigerung auf mindestens 45.000 bis 52.000 Abfahrten. Und dies scheint nicht unrealistisch. Bereits in den ersten drei Monaten wurden ab Hamburg 10.597 Abfahrten registriert, das waren gut dreimal so viele wie im Vorjahresquartal. Geschätzt gab es 2013 in Hamburg rund drei Millionen Fahrgäste.

„In Hamburg haben wir derzeit jede Woche rund 1100 Abfahrten“, berichtet Marahrens. Ziele in alle Himmelsrichtungen stehen auf dem Fahrplan – nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch Fahrten ins europäische Ausland wie nach Polen, Rumänien oder Frankreich sowie Ausflugsfahrten von Reiseveranstaltern, sogenannte Gelegenheitsverkehre. Allein 34 Linienbusfahrten gehen täglich nach Berlin – die beliebteste Verbindung von Hamburg aus. Trotzdem droht dem ZOB keine Überlastung, versichert der ZOB-Chef. Zwar sind in den Spitzenzeiten zwischen 8 und 9 Uhr morgens sowie abends zwischen 19 und 20 Uhr oftmals alle 16 Abfahrtsstellen – die sogenannten „Taschen“ – mit abfahrbereiten Bussen belegt. Doch in den übrigen Zeiten gibt es noch viel Platz für neue Verbindungen. Nachts zwischen 23 Uhr und 5 Uhr in der Frühe herrscht schlichtweg „tote Hose“, da gibt es überhaupt keine Abfahrten. „Wir haben also noch Kapazitäten.“

„Erst ab 70.000 Abfahrten im Jahr könnte es kritisch werden“, schätzt Marahrens. „Doch davon sind wir noch deutlich entfernt.“ Spielraum für neue Abfahrten gebe es schon, wenn nicht jedes Busunternehmen zur vollen oder halben Stunde starten würde, sondern auch zu ungeraden Zeiten, meint Marahrens: „Auch am Flughafen können nicht alle Flugzeuge gleichzeitig um Punkt 8, 9 oder 10 Uhr abheben.“

Für den Busbahnhof selbst ist der Boom der Fernbuslinien ein Gewinntreiber. Die ZOB Hamburg GmbH ist ein teilstädtisches Unternehmen, das zu 70 Prozent der Hamburger Hochbahn gehört. „Unser Busbahnhof wird wie ein Flughafen betrieben“, erläutert Marahrens. „Wir stellen den Betreibern und Kunden die Infrastruktur zur Verfügung.“ Die Busunternehmen bezahlen für jede Abfahrt inklusive etwa 30 Minuten Standzeit eine Gebühr. Die Höhe der Kosten richtet sich nach der Anzahl der Abfahrten, wobei Großkunden günstigere Preise erhalten. Im Schnitt werden etwa drei Euro pro Abfahrt und Bus fällig. 2013 konnte der ZOB dadurch sowie durch Mieten von Händlern und Pkw-Parkgebühren einen Umsatz von 1,3 Millionen Euro erzielen. „Der Gewinn konnte 2013 auf 119.000 Euro mehr als verdoppelt werden“, sagt der ZOB-Chef. Auch in den Vorjahren erzielte der ZOB schwarze Zahlen, wobei der Gewinn zwischen 30.000 und 40.000 Euro gelegen habe.

Insgesamt ist Hamburg mit seinem Busbahnhof vorbildlich aufgestellt, meint Marahrens. „Mit Ausnahme von Berlin und Mannheim müssen die meisten Städte erst noch eine ähnliche Busbahnhof-Infrastruktur schaffen“, sagt der erfahrene Verkehrsexperte, der seit 36 Jahren bei der Hochbahn beschäftigt ist. Der 63-Jährige sitzt in zahlreichen Verkehrsausschüssen und berät andere Städte bei der Planung neuer Omnibusbahnhöfe. „Derzeit kommen Experten aus vielen Städten Deutschlands an die Elbe, um sich unseren ZOB als Vorbild anzuschauen.“ Allerdings könne der Hamburger ZOB, der rund 17 Millionen Euro kostete, nicht eins zu eins auf andere Städte übertragen werden. Entscheidend sei, dass die Busbahnhöfe schnell mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein müssen. Dies könne in einer Stadt wie Stuttgart am Flughafen sein oder in Hannover an der Messe. „Unser Standort in Hamburg nahe dem Hauptbahnhof ist ideal“, so der ZOB-Chef, „da er mit Zug, S-Bahn und Bus gut angesteuert werden kann.“ Selbst die bevorstehenden mehrjährigen Bauarbeiten an der A7 dürften den Busverkehr nicht übermäßig beeinträchtigen, da die Busse in der Regel über die Elbbrücken auf die A7 Richtung Süden fahren.

Der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) erwartet für Fernbusse in Deutschland weiteres Wachstum, so der Sprecher Matthias Schröter. Der Umsatz im Fernbuslinienverkehr könnte nach einer Studie der TU Dresden innerhalb der nächsten fünf Jahre auf bis zu 1,13 Milliarden Euro Umsatz steigen. Insgesamt konkurrieren derzeit rund 15 Anbieter am Markt, die 2013 geschätzt rund neun Millionen Kunden beförderten. Etwa zwei Drittel sind Reisende im Alter zwischen 18 und 34 Jahren, die Freunde oder ihre Familie besuchen.

Dabei konnte eines der jüngsten Unternehmen bereits zum Marktführer aufsteigen: MeinFernbus hat in kurzer Zeit das größte Streckennetz von Kiel bis nach Garmisch-Partenkirchen ausgebaut. Sein Marktanteil gemessen an den Fahrplankilometern liegt laut IGES-Studie bei 38,6 Prozent. Allein über Hamburg fahren 58 Linien von MeinFernbus. „Und wir werden dieses Angebot noch in diesem Jahr deutlich ausweiten“, sagt der stellvertretende Pressesprecher Florian Rabe. Ab Ende Mai gehe es fünfmal täglich nach Dresden. „Wir wollen nicht nur die großen Städte verbinden, sondern auch kleinere Orte und touristische Ziele anbinden.“ Denn für Städteverbindungen, die mit der Bahn nur durch mehrmaliges Umsteigen erreichbar sind, sieht das Unternehmen einen großen Bedarf. Zudem soll das Nachtstreckennetz ausgebaut werden. Große Anbieter im Markt sind zudem die Deutsche Bahn (Berlinlinienbus, IC-Bus) mit 18,9 Prozent Marktanteil, Flixbus (15,1 Prozent) und der ADAC Postbus (10,3 Prozent).

In der Regel haben die Fernbusanbieter keinen eigenen Fuhrpark, sondern arbeiten mit mittelständischen Busunternehmern zusammen. Diese stellen Bus und Fahrer. „Für uns ist ein ganz neuer Arbeitsmarkt mit vielen neuen Jobangeboten entstanden“, berichtet Hartmut Neumann, 47, der als Busfahrer für das Bergedorfer Busunternehmen Elite Traffic im Auftrag von Flixbus fährt. Auch der Busfahrer Peter Reppenhagen freut sich über die neuen Jobmöglichkeiten. Manche Unternehmen haben bereits Probleme, Personal zu bekommen.

Nicht auszuschließen ist allerdings, dass eine Konsolidierung des Marktes folgt, unattraktive Linien eingestellt oder auch Betriebe zusammengelegt werden. Erst vor Kurzem tauchten Gerüchte auf, wonach der ADAC aus dem mit der Post gegründeten Unternehmen ADAC Postbus wieder aussteigen möchte, das derzeit mit 60 Bussen 30 Städte in Deutschland verbindet – darunter Hamburg. „Wir erwarten wie im Flugverkehr eine Oligopolisierung im Fernbusmarkt“, prognostiziert der Hamburger ZOB-Chef. „Der Markt wird wahrscheinlich schon 2015 nicht mehr so rasant wachsen, sondern nur die Marktanteile werden durch Fusionen neu verteilt.“