Große Nachfrage in Hamburg. Aber noch mehr als 500 freie Ausbildungsplätze. Einige Betriebe beklagen Zuverlässigkeit und Motivation der Jugend

Hamburg. Ohne Praktikum gibt es beim Hamburger Malermeister Peter Goehle keinen Ausbildungsplatz. Nikolay Shekhovtsov musste sich vier Wochen bewähren, dann hatte der 20-Jährige die Lehrstelle als Maler und Lackierer im Meisterbetrieb Decorum Malerei & mehr. „Er hat sich vom ersten Tag an gut bewährt. Wir schauen mehr auf den Eindruck und die praktischen Fertigkeiten als auf das Zeugnis“, sagt Goehle, der in seinem Handwerksbetrieb mit 16 Beschäftigten ständig zwei Auszubildende hat. Nikolay ist im ersten Lehrjahr. In der Branche ist es schwierig, an Nachwuchs zu kommen, aber Goehle pflegt den Kontakt zu Schulen. Mal berichtet ein Lehrling in einer Schulklasse von seiner Ausbildung, mal kommt eine ganze Klasse in den Betrieb. Goehle kümmert sich.

Gleichzeitig wächst auch das Interesse an einer Ausbildung im Handwerk wieder. Bisher wurden deutlich mehr Ausbildungsverträge als im Vorjahreszeitraum geschlossen, berichtet die Handwerkskammer. Per Ende April registrierte die Kammer 658 Lehrverträge. Das sind 33 Prozent mehr als bis Ende April 2013. „Unsere Bemühungen für die Nachwuchsgewinnung zahlen sich allmählich aus“, sagt Oliver Thieß, Leiter Bildungspolitik der Handwerkskammer.

Dazu rechnet er die bundesweite Imagekampagne des Handwerks, die individuelle Beratung an Schulen, die Präsenz auf Ausbildungsbörsen und neue Formen wie das Azubi-Speeddating in der Kammer am vergangenen Freitag: 22 Betriebe vom Bodenleger über den Fleischer und Bäcker bis zum Straßenbauer stellten sich mit 300 Lehrstellen in 34 Berufen vor. Die Jugendlichen können sich in sieben Minuten bei den Unternehmen vorstellen und so innerhalb kurzer Zeit viele Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernen, kein verkrampftes Vorstellungsgespräch mehr und auch die Bewerbungsmappe spielt zunächst keine Rolle. „Das kommt den Jugendlichen entgegen“, sagt Thieß.

Nach einem schwachen Jahr 2013 rechnet die Handwerkskammer wieder mit deutlich mehr Ausbildungsverträgen. „Aber das Plus von 33 Prozent kann man nicht auf das Gesamtjahr hochrechnen“, sagt Thieß. Es zeige vor allem, dass sich die Bewerber wieder früher für einen Lehrvertrag entscheiden. Insgesamt rechnet die Handwerkskammer in diesem Jahr mit 2500 Ausbildungsverträgen. Das wäre gegenüber dem Vorjahr ein Plus von zehn Prozent. Die Perspektiven im Handwerk sind gut. Hamburgs Handwerker sind so optimistisch wie lange nicht mehr. Jede fünfte Firma stellte in den vergangenen sechs Monaten weitere Fachkräfte ein. „Als guter Facharbeiter wird man im Handwerk nicht mehr arbeitslos“, sagt Goehle.

In Hamburg können die Schulabgänger unter rund 80 Ausbildungsberufen im Handwerk wählen. Mehr als 500 freie Ausbildungsplätze sind noch verfügbar, darunter auch in sehr gefragten Berufen wie Kraftfahrzeugmechatroniker oder Elektroniker für Energie und Gebäudetechnik.

Die Firma Leserberg Automobile hat für fünf Lehrstellen des Kraftfahrzeugmechatronikers mit Schwerpunkt Pkw rund 100 Bewerbungen bekommen. Dennoch war bei dem autorisierten Servicepartner für Mercedes-Benz, Smart und VW Anfang Mai noch ein Ausbildungsplatz frei. „Den werden wir wirklich nur vergeben, wenn alle Voraussetzungen stimmen“, sagt Christian Bremert von Leseberg Automobile. „Unser Ziel haben wir eigentlich schon erreicht.“

Rund jeder vierte Bewerber wurde zu einem Einstellungstest eingeladen. Auch ein einwöchiges Praktikum gehört dazu, bevor sich das Unternehmen entscheidet. Was Bremert bei der Prüfung der Kandidaten dabei die meiste Sorge bereitete, sind Motivation und Ehrgeiz. „Oft hatten wir den Eindruck, dass sich die Bewerber nicht gründlich genug mit dem künftigen Beruf auseinandergesetzt haben, die Auswahl mehr ein Zufall war.“

Ähnliche Erfahrungen hat Wolfgang Reichel, Geschäftsführer bei Optiker Kelb gemacht. Vier Lehrlinge werden hier zum Augenoptiker ausgebildet. Bewerber findet das Unternehmen noch genügend. „Doch den Jugendlichen fehlt es mitunter an Verantwortungsbewusstsein und Ehrgeiz, um den Beruf zu erlernen“, sagt er. Er vermutet, dass sie von Schule und Elternhaus zu wenig auf die Veränderungen im neuen Lebensabschnitt vorbereitet werden.

„In einer Metropolregion wie Hamburg sind die Voraussetzungen bei den Schulabgängern sicher nicht so homogen wie etwa auf dem Land in Baden-Württemberg“, sagt Thieß. Aber die Ausbildungsbetriebe stellten sich zunehmend darauf ein und geben Bewerbern auch eine Chance, wenn am Anfang nicht gleich alles klappt. Die Handwerksbetriebe legen sehr viel Wert auf Sekundärtugenden wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und gepflegtes Auftreten bei den Kunden. Bei diesen Punkten gibt es viele Defizite. „Doch es ist auch Aufgabe der Ausbilder, hier den Jugendlichen auf die Sprünge zu helfen“, sagt Goehle. „Wenn man die praktische Bedeutung dieser Tugenden für die tägliche Arbeit erklärt, bekommen das die meisten auch schnell auf die Reihe.“

Im Handwerk erhalten auch Jugendliche ohne Schulabschluss eine Chance

Im Handwerk erhalten auch Jugendliche ohne Schulabschluss eine Chance. 137 junge Leute konnten im vergangenen Jahr davon profitieren. „Dafür sind zahlreiche Berufe geeignet“, sagt Thieß. Die Erfahrung zeige, dass häufig in der Ausbildung für die Jugendlichen der Durchbruch komme. Denn in der praktischen Ausbildung haben sie ihre ersten Erfolgserlebnisse.

Viele offene Lehrstellen sind in den Handwerksberufen Gebäudereiniger, Hörgeräteakustiker oder Fachverkäufer im Bäcker- und Fleischerhandwerk noch verfügbar. Nach Erfahrung der Handwerkskammer sind diese Berufe vor allem deshalb weniger nachgefragt, weil nicht wirklich bekannt ist, was dahintersteckt. „Gebäudereiniger benötigen ein fundiertes chemisches Wissen für Spezialreinigungen und müssen sehr kundenorientiert auftreten“, sagt Thieß. „Mit etwas Engagement kommt man in diesem Beruf schnell in Team- oder Objektleitungsfunktionen. Die Möglichkeiten vieler Handwerksbetriebe werden unterschätzt.“

Im Handwerk lässt sich auch Karriere machen. Unter den freien Ausbildungsplätzen sind auch noch einige Plätze für ein duales Studium. So wird etwa die Lehre als Dachdecker, Raumausstatter oder Automobilkaufmann mit einem betriebswirtschaftlichen Studium kombiniert. Am Ende der vierjährigen Ausbildung steht der Gesellenbrief und ein Bachelor. Solche Ausbildungsplätze werden von Handwerksbetrieben angeboten, die Führungsfunktionen besetzen oder einen Nachfolger für den Chef aufbauen wollen.

Wo es noch freie Lehrstellen im Handwerk gibt: www.lehrstelle-handwerk.de