Süden gegen Stromferntrassen und den Ausbau der Windkraft. Kiel wirft München „politische Irrlichterei“ vor.

Hamburg. Wirtschaft und Politik im Norden machen Druck für Fortschritte bei der Energiewende. Am heutigen Dienstagabend treffen die Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer im Berliner Kanzleramt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD). Bei der Konferenz geht es um letzte Abstimmungen für die Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die Bundesregierung will die Gesetzesvorlage am 8. April im Kabinett beschließen.

Der Norden bildet mit der Windkraft das Fundament der Energiewende

Die Ausgestaltung der Energiewende beherrscht die Debatte in Deutschland derzeit auf allen Ebenen von Politik und Wirtschaft. Einer der zentralen Konflikte dabei ist die Weigerung Bayerns, den Bau von Stromferntrassen von Nord- nach Süddeutschland mitzutragen, in denen Strom aus den leistungsstarken Windparks vor allem an der Küste und auf Nord- und Ostsee in die Verbrauchszentren des Südens geleitet werden soll. Im Bundesrat hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) dem Vorhaben im vergangenen Jahr noch zugestimmt. Obendrein will die Regierung des Freistaates die Mindestabstände von Windparks zu Siedlungen von derzeit 800 Metern auf 2000 Meter erweitern. Damit wären viele der zahlreichen geplanten Windparkprojekte in Bayern nicht mehr tragfähig. Etliche Gemeinden und Bürgerinitiativen in Bayern selbst begehren dagegen auf. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) kritisierte die „politische Irrlichterei aus Bayern. Die Energiewende muss auch im Süden der Republik ankommen“, sagte er dem Abendblatt.

Allein in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern stehen mehr als 10.000 von insgesamt etwa 23.600 landseitigen Windkraftwerken in Deutschland. Zudem bilden die Küstenländer die Basis für den Aufbau von Offshore-Windparks im deutschen Teil der Nord- und Ostsee. Die küstennahen Standorte sind die windreichsten in ganz Deutschland. Die Offshore-Windparks erzeugen obendrein an rund 340 Tagen im Jahr Strom nahezu grundlastfähig. „Ich kann Bayerns Blockadehaltung nicht nachvollziehen“, sagte Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) dem Abendblatt. „Hat man die Gesamtanforderungen an die Energiewende in Bayern tatsächlich verstanden? Die Haltung der CSU-Landesregierung kann eigentlich nur politischer Taktiererei geschuldet sein – um Positionen aufzubauen, aus denen man dann möglichst viel für Bayern heraushandeln kann.“

Norddeutschland, vor allem die Küstenregion, würde mit dem Ausbau der Windkraft künftig zum wichtigsten Zentrum der erneuerbaren Energien in Deutschland werden. Dafür sind allerdings entsprechend klare Vorgaben im neuen EEG nötig sowie Übereinstimmung zwischen den Bundesländern vor allem zu den Stromferntrassen. „Die stärksten Windstandorte in Deutschland sind schon aus geografischen Gründen im Norden“, sagte Michael Westhagemann, Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH), dem Abendblatt. „Diese Energie aus dem Norden muss über die neuen leistungsfähigen Stromautobahnen in die Zentren im Süden transportiert werden, auch um dort die Großkraftwerke zu ersetzen, die bis 2022 vom Netz genommen werden. Unsere Bundesregierung ist gut beraten, im Gesamtinteresse unseres Landes zu handeln und deshalb alle Länder und Regionen fest in die geplante Umsetzung der Energiewende einzubinden“, sagte Westhagemann, der die Siemens-Region Nord in Hamburg leitet und der zugleich auch Vorsitzender des Fördervereins Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) ist.

Vor diesem Hintergrund kündigte E.on am vergangenen Freitag an, das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld bereits Ende Mai 2015 vom Netz zu nehmen, sieben Monate früher als nach dem Zeitplan zum Atomausstieg in Deutschland eigentlich geplant. Damit wächst der Druck auf die bayerische Regierung, ein Konzept für die künftige Stromversorgung des Freistaates darzulegen. „Mit der Blockade des weiteren Ausbaus der Windkraft und mit dem jüngsten Widerstand Seehofers gegen die neuen Nord-Süd-Stromleitungen soll die Möglichkeit des Stromimportes von erneuerbaren Energien als Ersatz für den Atomstrom behindert werden“, heißt es bei der neu gegründeten Klagegemeinschaft Pro Windkraft in Peißenberg nahe dem Starnberger See. „Damit werden die entscheidenden Vorbereitungen getroffen, 2015 die Abschaltung des Atomkraftwerkes Grafenrheinfeld zu verhindern. Strommangel und mangelnde Versorgungssicherheit werden die Begründung sein. Die Bayerische Staatsregierung und die CSU stehen offensichtlich nicht mehr hinter den eigenen Beschlüssen zur Energiewende.“

Eine der zentralen Herausforderungen für den neuen Energieminister Gabriel ist es, den Kostenanstieg beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu begrenzen. Die Windkraft an Landstandorten gilt als günstigste Form der erneuerbaren Energieerzeugung in Deutschland. Im Prinzip sind Windkraftwerke an küstennahen Standorten heute bereits wettbewerbsfähig mit Kohlekraftwerken. In der Vergleichsrechnung hängt dies davon ab, wie hoch einerseits die Kosten für zusätzliche Kraftwerke kalkuliert werden, die man bei Flaute als Ersatz für Windturbinen benötigt, und wie teuer andererseits Emissionsrechte für den Ausstoß von Treibhausgasen aus Kohlekraftwerken jeweils sind. Für die Küstenländer geht es bei den Gesprächen zum EEG morgen in Berlin deshalb auch darum, eine Begrenzung auf bundesweit 2500 Megawatt Nennleistung Zubau aus Windturbinen jährlich zu verhindern. Eine solche Begrenzung für Landstandorte plant Gabriel bislang. Der Bedarf für den Ausbau von Windkraftwerken ergibt sich allerdings auch daraus, wie groß der Stromtransfer von der Küste nach Süden künftig sein muss.

Viel hängt nun von Bayerns Position ab. „Der bayerische Zickzackkurs schadet nicht nur der Energiewende in Bayern“, sagte Sylvia Pilarsky-Grosch, Präsidentin des Bundesverbandes Windenergie (BWE), dem Abendblatt. „Mit der Blockade beim Ausbau von Stromtrassen gefährdet die bayerische Landesregierung zugleich die Energiewende in anderen Bundesländern. Gerade die Blockade bei den Stromtrassen hat massive Rückwirkungen auch auf andere Regionen.“ Der bayerische Ministerpräsidentin Seehofer „führt sich auf wie ein Wegelagerer“, sagte Pilarsky-Grosch. „Aber Bayern sitzt nicht am längeren Hebel.“ Die aktuelle Politik könne dem Freistaat am Ende selbst schaden: „Wenn der saubere Windstrom nicht nach Bayern kann, müssen bayrische Unternehmen eben an die Küste ziehen, um dort sicher und preiswert mit Strom versorgt zu werden.“