Handelskammer befürchtet Arbeitsplatzabbau in Hamburg. „Schwarzmalerei“ kontert die Gewerkschaft

Hamburg. Enno Glantz ist empört. Der Inhaber des Erdbeerhofs Glantz in Delingsdorf bei Ahrensburg und Herr über 85 Hektar Erdbeerfelder hält die Einführung eines Mindestlohns in seiner jetzigen Form für „Unsinn“. Das Vorhaben von Arbeitsministerin Andrea Nahles werde dazu führen, dass die Preise für die Früchte erheblich steigen und „etliche Arbeitsplätze“ abgebaut werden, meint der Obstbauer.

Glantz beschäftigt rund 600 Verkäuferinnen an seinen Ständen und in seinen Läden, die alle aus Hamburg und dem Umland stammen für einen Bruttostundenlohn von 8,50 Euro. „Das macht je nach Steuerklasse etwa 6,50 netto“, sagt er. Zusätzlich hat er in der Saison etwa 800 Erntehelfer überwiegend aus Polen im Einsatz, welche er nach der bisherigen Regelung für die Dauer von zwei Monaten ohne Sozialversicherungsbeiträge beschäftigen darf. Das sieht bisher eine Sonderregel für die Landwirtschaft vor.

Glantz zahlt den Erntehelfern also brutto für netto 6,50 Euro. „Kommt jetzt das Gesetz, muss ich den Erntehelfern 8,50 Euro zahlen. Da sie aber brutto für netto bekommen, haben die am Ende mehr in der Tasche als meine heimischen Angestellten. Das wäre absolut ungerecht“, sagt der Obstbauer. Zudem wären die zwei Euro pro Stunde zusätzlich eine extreme finanzielle Belastung.

Ähnlich kritisch wie Obstbauer Glantz betrachtet auch die Hamburger Handelskammer die Einführung des Mindestlohns. „Wir befürchten dadurch einen Arbeitsplatzabbau“, sagt Dirck Süß, Chefvolkswirt der Kammer. Es werde vor allem die gering Qualifizierten treffen, die ohnehin einen schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt hätten.

Kritik kommt auch vom AGA Unternehmensverband, der die Groß- und Außenhändler in Norddeutschland vertritt. Laut einer Blitzumfrage verlangen die Betriebe mehr Ausnahmen vom Mindestlohn. Zwei Drittel befürchten, dass die Chancen für schwer vermittelbare Arbeitsuchende, ungelernte Arbeitskräfte und Quereinsteiger verringert werden.

In Hamburg arbeiten nach Einschätzung der Handelskammer 71.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte für einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro. Basis ist eine Studie des Statistischen Landesamtes, die aber nur Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern berücksichtigt. Der DGB Hamburg geht dagegen von 185.000 Beschäftigen aus, wenn auch die vielen 450-Euro-Kräfte mit einbezogen werden. „Von den 171.000 Minijobbern in Hamburg bekommen 65 Prozent weniger als 8,50 Euro pro Stunde“, sagt Katja Karger, Vorsitzende des DGB Hamburg. Nach ihrer Einschätzung wird jeder fünfte Beschäftigte in der Hansestadt vom Mindestlohn profitieren, wenn die vielen Minijobs mit einbezogen werden.

Die Handelskammer sieht unter anderem die Branchen Gastronomie, Einzelhandel, Taxen und einfache Dienstleistungen vom Mindestlohn betroffen. Es werde ignoriert, dass sich der Preis immer nach Angebot und Nachfrage richte, sagt Süß. Höhere Preise in der Gastronomie und anderen Bereichen würden auch zu einem Rückgang der Nachfrage führen. „In der Folge werden Arbeitsplätze abgebaut“, prognostiziert Süß.

„Das ist eine typische Schwarzmalerei, für die es keine Belege gibt“, sagt Karger. „Wir sind sehr froh darüber, dass der Mindestlohn ohne große Ausnahmen kommen soll. Davon profitieren vor allem Frauen, gering Qualifizierte und Ausländer.“ Unternehmer, die mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro nicht klarkommen, müssten ihr Geschäftsmodell hinterfragen. „Es kann nicht sein, dass die Betriebe ihren Sparkurs auf Kosten der Gesellschaft durchsetzen“, sagt Karger.

In den angeblich stark betroffenen Branchen wie der Gastronomie ist von einer Krisenstimmung wenig zu spüren. „Wir sind recht gut aufgestellt, da wir im geltenden Tarifvertrag bereits einen Lohn von mehr als 8,50 Euro vereinbart haben“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Dehoga Hamburg, Gregor Maihöfer. Konkret wurde für die unterste Lohngruppe ein Lohn von 8,67 Euro festgesetzt. Allerdings ist dieser nicht allgemeinverbindlich und gilt daher nur in etwa der Hälfte der rund 5000 gastronomischen Betriebe in der Hansestadt.

Wesentlich entspannter als in der Handelskammer sieht man die Lage auch in der Handwerkskammer. Das Handwerk zahle in den meisten Gewerken bereits jetzt mehr als 8,50 Euro pro Stunde, sagte Kammerpräsident Josef Katzer. „Wenn alle sich an den vereinbarten Lohn halten, gelten auch für alle die gleichen Wettbewerbsbedingungen. Denn allzu niedrige Löhne aus Steuergeldern aufzustocken, kann und darf nicht die Lösung sein.“

Zu den wenigen Gewerken, die noch nicht bei einem Mindestlohn von 8,50 angekommen sind, gehört derzeit noch das Hamburger Friseurhandwerk. Doch auch hier gibt es bereits einen tariflich vereinbarten Fahrplan, der die Einführung bis August 2015 vorsieht. „Natürlich wird dies den Haarschnitt bei preisgünstigen Friseuren verteuern“, heißt es dazu aus der Innung. „Aber das sollte den Kunden eine solche Dienstleistung dann auch wert sein.“